Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich

Spahn will System der GKV-Finanzierung reformieren

Berlin - 26.03.2019, 11:30 Uhr

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will sich in einen Streit einmischen, der seit Jahren im Kassenlager herrscht. (m / Foto: imago)

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will sich in einen Streit einmischen, der seit Jahren im Kassenlager herrscht. (m / Foto: imago)


Seit Jahren streiten sich die Krankenkassen untereinander über die Verteilung der Gelder aus dem Gesundheitsfonds an die einzelnen Kassen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will jetzt den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich  weiterentwickeln. Und: Regionale Kassen sollen sich mehr für Versicherte aus anderen Bundesländern öffnen können. Die Ersatzkassen reagieren positiv darauf, die AOK Baden-Württemberg wirft dem Minister Dirigismus vor.

Die Krankenkassen müssen sich in den kommenden Monaten wohl vermehrt mit sich selbst beschäftigen. Denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will einen seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen dem AOK-Lager und den anderen Kassenarten aufgreifen und lösen. Konkret geht es um den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) – ein Verteilungsmechanismus, der vorgibt, welche Kasse wie viel Geld aus dem Gesundheitsfonds erhält.

Unter anderem die Betriebskrankenkassen und Ersatzkassen sind der Meinung, dass der Morbi-RSA die AOKen bevorzuge, sodass die Ortskrankenkassen grundsätzlich mehr Geld aus dem Fonds erhalten. Der Konflikt ist auch politisch ausgetragen worden in den vergangenen Jahren: Insbesondere Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) hat das Thema aufgegriffen und bemängelt, dass regional tätige Krankenkassen im bestehenden System benachteiligt würden.

Wie funktioniert der Morbi-RSA?

Im Kern geht es im Morbi-RSA darum, wie die Gelder aus dem Gesundheitsfonds an die einzelnen Kassen verteilt werden.
Der sehr komplizierte Verteilungsmechanismus wurde entworfen, damit Kassen mit älteren und kränkeren Versicherten, die somit auch höhere Ausgaben haben, im Wettbewerb mit Kassen bestehen können, die viele junge und gesunde Versicherte haben.

Deswegen hängt die Höhe der Ausschüttungen aus dem Fonds unter anderem vom Alter und Krankheitsstand der Versicherten ab. Für einen älteren Patienten mit chronischen Krankheiten erhält eine Krankenkasse zusätzlich zu einer Grundpauschale diverse Zuschüsse aus dem Fonds. Gleichzeitig muss die gleiche Kasse aber Abschläge an der Grundpauschale für einen jungen, gesunden Versicherten hinnehmen.

Bayern und Krankenkassen, die nicht dem AOK-Lager angehören, beschweren sich darüber, dass regional tätige Krankenkassen in wirtschaftlich gut aufgestellten Regionen durch diesen Mechanismus ins Hintertreffen geraten. Konkret geht es um die sogenannte Deckungsquote, also um das Verhältnis von aus dem Fonds eingegangenen Zahlungen zu den Leistungsausgaben der Kassen.

Spahn: Risikopool und regionale Komponenten

Jens Spahn will an diesem System nun Änderungen vornehmen und – wie er in einem Gastbeitrag des Handelsblattes schreibt – mehr Wettbewerb zwischen den Kassen ermöglichen. Konkret will der Minister unter anderem eine Regionalkomponente und einen Risikopool für besonders kostenintensive Krankheitsfälle in den Risikostrukturausgleich einführen. Von diesem Risikopool können dann Kassen profitieren, die etwa durch besonders viele chronisch Erkrankte belastet werden.

Spahn plant auch, die Durchlässigkeit zwischen den Kassen zu vereinfachen. Im „Handelsblatt“ hatte er bemängelt, dass unter den zehn größten Krankenkassen lediglich vier bundesweit zum Beitritt offen stehen. Durch die bundesweite Öffnung bislang regional begrenzter Krankenkassen werde die vollständige Wahlfreiheit für alle Mitglieder der GKV geschaffen, heißt es nun seitens des Gesundheitsministeriums. Dadurch würden zugleich Wettbewerbsverzerrungen verringert, die durch bundesweit einheitliche Zuweisungen bei regional unterschiedlichen Ausgabenstrukturen entstehen. Angesichts der Debatte vor zweieinhalb Jahren über Manipulationen bei der Angabe von Diagnosen und der Schwere von Krankheiten soll auch die Manipulationsanfälligkeit des RSA vermindert werden.

Geteilte Reaktionen

Die Öffnung der regionalen Kassen dürfte insbesondere den Ersatzkassen entgegenkommen, die bereits bundesweit tätig sind, im Gegensatz zu den AOKen. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK) erklärte: „Die Eckpunkte zeigen, dass der Gesundheitsminister die wesentlichen Probleme des [...] RSA aufgreift und entschlossen ist, für Fairness im Wettbewerb der Kassen zu sorgen. Das Eckpunktepapier skizziert ein sinnvolles Gesamtkonzept.“

Christoph Straub, Vorstandschef der Barmer argumentierte: „Spahn setzt die richtigen Impulse für einen fairen Wettbewerb der Krankenkassen um die beste Versorgung der Versicherten. Vor allem mit der geplanten Einführung einer Regionalkomponente wird gewährleistet, dass die Beitragsgelder dort hinfließen, wo sie für die Versorgung der Patientinnen und Patienten tatsächlich benötigt werden.“

Huml: Wettbewerb wird erlahmen

Obwohl Spahn das System des Morbi-RSA nun reformieren will, ist Bayerns Gesundheitsministerin Huml (CSU) gar nicht zufrieden. In einer Pressemitteilung erklärte sie: „Bayern lehnt eine bundesweite Öffnung aller bisher landesunmittelbaren Krankenkassen strikt ab. Eine rein bundesweite Kassenlandschaft wird weder den Wettbewerb verstärken noch die Versorgung verbessern.“ Die Versorgung erfolge regional. Bei nur noch bundesweiten Krankenkassen und dem Wegfall starker regionaler Träger „wie zum Beispiel der AOK Bayern“ sei eine Vernachlässigung der Region als Ort von zielgerichteten Leistungen und flächendeckendem Service im Gesundheitssystem zu befürchten. Schließlich werde der bisherige Wettbewerb zwischen bundesweiten und regionalen Krankenkassen erlahmen.

Hermann: Zentralismus und Dirigismus

Auch Dr. Christopher Hermann, Chef der AOK Baden-Württemberg, ist mit den Vorschlägen des Ministers nicht zufrieden. „Gesundheitliche Versorgung spielt sich regional ab. Denn wer vor Ort ist, kennt Bedürfnisse und Bedarfe der Menschen vor Ort besser und kann auf dieser Grundlage zielgenau gestalten. Andernfalls entscheiden Menschen irgendwo in der Republik ohne tiefe Kenntnis über die regionalen Versorgungsstrukturen und -notwendigkeiten konkret in Baden-Württemberg“, erklärt der Kassenchef in einer Mitteilung.

Grundsätzlich kritisiert Hermann, dass sich die Gesetzgebung des Ministers durch „klare Tendenzen zu noch mehr Zentralismus und Dirigismus“ auszeichne. „Herr Spahn will elf AOKs in den bundesweiten Scheinwettbewerb stellen, ob ihm die Zentralisierung in einer Bundes-AOK vorschwebt, weiß ich nicht. Um effiziente und qualitativ hochwertige Versorgungsstrukturen wie zum Beispiel eine hausarztzentrierte Versorgung aufzusetzen, sind aber regionale Verwurzelung und die Kenntnis der Bedürfnisse der Menschen vor Ort unerlässlich“, so Hermann. 

Spahn möchte seine RSA-Reform sicherlich rasch über die Bühne bringen. Schließlich ist sie auch Bedingung dafür, dass die gesetzlichen Kassen ab dem 1. Januar 2020 zu einem Abbau ihrer Rücklagen verpflichtet werden.  



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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