Was tun gegen Lieferengpässe?

BPI pocht auf mehr Sicherheit bei Rabattverträgen

Berlin - 20.03.2019, 17:35 Uhr

Der BPI hat die Rabattverträge von Rechtsanwalt Nils Hußmann (Mitte) juristisch beleuchten lassen. Ebenfalls im Bild: BPI-Pressesprecherin Julia Richter, BPI-Chef Martin Zentgraf,  Babette Reiken (Geschäftsführerein Pohl-Boskamp) und Bernhard Wörmann (Medizinischer Leiter Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie) (v.l.). (m / Foto: BPI)

Der BPI hat die Rabattverträge von Rechtsanwalt Nils Hußmann (Mitte) juristisch beleuchten lassen. Ebenfalls im Bild: BPI-Pressesprecherin Julia Richter, BPI-Chef Martin Zentgraf,  Babette Reiken (Geschäftsführerein Pohl-Boskamp) und Bernhard Wörmann (Medizinischer Leiter Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie) (v.l.). (m / Foto: BPI)


Lieferengpässe bei Arzneimitteln können unterschiedliche Ursachen haben. Das macht es auch so schwierig, eine einfache Lösung für dieses Problem zu finden. Die Hersteller sehen bei den Rabattverträgen einen griffigen Ansatzpunkt. So auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, der am heutigen Mittwoch ein juristisches Rabattvertrags-Resümee gezogen und drei Lösungsansätze zur Minimierung von Engpässen vorgestellt hat.

2017 „feierten“ die Arzneimittelrabattverträge zehnjähriges Jubiläum. Sie sind aus der GKV-Versorgung nicht mehr wegzudenken. Noch immer freuen sich die Krankenkassen über steigende Einsparvolumina. Doch die Verträge zwischen Pharmaunternehmen und Kassen stehen auch in der Kritik. Es heißt, der Preisdruck zwinge die Hersteller zur Produktion in Niedriglohnländern, zugleich schwinde die Anbietervielfalt, während die Abhängigkeit von wenigen (Wirkstoff-)Herstellern steige.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat nun ein juristisches Gutachten erstellen lassen, das die Rabattvertragswelt in den Jahren 2007 bis 2017 unter die Lupe nimmt. Wie wirken sich die Verträge auf die Patienten aus? Und wie auf die pharmazeutischen Unternehmen? Gutachter Nils Hußmann (Kozianka & Weidner Rechtsanwälte) bestätigt die zunehmende Marktkonzentration, die dazu führe, dass Engpässe nicht mehr von anderen Unternehmen aufgefangen werden könnten. Und das ist aus seiner Sicht auch ein sozialrechtliches Problem: GKV-Versicherten hätten laut Sozialgesetzbuch V einen Anspruch auf adäquate und zeitgerechte Versorgung. Das folge aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V), wonach die Leistungen unter anderem „ausreichend“ sein müssten. Eine stark verzögerte Arzneimittelversorgung, die die Heilungschancen verschlechtere, sei aber nicht mehr ausreichend, so Hußmann. Und damit entspreche sie auch nicht mehr dem Wirtschaftlichkeitsgebot.

Drei Lösungsansätze

Das Gutachten hat selbstverständlich auch Lösungsvorschläge, wie die Kassen aus diesem Dilemma herauskommen und das Risiko von Liefer- und Versorgungsengpässen so weit wie möglich minimieren könnten. Konkret handelt es sich um drei – nicht ganz neue – Forderungen, die bei Rabattverträgen künftig berücksichtigt werden müssten:

  • Unter den Bezuschlagten muss sich mindestens ein Anbieter mit europäischer Produktionsstätte befinden.
  • Für versorgungsrelevante Wirkstoffe, die von weniger als vier Herstellern angeboten werden, darf es gar keine Rabattverträge geben.
  • Rabattverträge dürfen nur noch per Mehrfachvergabe erfolgen – mindestens drei Zuschlagsempfänger muss es geben.

Geringer Preis für mehr Versorgungssicherheit

„Die Krankenkassen stehen in der Verantwortung“, sagt der BPI-Vorsitzende Dr. Martin Zentgraf. Eine Kostenexplosion fürchtet er durch eine solche Umstellung nicht. Laut Gutachten stehen auf der BfArM-Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe derzeit lediglich 55, die von drei oder weniger Unternehmen angeboten werden. Nach Rechnung der Gutachter ginge den Krankenkassen bei der Umsetzung eines Rabattvertragverbots für diese Wirkstoffe eine Rabattsumme von knapp 629 Millionen Euro verloren. Berücksichtige man zusätzlich, dass Ausschreibungen nahezu ausschließlich im generischen Markt stattfinden und nur ein Bruchteil der 55 Wirkstoffe generisch sei, komme man sogar nur auf 156 Millionen Euro, die die Kassen dann nicht einsparen könnten. „Das ist ein relativ geringer Preis für mehr Versorgungssicherheit“, sagt Zentgraf. Dabei verweist er auch auf das derzeit komfortable Finanzpolster der Krankenkassen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Die Geschäftsführerin von Pohl-Boskamp, Babette Reiken, zeigte sodann ein praktisches Beispiel aus ihrem Unternehmen auf: Pohl-Boskamp ist eines von lediglich zwei Unternehmen, das Nitrospray (Glyceroltrinitrat) herstellt – ein anerkanntes „versorgungsrelevantes“ Arzneimittel. Mit rund 700.000 Verordnungen pro Jahr ist es zwar kein Blockbuster, aber als Notfallmedikament unverzichtbar und in jedem Krankenwagen zu finden. Das Mittel wird von allen großen Kassen ausgeschrieben. Von zehn Ausschreibungen hat Pohl-Boskamp neun gewonnen, acht davon im Einpartner-Modell. Das mag für das Unternehmen gut klingen – Reiken macht sich dennoch Sorgen: Die Herstellung des Arzneimittels sei nicht trivial, Optimierungen könnten aus wirtschaftlichen Gründen kaum realisiert werden – derzeit komme noch zusätzlicher Kostendruck aus der Umsetzung der Fälschungsschutzrichtlinie hinzu. Und was ist, wenn die eine bestehende Produktionslinie mal ausfallen sollte? „Wie gut aufgestellt ist dann unser Marktbegleiter?“, fragt Reiken. Für sie zeigt das eigene Beispiel, dass die BPI-Forderungen zwingend sind, um die Versorgung der Patienten mittel- und langfristig sicherstellen zu können.

Völlig ungehört bleiben die Forderungen in der Politik nicht. Erst vergangene Woche hat der Bundesrat in seinen Empfehlungen zum Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung eine Nachjustierung bei den Rabattverträgen gefordert. In diesen Verträgen seien „europäische Produktionsstandorte und die Vielfalt der Anbieter durch Mehrfachvergabe zu berücksichtigen, um die bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten zu gewährleisten“.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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