Fehlalarme, fehlende Daten, keine Anbindung

Holpriger Start des EU-Fälschungsschutzsystems in Europa

Berlin - 15.02.2019, 10:20 Uhr

Der Start des EU-weiten Fälschungsschutzsystem verlief in vielen europäischen Ländern sehr holprig, bis teilweise chaotisch. (c / Foto: Dragon Images/adobe.stock.com)

Der Start des EU-weiten Fälschungsschutzsystem verlief in vielen europäischen Ländern sehr holprig, bis teilweise chaotisch. (c / Foto: Dragon Images/adobe.stock.com)


Hierzulande gab es Befürchtungen, dass der Start des EU-weiten Fälschungsschutzsystems im Chaos enden könnte. Vereinzelt berichten Apotheker nun über Unsicherheiten. Schaut man sich in anderen Ländern Europas um, offenbaren sich aber noch viel größere Probleme: In Großbritannien ist nur die Hälfte der Apotheken angebunden, in Frankreich streiten sich die Apotheker mit dem Gesundheitsministerium noch um die Umsetzung des Systems und Norwegen spricht von „vielen Einschränkungen“. DAZ.online hat sich in einigen Ländern umgehört. Ein Überblick.

Die neuen EU-Vorgaben zum Fälschungsschutz sollten in allen 31 Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums bis zum 9. Februar umgesetzt werden. In allen EU-Staaten plus Liechtenstein, Norwegen und Island müssen Arzneimittel also mit zusätzlichen Sicherheitsmerkmalen, einem 2D-Code und einem Erstöffnungsschutz ausgestattet sein, zudem müssen Vorrichtungen zum Erkennen von Fälschungen getroffen werden. Eine Ausnahme gilt für Griechenland, Italien und Belgien – diese drei Länder haben bis 2025 Zeit bekommen, sich dem System anzuschließen, weil dort schon eigene Sicherheitssysteme installiert waren.

Beim neu installierten Fälschungsschutzsystem gilt in allen teilnehmenden Ländern das Ende-zu-Ende-Verifikationssystem: Das eine Ende ist der Hersteller, der ein Arzneimittel mit dem 2D-Code bedruckt und in Verkehr bringt. Das andere Ende ist die Apotheke, die den Code scannt und das Präparat abgibt. Dieses Verifikationssystem funktioniert zunächst auf nationaler Ebene: Der Hersteller speichert die individuellen Packungsmerkmale in einer nationalen Datenbank. Die Apotheker scannt das Präparat, greift somit auf den Server zu und kann die Packung letztlich ausbuchen.

Nationales und europäisches Verifikationssystem

Allerdings sind die nationalen Verifikationssysteme eingebettet in ein europäisches Netzwerk, um auch grenzüberschreitend den Patientenschutz zu gewährleisten. Dazu gibt es den sogenannten EU-Hub, der von der European Medicines Verification Organisation (EMVO) betrieben wird. Der EU-Hub sorgt für den Datenaustausch zwischen den einzelnen europäischen Ländern, er verbindet die nationalen  Verifikationssysteme. Heißt konkret: Um Fälschungen auch nach einem innereuropäischen Arzneimittelhandel feststellen zu können, müssen die Länder kommunizieren. Es muss klar sein, wo welche Packung herkommt und wo sie abgegeben wurde.

(Grafik: Securpharm)

Bei der Installation der nationalen Systeme gab es allerdings in einigen Ländern große Probleme in den vergangenen Monaten. Auch hierzulande war der Start holprig: Apotheker berichten von Fehlalarmen, vor dem Start wurde darüber spekuliert, ob auch wirklich alle Hersteller die individuellen Packungsmerkmale ins Verifikationssystem übertragen können. Doch Recherchen von DAZ.online zeigen, dass das Fälschungssystem in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut entwickelt ist. Hier einige Beispiele:

Streit in Frankreich, Warten auf den Brexit in UK

Großbritannien: Im Vereinigten Königreich heißt das Sicherheitssystem „SecurMed“. Die dahinter stehende Organisation teilte in der vergangenen Woche gegenüber dem „Pharmaceutical Journal“ mit, dass noch nicht einmal die Hälfte aller Apotheken zum 9. Februar an das Verifikationssystem angebunden gewesen sei. Die Arzneimittelbehörde MHRA erklärt sich die Startprobleme im Apothekerlager mit dem Brexit. Der EU-Ausstieg bringe Unsicherheiten mit sich. Man arbeite jetzt eng mit allen Beteiligten zusammen, um die Probleme zu lösen. Auch die Apothekerkammer Royal Pharmaceutical Society erklärt in dem Bericht, dass die Apotheker aufgrund des Brexits derzeit „abwarten und erst einmal beobachten, was passiert“.

Frankreich: Die französischen Systemteilnehmer können sich nicht auf den Brexit berufen – hier steckt das System sogar noch in größeren Schwierigkeiten. Denn die Apothekerverbände FSPF und USPO streiten sich seit Monaten mit dem Gesundheitsministerium um die Umsetzung des Fälschungsschutzes. Konkret fürchten die Apotheker, dass sich das viele Scannen negativ auf die Apotheker-Patienten-Beziehung auswirken könnte, indem Patienten verunsichert werden könnten. Medienberichten zufolge fordern die Apotheker, dass Arbeitsabläufe verringert werden. Das Ausbuchen der Präparate könnte beispielsweise bei der Warenannahme in der Apotheke geschehen, um das Scannen vom Patienten fernzuhalten, so ein Vorschlag der Apotheker.

Norwegen: Ein Sprecher des Apothekerverbandes teilte gegenüber DAZ.online mit, dass das Verifikationssystem zwar laufe, es gebe aber „viele Einschränkungen“. Zwar seien alle Apotheken an das System korrekt angebunden. Allerdings liege der Anteil verifikationspflichtiger Packungen am Markt bei unter 10 Prozent. Die Behörden seien deswegen in ständigem Austausch mit den Herstellern. Der Verbandssprecher konnte keine Angaben dazu machen, wann das System komplett funktioniere, das liege an den Herstellern. Er stellte zudem klar, dass das Fälschungsschutzsystem in Norwegen eher nach und nach, also schrittweise, eingeführt werde.

Niederlande: In den Niederlanden gab es auch kleinere Probleme. Einer Sprecherin zufolge brach das gesamte System einmal zusammen und war für etwa eine Stunde im ganzen Land nicht mehr erreichbar. Kurz vor Start (8. Februar) waren auch noch nicht alle Apotheken angebunden (95 Prozent). Trotzdem werde seit dem 9. Februar schon fleißig gescannt. Allerdings gebe es noch Probleme auf Herstellerseite: Einige Unternehmen könnten ihre Informationen nicht ins nationale System einspeisen. Zwischen allen Partnern sei vereinbart worden, dass man das Projekt innerhalb der kommenden vier Monate lückenlos zum Laufen bringen wolle, so die Sprecherin.

Lern- und Stabilisierungsphasen in anderen Ländern

Finnland: Eine Sprecherin der finnischen Arzneimittelbehörde erklärte gegenüber DAZ.online, dass die finnischen Apotheken ohne Probleme ans Netz angebunden worden seien und das System jetzt laufe. Allerdings gebe es einige Probleme dabei, mit den Fehlalarmen umzugehen. Wann der Umgang mit den Alarmen in den Apotheken gelöst werden könne, wollte die Sprecherin nicht beantworten.

Irland: Auch in Irland scheint es zumindest vereinzelte Probleme zu geben. Eine Sprecherin des Apothekerverbandes stellte klar, dass das nationale System in knapp 2.000 Vor-Ort- und Klinikapotheken sowie Großhandlungen laufe. Dies sei die „große Mehrheit“, die restlichen Teilnehmer würden bald angeschlossen. Ohnehin habe man in Irland aber festgelegt, dass das System „pragmatisch“ eingeführt werden solle, so die Sprecherin. Heißt konkret: Der 9. Februar war hier keine fixe Deadline, vielmehr befinde sich das System derzeit in einer „Benutzungs- und Lernphase“. „Deswegen müssen Großhändler, Apotheken und Kliniken die Packungen zwar scannen. Falls ein Fehlalarm ausgelöst wird, sollen die Packungen aber trotzdem weiter- bzw. abgegeben werden“, so die Sprecherin. Eine Abgabe müsse derzeit nur verhindert werden, wenn es „Bedenken“ gebe, die auf eine Fälschung hindeuten. In drei Monaten werde das System erneut auf seinen Status hin überprüft.

Schweden: Auch in Schweden scheint es ernsthafte Probleme mit der Datenbank zu geben. Ein Sprecher des Apothekerverbandes erklärte gegenüber DAZ.online, dass das System inzwischen laufe. „Es gibt aber bedeutende Probleme, das größte darunter ist, dass viele Packungen in der Datenbank einfach nicht aufgelistet sind und fehlen.“ Die Apotheken seien aber alle angebunden.

Österreich: So wie einige andere Ländern betrachtet auch Österreich den 9. Februar nicht als „harte“ Deadline. Die in Österreich für das Verifikationssystem zuständige Organisation AMVO teilt auf ihrer Internetseite mit, dass es in den ersten sechs Monaten, also bis August 2019, eine „Stabilisierungsphase“ geben werde. „In dieser Zeit haben alle beteiligten Personen und Organisationen die Möglichkeit, auffällige Prozess- und Anwendungsfehler zu erkennen und zu beheben. Auftretende Daten-, Software- und Handling-Probleme sollen zu keinen weiteren Konsequenzen führen“, heißt es dort. Anfang Januar teilte die Organisation mit, dass 90 Prozent aller Verträge mit den Apotheken, Kliniken und Ärzten abgeschlossen seien.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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