Aktionsplan

Lieferengpässe: Frankreich als Vorreiter bei Gegenmaßnahmen

Remagen - 13.03.2019, 09:00 Uhr

Auch Frankreichs Apotheker haben mit Engpässen zu kämpfen. (Foto: jb/DAZ.online)

Auch Frankreichs Apotheker haben mit Engpässen zu kämpfen. (Foto: jb/DAZ.online)


In Frankreich hat man in den letzten Jahren viel getan, um Lieferengpässe bei Arzneimitteln besser in den Griff zu bekommen. Dabei wurden vor allem die Hersteller, aber auch die Apotheker in die Pflicht genommen. Nun hat der Pharmaverband Leem noch einen weiteren Aktionsplan aufgelegt.  

Der französische Branchenverband Les Entreprises du médicament (Leem) hat einen neuen Aktionsplan zur Bekämpfung von Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln präsentiert. 

Nach Angaben des Verbandes hat die Anzahl der Meldungen über Lieferunterbrechungen und Versorgungsengpässe in Frankreich stetig zugenommen, und zwar von 44 im Jahr 2008 auf 538 im Jahr 2017. Hinsichtlich der Indikationsgruppen lag der Schwerpunkt im letzten Jahr auf den Antiinfektiva (21 Prozent der Engpässe), Medikamenten mit Angriff am Nervensystem (z.B. Antiepileptika, Parkinsonmittel, Anaesthetika) (19 Prozent) sowie Krebstherapien und Immunmodulatoren (14 Prozent). Eine Unterbrechung der Arzneimittelversorgung in der öffentlichen Apotheke (über 72 Stunden nicht verfügbar) dauerte in den Jahren 2015 bis 2018 im Mittel 52 Tage. Knapp ein Drittel der französischen Patienten war in 2018 ein-oder mehrmals davon betroffen.

Weltweite Nachfrage erzeugt hohen Druck

Leem hat die Situation mit einer Umfrage bei den Pharmaherstellern genauer analysiert. Als Hauptursache für fehlende Lagerbestände geben diese die weltweit angespannte Lage hinsichtlich der Nachfrage und die Produktionskapazitäten an (25 Prozent). An zweiter Stelle rangierten unerwartete Schwankungen des Marktes (23 Prozent), gefolgt von Problemen mit der Produktion selbst (20 Prozent), Lieferproblemen bei Wirkstoffen (15 Prozent), regulatorischen Auflagen (10 Prozent) und wirtschaftliche Zwänge (7 Prozent). Das technologische Niveau bei der Arzneimittelherstellung und strenge regulatorische Auflagen hätten dazu geführt, dass sich Standorte von Pharmaproduzenten auf bestimmte Prozesse und Moleküle spezialisieren müssen, so erklärt Leem weiter. Gebe es nur einen Produktionsstandort, der über die notwendige Ausrüstung und geschultes Personal verfüge, so sei das Risiko von Totalausfällen von vornherein groß. Außerdem wird geschätzt, dass heute zwischen 60 Prozent und 80 Prozent der Wirkstoffe außerhalb der Europäischen Unionhergestellt werden. Für viele Moleküle gebe es derzeit weltweit nur noch zwei oder drei Lieferanten.

Was haben die Franzosen schon unternommen

Die Franzosen haben ihr rechtliches Arsenal in den letzten Jahren erheblich verstärkt, um Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln wirksam zu begegnen.

Im Jahr 2012 wurden neue Verpflichtungen für die Hersteller und Vertreiber von Arzneimitteln eingeführt: Hierzu gehörten die Einrichtung einer Notrufzentrale für Apotheker in den Pharmaunternehmen und eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung der Großhändler, die ein bestimmtes Sortiment der in Frankreich vermarkteten Präparate vorhalten müssen.

Seit 2016 sind die Pharmaunternehmen gehalten, für Medikamente von großem therapeutischem Interesse (MITMs) eine angemessene und kontinuierliche Versorgung sicherzustellen. Lagerbestände dieser Medikamente werden intensiver überwacht und Lieferunterbrechungen müssen der ANSM frühzeitig gemeldet werden.

Zwei Dekrete vom 26. und 27. Juli 2016 legen die Listen der Impfstoffe und therapeutischen Klassen fest, die als MITM gelten. Beispiele für therapeutische Klassen, die MITM enthalten sind: Analgetika, Anästhetika, Antiepileptika, Antipsychotika, Antidepressiva, Diabetesmittel, Antithrombotika, Antihypertonika, Betablocker, Kortikosteroide, Schilddrüsenmedikamente, Virustatika und Antibiotika.

Management-Pläne als französische Besonderheit

Anfang 2017 wurden so genannte Management-Pläne gegen Unterbrechungen (Plan de gestion de pénuries, PGP) als zusätzliches Instrument eingeführt. Auch hierfür gibt es eine spezielle Liste. Nathalie Le Meur, Präsidentin der Gruppe für Lieferunterbrechungen des Leem, erklärt, was es damit auf sich hat: „Ein PGP enthält Informationen über das Produkt, wie etwa die therapeutische Klasse, Verwendung, Anteile an Markt, Anzahl der Akteure auf diesem Markt, Vertriebskanäle, eine Identifizierung von Alternativen in dem jeweiligen therapeutischen Bereich und die Bedingungen für die Substitution. Es enthält auch eine Risikoanalyse, die mögliche Schwachstellen in der Produktionskette aufzeigt: Wo sind die Wirkstofflieferanten lokalisiert? Was sind die wichtigsten Fertigungsschritte? Wie lange dauert der Produktionszyklus? Ist die Produktionslinie zwischen mehreren Standorten fragmentiert? Wie verläuft der Transport? Sämtlichst Informationen, die man braucht, um im Fall einer Lieferunterbrechung schneller reagieren zu können.“

„DP rupture“ als Anlaufstelle für die Apotheker

Ein weiteres Instrument ist das „DP rupture“, ein Tool, das auf eine Initiative der französischen Apothekerkammer von März 2013 zurückgeht. Hinter der Abkürzung DP verbirgt sich das „Dossier Pharmaceutique“, ursprünglich als elektronische Patientenakte gedacht, die die Apotheker beim Medikationsmanagement der Patienten unterstützen sollte.

Versandhandelskritiker und Medikationsmanager

Frankreich

Das Web-basierte Tool DP rupture ist eine Erweiterung des DP, über das angeschlossene Apotheken den betroffenen Herstellern und den Gesundheitsbehörden Ausfälle direkt anzeigen können. Das Instrument soll die Informationsübertragung zwischen den Akteuren der Distributionskette rationalisieren und das Management von Unterbrechungen verbessern.

Was will Leem mit seinem Aktionsplan?

Das hört sich alles schon sehr stringent und schlagkräftig an, aber der Pharmaverband will noch mehr. Nach dem neuen Aktionsplan wünscht sich Leem weitere Sicherheitsverpflichtungen für Arzneimittel von besonderem Gesundheits- und strategischem Interesse (MISS). Hiermit sind die unverzichtbarsten und unersetzlichsten Medikamente gemeint, wie etwa Krebsmedikamente und Antibiotika. Für diese empfiehlt der Verband unter anderem verstärkte Managementpläne (PGPs) inklusive der Errichtung von Notvorräten für Frankreich oder für Europa. Außerdem sollte der Aufbau von Produktionsstandorten für Ausgangsstoffe und MISS in Europa gefördert werden, um Europa unabhängiger vom Ausland zu machen, so eine weitere Forderung.

Transparenz bei nicht-EU-Wirkstoffherstellern fördern

Für denkbar hält Leem überdies eine Kartierung der Produktionsstandorte von Wirkstoffen und von MISS-Arzneimitteln sowie eine zentrale Datenbank zur Verteilung der MISS-Bestände bei den Akteuren der Pharma-Kette unter der Ägide der französischen Arzneimittelbehörde ANSM. Nach den Vorstellungen des Branchenverbandes sollte die strategische Steuerung aber nicht nur auf nationaler Ebene intensiviert werden. Vielmehr müssten auch die Regulierungspraktiken bei Engpässen auf europäischer Ebene besser harmonisiert werden. Außerdem wird mehr Transparenz für die globale Situation gefordert. So sollten die bestehenden europäischen Datenbanken mehr Informationen zu Wirkstoffherstellern außerhalb der Europäischen Union einbinden und alle Nicht-EU Wirkstoff-Lieferanten dazu verpflichtet werden, den Beginn oder den Stopp der Vermarktung bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) anzuzeigen, meint Leem.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Franzosen und Lieferengpässe

von Dr.Diefenbach am 13.03.2019 um 18:04 Uhr

Mich interessiert,wie weit diese Massnahmen von Seiten der ABDA mit den französischen Kollegen beredet wurden,welche parallel möglichen Massnahmen ergriffen wurden und vor allem WIE das in diesem Zusammenhang zertifizierte System des Standes aussieht.Ich erinnere daran dass ja ein hauseigenes QMS geschaffen wurde.Da gehört genau dieser wichtige Punkt auch hin.Es wurde ja am Apotag entsprechendes berichtet,ich vermisse eine vorgestellte Ergebnissachlage!!

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