Bottrop aus Sicht der behörden

„Bottrop ist ein Apothekerskandal und kein Apothekenskandal“

Hamburg - 30.01.2019, 10:05 Uhr

Zytostatika: Beim Abwägen der Maßnahmen muss die Arzneimittelsicherheit über allem stehen. (s / Foto: dpa)

Zytostatika: Beim Abwägen der Maßnahmen muss die Arzneimittelsicherheit über allem stehen. (s / Foto: dpa)


„Bottrop ist ein Apothekerskandal und kein Apothekenskandal“ – das erklärt Dominique-André Busch, Regierungsrat im NRW-Gesundheitsministerium. Das Land hat seine Apothekenüberwachung neu geordnet – drohen jetzt Industrienormen? Warum soll die Partikelzahlmessung erhöht werden? Der Regierungsrat antwortete den Apothekern beim 27. onkologisch-pharmazeutischen Fachkongress NZW am vergangenen Wochenende in Hamburg.

Dass Bottrop nur Verlierer kennt, erklärte Michael Marxen, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) und selbst Zytoapotheker, am vergangenen Wochenende beim 27. NZW in Hamburg. Patienten seien verunsichert, Apotheker stünden unter Generalverdacht und auch die Behörden könnten bei Bottrop nur verlieren.

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Dennoch stellte sich Dominique-André Busch, Regierungsrat am Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen den onkologischen Pharmazeuten beim NZW. Und Fragen gab es – auch wegen des neuen Konzepts zur Apothekenüberwachung in NRW.

Vertrauensverlust in pharmazeutische Versorgung ist groß

„Ich halte es für außerordentlich wichtig, zu kommunizieren, wie solche Entscheidungen zustande gekommen sind und warum die Apothekenüberwachung so nun so durchgeführt wird“, erklärte Busch.

Der Skandal sei „unsäglich“ – niemand wisse genau, wer die fehldosierten Arzneimittel erhalten habe, die Betroffenen seien verunsichert, und „der Vertrauensverlust in die pharmazeutische Versorgung ist riesig“, sagte der Regierungsrat.

Dass dieser Vertrauensverlust alle Apotheker, die Behörden und die Politik trifft und somit gleichzeitig eine Mehrheit der Wohlschaffenden in Misskredit bringt, lässt sich bei Skandalen dieser Art selten vermeiden. Doch: „Bottrop ist ein Apothekerskandal und kein Apothekenskandal – das ist mir wichtig“, konstatierte Busch.

Amtsapotheker sollen jede Herstellung persönlich überwachen

Auch Patienten fordern im Nachgang zu Bottrop ein besseres Überwachungssystem – Busch hatte den onkologischen Pharmazeuten einige dieser Patientenforderungen beispielhaft mitgebracht. Diese reichen von der persönlichen Überwachung jeder Herstellung durch einen Amtsapotheker bis hin zu ausschließlich unangekündigten Kontrollen der Apotheken und wöchentlichen Probenzügen. Auch der Abgleich von Warenein- und Warenausgang soll mehr Sicherheit in die Arzneimittelherstellung bringen.

Verbindliche Erklärung von ADKA, DGOP und VZA

Die Selbstverwaltung der Apotheker hatte im Nachgang zu Bottrop unter Federführung der Apothekerkammern Westfalen-Lippe und Nordrhein mit dem Verband der Zytostatika herstellenden Apotheken (VZA) und dem Bundesverband der Deutschen Krankenhausapotheker (ADKA) sowie der DGOP eine verbindliche Erklärung der zytostatikaherstellenden Apotheken zum Ausschluss eines Betrugs wie in Bottrop erarbeitet.


Kriminelles Handeln Einzelner lässt sich nicht verhindern, nur erschweren.“

Dominique-André Busch


Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte auf den Bottroper Zytoskandal um Peter S. reagiert und die Apothekenüberwachung in NRW neu geordnet – „innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens“, betonte der Vertreter des Ministeriums. Das hohe Ziel: „Ein solcher Fall darf sich niemals wiederholen“. Doch Busch weiß auch: „Kriminelles Handeln Einzelner lässt sich nicht verhindern, nur erschweren“.

Apothekenüberwachung in NRW

Die Apothekenüberwachung organisiert jedes Land anders. In Nordrhein-Westfalen funktioniert die Arzneimittelüberwachung auf allen Verwaltungsebenen. Die Ebene der Bezirksregierung ist für die Herstellerüberwachung zuständig, die Apothekenüberwachung findet auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte statt.

Apothekenüberwachung ist eigentlich Bundesrecht. Doch Busch betont: „Es geht nur in einem bundesrechtlichen Rahmen“. Die Länder führten dieses Bundesrecht nach Artikel 83 Grundgesetz in eigener Angelegenheit aus, also auch das Apothekengesetz und das Arzneimittelgesetz. Das verschaffe einen gewissen Handlungsspielraum, habe aber auch Grenzen, so Busch.

Die Überwachung vor Ort übernehmen in NRW die Amtsapotheker bei den Gesundheitsämtern oder Gesundheitsbehörden.

„Früher war nichts geregelt – das stimmt nicht.“

§ 64 AMG regelt die Überwachung von „Betrieben und Einrichtungen, in denen Arzneimittel hergestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in den Verkehr gebracht werden, in denen sonst mit ihnen Handel getrieben wird oder die Arzneimittel einführen oder in denen mit den genannten Tätigkeiten im Zusammenhang stehende Aufzeichnungen aufbewahrt werden“, und sieht eine sogenannte risikobasierte Überwachung vor. Das heißt, man müsse sich als zuständige Behörde über das Risikoprofil des jeweiligen Betriebes Gedanken machen, dabei das Inspektionsintervall festlegen und auch berücksichtigen, wie die Überwachungsergebnisse in der Vergangenheit gewesen seien, erklärte Busch.

Ist-Stand-Erhebung der Apothekenüberwachung

„Bislang war es so, dass die Überwachungsbesuche in der Regel angekündigt waren“, sagt Busch. Die Überwachungsbehörden haben bis 30. Juni 2018 eine Ist-Stand-Erhebung durchgeführt: unangekündigte Inspektionen anhand einheitlicher Verfahrensanweisungen und das in allen Apotheken mit onkologischer Herstellung. Alle Proben wurden laut Busch amtlich untersucht. Die Überwachung der Schwerpunktapotheken sei sodann eingegliedert worden in das Gesamtkonzept der Apothekenüberwachung in NRW.

Die Ergbebnisse dieser Apothekenüberwachung bis 30.Juni 2018: 
116 Apotheken in NRW stellen Onkologika her, 99,2 Prozent der gezogenen Proben (122 von 123) waren nicht zu beanstanden. Zwei Drittel der Proben wurden aus der laufenden Produktion genommen, und das ganze Marktspektrum dabei abgedeckt – von herkömmlichen Zytostatika bis Antikörper.

In einer einzigen Probe fanden die Behörden einen Mindergehalt von 15 Prozent – aber auch bei diesem Betrieb zeigte sich nach erneuter Probennahme laut Busch keine erneute Auffälligkeit, „systematische Fehler wurden nicht entdeckt“. Woran die erstere Abweichung lag, wisse man nicht.

Das neue NRW-Überwachungskonzept sieht dem Ministeriumsvertreter zufolge nun mindestens einmal jährliche, unangemeldete Personalkontrollen vor. Das bedeutet: Die Behörden prüfen hierbei lediglich, ob ein Apotheker anwesend ist. Bei zytostatikaherstellenden Apotheken werde zudem geschaut, ob das pharmazeutische Personal vor Ort genüge, „um vernünftig herzustellen.“


Systematische Unterdosierungen wie im Fall Bottrop wurden nicht gefunden.“

Dominique-André Busch, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen zur Ist-Stand-Erhebung der Apothekenüberwachung in NRW


Weiterhin finde mindestens einmal jährlich und unangemeldet ein Probenzug statt. Eine Vollremmission werde in den Schwerpunktapotheken mit § 34 (Patientenindividuelles Stellen oder Verblistern von Arzneimitteln) und § 35 (Herstellung von Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung) Apothekenbetriebsordnung alle zwei Jahre unangemeldet durchgeführt, in „normalen“ Apotheken alle drei Jahre. „Wir haben keine Regelungskompetenzen, aber wir haben innerhalb des gesetzlichen Rahmens, das ausgeschöpft, was möglich ist“, erklärte Busch.

Busch und Marxen stimmten überein, dass die Arzneimittelsicherheit beim Abwägen der Maßnahmen über allem stehen muss. 

Drohen Industrienormen? Was ist mit Verwürfen?

„Innerhalb des gesetzlichen Rahmens“ – das birgt unter Umständen Interpretationsspielraum. Die Apotheker aus NRW zeigen sich verunsichert: Werden industrielle GMP-Standards angelegt? Warum erfolgt die Partikelzahlmessung plötzlich kontinuierlich? Zahlreiche Fragen erreichten die DGOP, denen Busch sich beim NZW stellte.


Wir sehen die Gefahr der Einschleppung von nicht sachgerechten Industrievorgaben durch GMP-Inspektoren übergeordneter Behörden, die zwar mit der Arzneimittelherstellung nach § 13 AMG, nicht aber mit den Besonderheiten der Rezepturherstellung nach § 35 Apothekenbetriebsordnung vertraut sind.“

Apotheker aus Mönchengladbach


Industrienormen werden nicht verschleppt

Die Verunsicherung des Apothekers ziele darauf ab, „dass wir ein nun Vier-Augen-Prinzip für die Überwachung der Zytoapotheken eingeführt haben“, antwortete Busch. Es sei jedoch nicht gewollt oder vorgesehen, dass stets ein GMP-Inspektor der Bezirksregierung der Überwachung beiwohne. Es sei vielmehr gewollt, dass aus Qualitätssicherungsgründen Amtsapotheker zusammen die Inspektionen durchführten, um eine Einheitlichkeit und hohe Standardisierung zu sichern.

„Ich mache mir wenig Sorgen darüber, dass man Industrienormen verschleppt“, entwarnt Busch. Man müsse die Funktion des Amtsapothekers im Staatsgefüge sehen: „Der Amtsapotheker führt ein Gesetz aus, er arbeitet innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens. Nur weil ein GMP-Inspektor mitkommt, wird deswegen nicht EU-GMP angewendet werden“, so der Regierungsrat.


Eine kontinuierliche Partikelzahlmessung steht in keinerlei Zusammenhang zum Fall Bottrop (...). Sie bringt auch keine zusätzliche Sicherheit (...). Die Forderungen wurden gestellt, um etwas getan zu haben. Sinnvoll sind hingegen regelmäßige unangemeldete Kontrollen mit Entnahme von Proben (...). Es kann aber bei ständig sinkender Gewinnspanne nicht von den Apothekern verlangt werden, die anfallenden Kosten dafür selbst zu tragen (...). Eine Kostenübernahme durch Kassen oder Staat sollte im GSAV geregelt werden.“

Apotheker aus Köln


Partikelzahlmessung: keine Konsequenz aus Bottrop

„Die Partikelzahlmessung, wie wir sie jetzt fordern, hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Fall Bottrop zu tun. Das ist keine Konsequenz aus Bottrop“, so Busch. Das Thema sei im Rahmen der Erstellung einer Verfahrensanweisung aufgekommen. In § 35 Apothekenbetriebsordnung stehe, die Partikelzahl sei während der Herstellung zu messen. „Das ist eine abschließende Regelung, die den Ermessensspielraum auf Null setzt“, sagte der Ministeriumsvertreter. „Wir setzen einfach nur die Apothekenbetriebsordnung als bundesrechtliche Vorschrift um“.

Laut Busch wird somit einfach Bundesrecht konsequent umgesetzt. Das mag verwundern, denn „das Bundesrecht ist unverändert, es wird aber plötzlich nach Bottrop anders interpretiert“, merkte Michael Marxen stellvertretend für die DGOP an. „Das Land NRW interpretiert den Begriff, dass während der Herstellung Partikel zu messen sind, nach Bottrop als kontinuierlich“. Die Folge: Apotheker müssen nun verpflichtend ein Partikelzählgerät bei der Herstellung parenteraler Zubereitungen unter der Werkbank einbauen, das bedeutet zusätzlichen Aufwand und Kosten. Busch widerspricht heftigst: Man könne in jede Rechtsnorm in Deutschland hineininterpretieren, dass man sich nicht jedes Mal daran halten müsse – „faktisch muss ich das aber“, so Busch. Letztlich zeigte sich der Regierungrat durchaus kooperativ: „Wir lassen uns auch eines Besseren belehren“, man habe es nun aber zunächst einmal einheitlich geregelt, weil dies zuvor nicht der Fall gewesen sei.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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