EU-Vertragsverletzungsverfahren

Polen will Rx-Versand doch nicht erlauben – wegen Boni-Konflikt in Deutschland

Berlin - 04.04.2019, 11:30 Uhr

Das polnische Parlament Sejm wollte in Kürze den Rx-Versandhandel erlauben. Aufgrund der Entwicklungen in Deutschland will man aber nun darauf verzichten. (c / Foto: imago)

Das polnische Parlament Sejm wollte in Kürze den Rx-Versandhandel erlauben. Aufgrund der Entwicklungen in Deutschland will man aber nun darauf verzichten. (c / Foto: imago)


Der Versandhandelskonflikt in Deutschland hat erste internationale politische Auswirkungen: Die polnische Regierung will laut mehreren übereinstimmenden Medienberichten in letzter Minute ein geplantes Arzneimittelgesetz abändern, mit dem der Rx-Versand teilweise erlaubt werden sollte. Die Regierung begründet dies mit den Problemen, die die Apothekerschaft hierzulande mit dem Rx-Versand hat und nennt ausdrücklich das EU-Vertragsverletzungsverfahren.

Was den Arzneimittel-Versandhandel betrifft, galten in Polen bislang ähnliche Regeln wie in den meisten anderen europäischen Staaten: Der OTC-Versand ist zwar erlaubt, der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Präparaten und Medizinprodukten aber strengstens untersagt. Dass der Versandhandel in Polen aber auf dem Vormarsch ist, zeigt eine Studie des Marktforschungsunternehmens Sempora: Demnach lag der Marktanteil der Versender im OTC-Bereich 2016 noch bei etwa 5 Prozent. Für 2020 hatte Sempora aber einen Marktanteil von 11 Prozent vorhergesagt – was die Marktanteile des Versandhandels betrifft, liegt Polen demnach auf Platz 5 in Europa (hinter Österreich, Norwegen, Großbritannien und Deutschland).

Die von der nationalkonservativen PiS-Partei geführte Regierung Polens wollte den Versandhandel mit einer Änderung des Arzneimittelgesetzes eigentlich noch weiter vorantreiben. Konkret war geplant, dass nicht mobile und behinderte Menschen auch Rx-Arzneimittel über den Versandhandel bestellen dürfen. Der Behindertenausweis hätte die Patienten dann ermächtigt, Rx-Arzneimittel aus dem Versandhandel zu erhalten. Die Regelung galt so gut wie sicher, es stand nur noch eine Abstimmung im Gesundheitsausschuss und dann im Plenum des Sejm (eine der beiden Kammern in der Nationalversammlung) an. Das Inkrafttreten des Gesetzes war für den 1. Juli dieses Jahres geplant.

Doch nun kommt alles anders: Mehrere polnische Medien berichteten in den vergangenen Tagen, dass die regierende PiS-Partei quasi in letzter Minute einen Änderungsantrag zu dem geplanten Arzneimittelgesetz in den Gesundheitsausschuss einbrachte. Der Änderungsantrag sieht vor, die vorgesehenen Regelungen zur Ermöglichung des Rx-Versandhandels komplett zu streichen. Da die PiS-Partei eine knappe absolute Mehrheit im Sejm besitzt, wurde dieser Antrag angenommen.

Begründung: Versandhandelskonflikt in Deutschland

Sehr spannend ist aber die Begründung der Regierung dazu: Die polnische Apotheker-Zeitschrift „mgr.farm“ berichtet, dass der stellvertretende Gesundheitsminister Janusz Cieszyński bei der Besprechung im Gesundheitsausschuss die Entscheidung seiner Partei ausschließlich mit den derzeitigen Entwicklungen in Deutschland begründet habe. Demnach soll Cieszyński zwar erklärt haben, dass seine Partei weiterhin ermöglichen wolle, dass behinderte und nicht mobile Menschen einen besseren Zugang zu Arzneimitteln erhalten sollen. „Internationale Entwicklungen“ hätten aber dazu geführt, dass man dies nicht über eine Aufhebung des Rx-Versandverbotes erreichen wolle.

Laut „mgr.farm“ hat Cieszyński auf das derzeit laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen der Rx-Preisbindung für EU-Versender hingewiesen: „Wie Sie alle (…) in Bezug auf den Versandhandel wissen, ist kürzlich die umstrittene Entscheidung der Europäischen Kommission gegenüber Deutschland bekannt geworden.“ Die Apotheker-Zeitung fügt in ihrem Artikel dann den Satz hinzu: „Wir möchten Sie daran erinnern, dass das vom stellvertretenden Gesundheitsminister erwähnte Problem der Grund war, warum hunderte Apotheker in Berlin öffentlich protestiert haben.“

Apotheker-Demo in Berlin landete in polnischen Medien

Zur Erinnerung: Aufgrund der Intensivierung des EU-Vertragsverletzungsverfahrens hatten die drei Nachwuchsapotheker Maria Zoschke, Dr. Joachim Schrot und Maximilian Wilke einen Protestmarsch in Berlin organisiert, an dem sich rund 500 Apotheker und Apothekenmitarbeiter beteiligten. Die polnische Apotheker-Zeitung hatte schon nach der Demonstration ausführlich über die Aktion #rettedeineapotheke berichtet.

Bei der Sitzung im Gesundheitsausschuss meldete sich dem Bericht zufolge auch der PiS-Gesundheitspolitiker Tomasz Latos zu Wort. „Aufgrund von Zweifeln hinsichtlich des Versandhandels mit Medikamenten müssen wir die vorgeschlagenen Änderungen aufgeben“, sagte der Gesundheitsexperte. Und weiter: „Wir brauchen jetzt Zeit dafür, die Auswirkungen einer solchen Verordnung unter Berücksichtigung der Entscheidungen im deutschen Markt gegenüber Versandhändlern zu analysieren.“ Cieszyński fügte mit Blick auf das EU-Vertragsverletzungsverfahren erneut hinzu: „Wir können keine Situationen schaffen, die uns mit solchen Konsequenzen bedrohen könnten.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Es gibt noch Meldungen die hoffen lassen ...

von Christian Timme am 04.04.2019 um 13:02 Uhr

ob das auch in Zukunft auf deutsche Politiker zutreffen könnte?

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Rx-VV ist EU-Rechts-konform - und für die AMTS geboten

von Dirk Krüger am 04.04.2019 um 12:58 Uhr

Polen macht es vor - wer hätte das gedacht? Und dann wird immer von Rechtsunsicherheit bzgl. Rx-VV geschwafelt. Das Gegenteil ist richtig: über 70% der EU-Staaten handhaben das so ohne Beanstandung. Und: das ist der sicherste Weg zur Gleichpreisigkeit.
Ein Aspekt kommt mir bei der Argumentation der ABDA immer zu kurz: die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS ). Bei allen wirtschaftlichen Interessen und der berechtigten Forderung nach Wettbewerb mit gleich langen Spießen: die AMTS kann nur von der Präsenz-Apotheke mit individueller, persönlicher "Face-to-Face" - Beratung im Dreieck Arzt-Patient-Apotheke gewährleistet werden. Siehe hohe Zahl von Krankenhauseinweisungen und Todesfällen durch Polypharmazie. Andere Länder sind in der Einbindung unseres Berufes in die Arzneitherapie viel weiter. Und: für diese notwendig auszubauende Funktion der Apotheker*innen bedarf es einer höheren Vergütung. Nicht aus einem willkürlich mit 100 Mio. EUR gefüllten Extratopf, deren Verwendung zwischen GKV und Apotheken verhandelt werden soll,sondern durch eine angemessene gesetzliche Erhöhung des Fixzuschlages mit gesetzlich (ApoBetrO) fixierten Aufgaben im Bereich der AMTS. Nur diese Honorierung wäre fair, auskömmlich und strukturell sinnvoll.

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Wirklich kein Fan

von Stefan Haydn am 04.04.2019 um 12:13 Uhr

Ich bin ja wirklich kein Fan der polnischen Regierung, aber offenbar hat man aus dem Desaster um Fremd- und Mehrbesitz gelernt.
Es gibt doch tatsächlich Politiker die offenbar noch denken können bevor sie handeln.

Bei unseren Parlamentariern scheint dies bis auf Ausnahmen nicht möglich zu sein.
Wieviele Steilvorlagen braucht die Anti-Spahn Fraktion eigentlich noch?

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geht doch!

von Karl Friedrich Müller am 04.04.2019 um 12:01 Uhr

war das nicht ausgerechnet ein polnischer Richter beim EuGH, der und diese ganze Misere eingebrockt hat?

Wir sollten dem Beispiel schleunigst folgen und Rx Versand unmöglich machen.
"Rechtliche Bedenken" gibt es nicht oder nur in den Köpfen bestimmter Politiker als vorgeschobenes Argument, um die konzernfreundliche Haltung zu vertuschen.

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