Die Briten und der Brexit

„Keep calm and carry on”

Remagen - 28.01.2019, 09:00 Uhr

Der
Slogan eines
Propaganda-Posters der britischen Regierung von 1939 passt auch in Zeiten des Brexits. (c / Foto: imago)

Der Slogan eines Propaganda-Posters der britischen Regierung von 1939 passt auch in Zeiten des Brexits. (c / Foto: imago)


Der Slogan „Ruhig bleiben und weiter machen“ schmückte ursprünglich ein Propaganda-Poster der britischen Regierung von 1939, mit dem die Moral der Bevölkerung im Falle eines schweren Militärschlags gestärkt werden sollte. Heute ist er in Großbritannien zum geflügelten Wort geworden. Wann würde der Slogan besser passen als jetzt? Was machen das Gesundheitsministerium, die Industrie und die Apotheker, um schlimmere Folgen eines sehr wahrscheinlichen „No-Deal“-Brexit-Szenarios abzuwenden?

Die britische Regierung scheint weiterhin keinen rechten Plan zu haben, wie sie den Brexit am ehesten ohne große Flurschäden bewerkstelligen soll. Im Gesundheitswesen sind die Industrie und die Versorger, darunter auch die Apotheker, schon seit Monaten in „Habachtstellung“, weil sie nicht wissen, was kommt. So langsam sehen sie allerdings ein kleines bisschen klarer, denn der Austritt ohne Abkommen und ohne Sonderregelungen scheint derzeit so gut wie unausweichlich. Wie bereiten sich die Briten, die dafür bekannt sind, hart im Nehmen zu sein, darauf vor?

Notvorräte von Arzneimitteln für sechs Wochen

Schon im Sommer des letzten Jahres mehrten sich im britischen Gesundheitssektor Befürchtungen, dass im Falle eines harten Brexits bestimmte Arzneimittel entweder knapp werden oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Nach einer Analyse der Versorgungskanäle präsentierte das Gesundheitsministerium schließlich am 21. Dezember 2018 Leitlinien, mit denen sich die Akteure des Arzneimittelsektors auf dieses Szenario einstellen sollten (EU Exit Operational Readiness Guidance). Hierin wird die Industrie dazu aufgefordert, Notfall-Lagerbestände für rezeptpflichtige und OTC-Arzneimittel vorzuhalten, die jeweils für sechs Wochen ausreichen. Arzneimittel mit einer kurzen Haltbarkeitsdauer sollten notfalls eingeflogen werden können. Die Regierung sagte zu, Vorkehrungen für eine schnelle und gegebenenfalls bevorzugte Abfertigung beim Schifftransport zu treffen. Welche Präparate wirklich fehlen könnten, weiß aber scheinbar niemand.

Zulassungen sollen übernommen werden

Was die Aufrechterhaltung der europäischen Arzneimittelzulassungen in UK anbelangt, so gibt sich die britische Arzneibehörde MHRA pragmatisch. Anfang Januar 2019 kündigte sie für den Fall eines No-Deal-Brexits an, alle zentralen Zulassungen automatisch anerkennen zu wollen, womit die Präparate in Großbritannien weiter verkehrsfähig wären. Auch Parallelimporte aus der EU oder dem EWR sollen weiter vermarktet werden dürfen und Rezepte aus der EU beziehungsweise dem EWR weiter anerkannt werden. Rechtlich ist das aber noch nicht in trockenen Tüchern.

Apotheker organisieren sich im Brexit-Forum

Die öffentlichen Apotheker bringen sich ebenfalls in die Vorbereitung auf den Austritt des Landes aus der EU ein. Hierzu hat die Verhandlungsführung der Offizinpharmazie gegenüber dem NHS, das Pharmaceutical Services Negotiating Committee (PSNC), im Juli 2018 ein Brexit-Forum eingerichtet. Gründungsmitglieder sind die Apothekenleiter der unabhängigen Apotheken, die in der National Pharmacy Association organisiert sind, die Association of Independent Multiple Pharmacies, die Royal Pharmaceutical Society sowie die Verbände der dispensierenden Ärzte und der Arzneimitteldistributeure. Über das Forum war die Apothekerschaft aktiv und kontinuierlich an den Beratungen mit dem Ministerium beteiligt.

Apotheken haben wenig Spielraum

Im Dezember 2018 hatte das PSNC ein Briefing zu dem Maßnahmenplan des Gesundheitsministeriums von Dezember 2018 für die Apotheker herausgegeben, in dem die Aspekte, die die Offizinpharmazie betreffen, besonders herausgestellt werden.

Dabei bleibt den Apotheken wenig Spielraum, denn sie können die Versorgung von außen nicht beeinflussen. Außerdem fordert die Regierung die Apotheken dazu auf, in dieser Situation keine zusätzlichen Arzneimittelvorräte anzulegen. Sie sollen auch die Patienten instruieren, dies nicht zu tun. Hausärzte und andere Mediziner sollen keine Verschreibungen über längere Zeiträume ausstellen. Hiermit soll verhindert verhindern, dass es landesweit zu Ungleichgewichten in der Versorgung kommt. Der NHS soll kontrollieren dürfen, ob die Apotheken sich auch daran halten.

Mehr Kompetenzen bei Lieferengpässen

Außerdem will die britische Regierung die Apotheker des Landes mit einer weiteren Maßnahme auf den „Ernstfall“ nach dem Brexit vorbereiten. Hierzu bekommen sie sogar mehr Kompetenzen. Bei schwerwiegenden Arzneimittelverknappungen sollen sie Medikamente ohne vorherige Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt substituieren dürfen. Dies soll durch die Einführung eines „serious shortage protocol“ (Protokoll für schwerwiegende Mängel) legitimiert werden, das in solchen Fällen vom Ministerium herausgegeben werden kann. In dem präparatebezogenen Protokoll soll eindeutig ausgewiesen sein, welche alternativen Medikamente abgegeben werden dürfen und an welche Patienten. Nach dem Vorschlag sollen hierfür vier Möglichkeiten in Frage kommen: die Abgabe einer geringeren Menge, eines therapeutischen oder generischen Äquivalentes oder einer alternativen Darreichungsform. Der Gesetzentwurf dazu liegt seit Kurzem vor. Das Gesetz soll im frühen Februar in Kraft gesetzt werden.

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„Wir haben es einfach satt“

Claire Ward, ehemalige Labour-Abgeordnete und derzeitige Direktorin für öffentliche Angelegenheiten der Pharmacists' Defense Association (PDA), findet klare Worte für die Situation der britischen Apotheker im Hinblick auf den Brexit. Sie stünden zwischen Baum und Borke, denn sie hätten keine Kontrolle über die Medikamentenversorgung ihrer Patienten, meint Ward. Selbst wenn ein Arzneimittel vorrätig sei, könnten sie vielleicht den Preis nicht mehr garantieren, weil sie auf teurere Alternativmedikamente ausweichen müssten. Sie dürften keine Vorräte anlegen und liefen gleichzeitig Gefahr, dass einige Großhändler sie nicht ausreichend belieferten, etwa weil sie ihre eigenen vertikal integrierten und eigenen Apotheken oder ihre besten Kunden bevorzugten. Dies würde besonders die unabhängigen Apotheken treffen. „Wir haben die ganze traurige Geschichte einfach satt“, schreibt Claire Ward.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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