AOK-BaWü-Chef zu BPI-Forderungen

Hermann: Niemand reißt eine Fabrik in Asien ab und baut sie in der EU wieder auf

Berlin - 22.03.2019, 09:00 Uhr

Christopher Hermann lässt keine Kritik an Rabattverträgen zu. (c / Foto: Schelbert)

Christopher Hermann lässt keine Kritik an Rabattverträgen zu. (c / Foto: Schelbert)


Den Vorwurf, Rabattverträge begünstigten Lieferengpässe, lässt Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, nicht auf sich sitzen. Er bleibt dabei: Rabattverträge helfen nicht nur sparen, sondern sorgen auch für mehr Transparenz. Und was die Forderung der Industrie betrifft, unter den Zuschlagsempfängern müsse immer ein Anbieter mit europäischer Produktionsstätte sein, so nimmt er dies den global agierenden Firmen nicht ab.

Am vergangenen Mittwoch hat der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) ein juristisches Gutachten zur zehnjährigen Geschichte der Arzneimittel-Rabattverträge vorgestellt. Zur Bestandsaufnahme der Gutachter gehört die Feststellung, dass es im rabattvertragsgeregelten Markt immer wieder zu Liefer- wenn nicht sogar zu Versorgungsengpässen komme. Um dem entgegenzusteuern, zeigt das BPI-Gutachten drei Lösungsansätze auf:

  • Unter den Bezuschlagten muss sich mindestens ein Anbieter mit europäischer Produktionsstätte befinden.
  • Für versorgungsrelevante Wirkstoffe, die von weniger als vier Herstellern angeboten werden, darf es gar keine Rabattverträge geben.
  • Rabattverträge dürfen nur noch per Mehrfachvergabe erfolgen – mindestens drei Zuschlagsempfänger muss es geben.

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Dr. Christopher Hermann, Chefverhandler der bundesweiten AOK-Rabattverträge der ersten Stunde, kontert nun: „Wir haben die gängige Pauschalkritik an Rabattverträgen schon im Jahr 2017 widerlegt. Damals mussten Apotheker bei lediglich 0,6 Prozent aller zulasten der GKV abgerechneten Arzneimittel ein Lieferversagen der Pharmaindustrie dokumentieren und ein austauschbares Arzneimittel abgeben. Solche Lieferausfälle haben mit tatsächlichen Versorgungsproblemen aber noch gar nichts zu tun.“

Hermann wiederholt es beständig: Die Rabattverträge sorgten sogar für etwas mehr Transparenz im Arzneimittelmarkt. Denn nur hier müssten Lieferengpässe ausgewiesen werden. Für den Chef der AOK Baden-Württemberg sprechen sogar die in dieser Saison aufgetretenen Lieferprobleme bei Grippeimpfstoffen für Rabattverträge – hier zeige sich, was passiere, wenn Rabattverträge abgeschafft werden. Niemand habe in der nun endenden Saison mit Sicherheit sagen können, welche Mengen an Impfstoffen vorrätig sind.

Produktionsstätte in Europa – was ist realistisch?

„Nur die halbe Wahrheit“ ist für den AOK-Mann die BPI-Forderung, bei der Vergabe von Rabattverträgen vorzugeben, dass sich unter den Zuschlagsempfängern mindestens ein pharmazeutisches Unternehmen mit europäischer Produktionsstätte befinden muss. Die Pharmaindustrie denke nämlich nur daran, den letzten Fertigungsschritt nach Europa zu verlagern – keinesfalls aber den ganzen Herstellungsprozess. Hermann meint: Selbst für Laien dürfe klar sein, dass noch keine Unabhängigkeit von Dritten hergestellt ist, indem man in Europa Tabletten verblistert. „Die global agierende Pharmaindustrie produziert Wirkstoffe vor allem in Asien und kümmert sich dabei nicht um die Interessen Europas oder anderer Kontinente“, erklärt der AOK-Chef provokant. Daran könne allenfalls eine EU-weite politische Initiative etwas ändern. Und dabei sollte klar sein: „Freiwillig wird niemand eine Fabrik abreißen und in der EU wieder aufbauen. Dies durch Einschränkungen bei Rabattverträgen erreichen zu wollen, ist schlicht Nonsens.“

Der BPI-Vorstandsvorsitzende Dr. Martin Zentgraf hatte bei der Vorstellung des
Gutachtens am Mittwoch eingeräumt, dass die Forderung hinsichtlich der europäischen Produktionsstätten tatsächlich mit einer gewissen Einschränkung zu verstehen sei. Es sei „wünschenswert, aber illusorisch“, alle Produktionsschritte samt der Wirkstoffsynthese zurück nach Europa zu bringen. Realistischer sei es, „wesentliche Herstellungsschritte“ wieder in der EU zu etablieren beziehungsweise hier zu behalten. Denn Zentgraf gesteht auch ein: Erst einmal gehe es darum, die Produktion, die noch in Europa ist, zu festigen. Um sie zurückzuholen und neu zu etablieren, sei eine aktive Förderung nötig. In der Politik sei dies bereits ein Thema – nun müsse man sehen, wohin die Diskussionen führen.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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4 Kommentare

Geschwätz

von Karl Friedrich Müller am 23.03.2019 um 17:14 Uhr

Es gibt genug Firmen, wenn auch nicht im Arzneimittelbereich, die reumütig ihre Produktion wieder zurückverlegt haben.

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Was steckt hinter „Grinse“ Herman?

von Heiko Barz am 23.03.2019 um 12:29 Uhr

Dem Valsartandebakel schein dieser verantwortungslose Versicherungsmanager wohl sehr blauäugig zu begegnen. Die Herstellungsprozesse im Indischen- und Asiatischen Raum werden uns auch in Zukunft immer mehr beschäftigen.
Glaubt denn wirklich jemand, der Europäische Fertigungsstandarts voraussetzt, Gleiches aus Fernost erwarten zu können?
Aber solange die finanzielle Knechtung der komplexen Gesundheitsanbietung diesen aok Versicherer nicht
In seine Schranken weist, solange wird diesem und vergleichbar anderen Protagonisten seiner „Qualität“ immer wieder jede Tür aufgemacht.
Wo bleibt hier das Recht der zahlenden Krankenversicherten auf optimale Arzneimittelversorgung, wenn die verantwortungslosen Versicherungsmacher gegen jedes Patientenwohl mit unkontrollierbaren Asiatischen Chemiearbeitsstätten Herstellungsverträge abschließen?
Es wird immer unerträglicher!

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Gegenseitige gleichgewichtige Sicherheit ...

von Christian Timme am 23.03.2019 um 12:07 Uhr

ist deutsche Technik und deren Zuverlässigkeit vergleichbar mit in Indien hergestellten Arzneimittel?. Es kann nicht nur der Preis sein ... oder ist die AOK zur Bank mutiert und eifert nicht nur im eigenen Ländle Porsche nach. Mehr Gewinn als Umsatz oder wird am Ende jedem Rentner oder Erkrankten das „Auslaufen der Versicherungsleistungen“ über die Tilgung der Leistungserbringer im Inland „schmackhaft“ gemacht?

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Schäbiges Gegrinse

von ratatosk am 22.03.2019 um 18:28 Uhr

Das schäbige Grinsen kann er sich sparen ! Gerade er hat mit dafür gesorgt, daß eben in Europa die Herstellungsstätten abgerissen werden ! mit bekannten Folgen.
Blanker Hohn ist die Erwähnung der Transparenz. Geheimverträge für die GKV - alles andere kann man erfahren.
Bei der GKV kann man von völliger Intransparenz sprechen, gedeckt durch die Freundchen in der Politik gedeckt. Mehrere Anbieter würden mehr Sicherheit bieten, aber wahrscheinlich sind dann die Kickbacks nicht so toll, man weis es ja nicht . Sollte einer der Exklusivanbieter für die AOK Probleme haben, kann ja auch einfach mal brennen, oder gehackt werden etc. Wenn er hier keine Probleme zu erkennen vorgiebt, hilft wohl nichts mehr.

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