EU-Veträge bei Influenzapandemie

Seqirus liefert Grippeimpfstoffe im Pandemiefall

Brüssel / Wiesbaden / Stuttgart - 12.04.2019, 15:45 Uhr

Seqirus produziert seinen tetravalenten zellkulturbasierten Grippeimpfstoff Flucelvax in North Carolina (USA). Der Hersteller hat nun mit der der Europäischen Kommission Verträge zur Bereitstellung von Influenzavakzinen im Pandemiefall geschlossen. (b/Foto: Seqirus)

Seqirus produziert seinen tetravalenten zellkulturbasierten Grippeimpfstoff Flucelvax in North Carolina (USA). Der Hersteller hat nun mit der der Europäischen Kommission Verträge zur Bereitstellung von Influenzavakzinen im Pandemiefall geschlossen. (b/Foto: Seqirus)


Der Grippeimpfstoffhersteller Seqirus hat mit der Europäischen Kommission die ersten europäischen Rahmenverträge zur Bereitstellung von Influenza-Impfstoffen im Pandemiefall geschlossen. Seqirus ist der Hersteller des einzigen in Deutschland verfügbaren tetravalenten Grippeimpfstoffes aus Zellkulturen (Flucelvax) – was im Ernstfall eine schnellere Influenzaimpfung als die Produktion in Hühnereiern ermöglichen könnte.

Die EU rüstet sich für den Fall einer nächsten Grippepandemie. Die Europäische Kommission und 15 Mitgliedstaaten haben mit dem Grippeimpfstoffhersteller Seqirus die ersten europäischen Rahmenverträge geschlossen. Seqirus soll im Pandemiefall Influenzavakzine liefern. Die Vertragsbedingungen gewährleisten für einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren, der Gesamtlaufzeit des Vertrags, den Bezug eines vereinbarten Teils der Produktionskapazität des Unternehmens Seqirus. „Das Ziel der Verträge ist es, im Pandemiefall eine grenzüberschreitende sichere und preisgünstige Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoffen sicherzustellen“, erklärt der Vakzinhersteller in einer Mitteilung.

Die EU-Rahmenvereinbarung zur gemeinsamen Beschaffung wurde schon vor einigen Jahren in die Wege geleitet, Anlass war die H1N1-Influenzapandemie des Jahres 2009. Damals sei deutlich geworden, dass pandemierelevante Impfstoffe nicht in allen EU-Ländern für die Menschen gleich gut zugänglich sind, erklärt Seqirus. Man wolle sich nun mit den wichtigsten Akteuren im öffentlichen Gesundheitswesen auf Pandemien bestmöglich vorbereiten. Dies soll unter anderem dadurch geschehen, dass ein Vorrat an Impfstoffen zumindest für Ersthelfer vor Ort angelegt wird, so Seqirus.

Nicht alle EU-Länder machen mit

„Die heutige Unterzeichnung markiert eine neue Ära beim Zugang der EU-Bürger zu Grippepandemie-Impfstoffen“, so EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis. Neben Deutschland haben Belgien, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien und Zypern die Vereinbarung über das gemeinsame Beschaffungsverfahren für Pandemie-Impfstoffe unterzeichnet.

Was ist eine Pandemie?

Bei einer Pandemie kommt es zu einer länder- und kontinentübergreifenden Ausbreitung einer Krankheit (Infektionskrankheit) beim Menschen. Allerdings kann es auch Gebiete geben, die nicht von der Krankheit betroffen sind, wie beispielsweise abgelegene Regionen (Gebirgstäler, Inseln, Urwald). Bekanntes Beispiel einer Pandemie ist die Spanische Grippe, die in den Nachkriegsjahren zwischen 1918 und 1920 weltweit rund 500 Millionen Menschen erkranken ließ und schätzungsweise 50 Millionen Tote forderte. Verantwortlich zeichnete damals das Influenzavirus A(H1N1).
Anders bei einer Epidemie: Hierunter versteht man zwar eine zeitliche und auch örtliche Häufung einer Krankheit (Seuche, Ausbruch) – aber eine Epidemie ist, einfach formuliert, „kleiner“ als eine Pandemie oder umgekehrt erklärt: „Eine Pandemie bezeichnet eine weltweite Epidemie“, so definiert diese das RKI.

Der gemeinsame Beschaffungsmechanismus der EU ist freiwillig, nicht alle Mitgliedstaaten haben sich angeschlossen. Als Gründe nennen sie laut einer Mitteilung der EU, dass sie bereits Verträge abgeschlossen hatten oder dass sie nicht bereit waren, während der Vertragslaufzeit eine Bereitstellungsgebühr zu zahlen, die ihnen im Falle einer Pandemie den Bezug entsprechender Impfstoffe garantiert.

Wann kommt die nächste Pandemie?

Seqirus erhielt im Dezember 2018 die Zulassung für seinen tetravalenten Grippeimpfstoff Flucelvax. Im Gegensatz zu GSK (Influsplit Tetra), Mylan (Influva Tetra) und Sanofi-Pasteur (Vaxigrip Tetra) produziert Seqirus Flucelvax in Säugetierzellkulturen, Madin Darby Canine Kidney) und nicht in vorbebrüteten Hühnereiern. Diese Produktionsmethode birgt nach Ansicht der US-Bundesbehörde des amerikanischen Gesundheitsminsiteriums Vorteile, gerade im Falle einer Pandemie: „Ein großer Vorteil der Zellkulturtechnologie ist die Möglichkeit für einen schnelleren Start des Impfstoffherstellungsprozesses im Falle einer Pandemie", erklärt das Centers for Disease Control and Prevention (CDCD) auf seiner Homepage.

Nicht nur die EU wappnet sich gegen Grippe. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO präsentierte erst vor wenigen Wochen ihre neue Strategie im Kampf gegen Influenza in einem Elfjahresplan: „Global Influenza Strategy 2019-2030“. Sie will unter anderem die Belastungen der saisonalen Grippe und das Risiko zoonotischer Influenza minimieren und die Auswirkungen einer nächsten Grippepandemie abmildern, was bedeutet, sich auf die nächste Pandemie vorzubereiten.
Eine Grippe-Pandemie stellt die WHO mit Ebola, HIV, multiresistenten Keimen und Impfgegnern hinsichtlich der zehn größten globalen gesundheitlichen Risiken auf eine Stufe. Die WHO ist überzeugt, dass eine Grippepandemie droht – irgendwann: „Die Frage ist nicht, ob eine weitere Pandemie kommen wird, sondern wann“, erklärte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Das sieht auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten so (ECDC, European Centre for Disease Prevention and Control): „Wann die nächste Grippeepidemie auftreten wird, wissen wir einfach nicht, und es gibt keine Möglichkeit, dies zu wissen. Eine Grippepandemie könnte diesen Winter beginnen, sie könnte im nächsten Sommer beginnen oder sie könnte in mehr als fünf oder zehn Jahren auftreten. Influenzaviren sind von Natur aus unberechenbar“, erklärt das ECDC auf seiner Homepage.

Wer bekommt Grippeimpfstoffe im Pandemiefall?

In ihrer „Global Influenza Strategy 2019-2030” misst die WHO Influenzavakzinen und Arzneimitteln zur Therapie der Grippe einen wichtigen Stellenwert im Kampf gegen Influenza bei. So will sie in den nächsten elf Jahren fördern, dass bessere Grippeimpfstoffe entwickelt werden – die breiter, länger und effektiver vor Grippe schützen und auch rascher produziert werden können. Zellkulturbasierte Influenzavakzine, wie Flucelvax, oder rekombinante Impfstoffe erachtet sie hier durchaus als eine Option. Neue Technologien zur Impfstoffproduktion müssten vorangebracht werden. 

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Nach Angaben der WHO werden derzeit mindestens 90 Prozent der Influenzavakzine in vorbebrüteten Hühnerembryonen hergestellt, was im Pandemiefall kritisch werden könnte, vor allem dann, wenn das pandemische Grippevirus eierlegendes Geflügel tötet. Ohnehin ist im Ernstfall einer Pandemie eine eibasierte Produktion „on demand“ der Influenzavakzinen nicht möglich, da sie im Schnitt fünf bis sechs Monate dauert.

STIKO passt Impfempfehlung bei Pandemie an

In Deutschland gibt es seit 2016 einen Nationalen Pandemieplan. Dieser sieht noch einen Zeitraum für die Grippeimpfstoffproduktion von drei bis sechs Monaten im Pandemiefall vor. Das könnte mit zellkulturbasierten Grippeimpfstoffen vielleicht schneller gehen. Nur, wer bekommt die ersten Impfsdosen, wenn diese dann verfügbar sind? Das Robert Koch-Institut erklärt im Nationalen Pandemieplan: „Für welche Personengruppen eine Impfung angezeigt ist, hängt von den Pathogenitätseigenschaften des Erregers ab.“ Auch hier müsse sorgfältig eine Nutzen-Risiko-Abwägung getroffen werden, der Nutzen der Impfung müsse sich gegenüber einem möglichen Erkrankungsrisiko abzeichnen. „Diese Abwägung geht in die Empfehlungen der STIKO ein, die daher auch gegebenenfalls im Verlauf einer Pandemie angepasst werden müssen.“



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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