KV-Impfsurveillance

Kann man sich an einer Impfung mit Grippe anstecken?

Berlin - 28.01.2019, 10:20 Uhr

Stehen Niesen und Kopfschmerzen im Zusammenhang mit der Impfung? Das fragen sich viele Patienten nach einer Vakzination, wenn sie sich schlapp fühlen. (Foto: Patrizia Tilly / stock.adobe.com)

Stehen Niesen und Kopfschmerzen im Zusammenhang mit der Impfung? Das fragen sich viele Patienten nach einer Vakzination, wenn sie sich schlapp fühlen. (Foto: Patrizia Tilly / stock.adobe.com)


Kann man sich an einer Grippeimpfung mit Grippe anstecken? Apotheker und Ärzte wissen: nein. Woher kommen aber die plötzlichen Kopfschmerzen, die Abgeschlagenheit und die Erkältung – mögen sich manche Geimpfte nach der Impfung fragen? Impfnebenwirkung oder purer Zufall? Mit Hilfe der KV-Impfsurveillance lassen sich solche Fragen beantworten. Das zeigte Wiebe Külper vom Robert-Koch-Institut bei der Fachtagung  „15 Jahre KV-Impfsurveillance“ vergangene Woche in Berlin.

Stehen zwei Ereignisse in einem zeitlichen Zusammenhang, wird häufig auch eine Kausalität vermutet – sehr beliebt ist dieses gedankliche Experiment bei Impfungen. Wenn die Geimpften also nach einer Grippeimpfung vermehrt niesen, sich vielleicht noch schlapp fühlen und an Kopfschmerzen leiden, kommen sie – so sie nicht Angehörige der Heilberufe sind – nicht selten auf die Idee, sie hätten sich doch sicherlich an dieser Grippeimpfung mit Grippe doch erst angesteckt. Denn, so die Überlegung: Kann es gesund sein, sich Krankheitserreger in seinen Körper injizieren zu lassen?

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Auf die Idee, dass die Geimpften – völlig unabhängig von der Grippeimpfung – sich mit Erkältungsviren angesteckt haben oder dass sie sich unter Umständen bereits vor der Impfung mit Grippeviren infiziert hatten oder trotz Impfung an Influenza erkranken, kommen bei weitem nicht alle Impflinge. Vielleicht hat es sich auch noch nicht ausreichend und konsequent herumgesprochen, dass es zwei Wochen dauert, bis sich ein vollständiger Impfschutz nach Vakzination entwickelt. Und auch dass es schlicht und einfach eine normale Impfreaktion auf die Vakzine sein könnte, weisen manche Patienten vehement von sich.

Seltene UAW nur bei breiter Anwendung offenbar

Nun kann man diesen hartnäckigen Irrglauben bei der Grippeimpfung noch relativ einfach und plausibel ausmerzen – oder es zumindest versuchen. Schließlich sind – bis auf Fluenz® Tetra mit einem sehr eingeschränkten Indikationsalter von zwei bis 17 Jahren – alle in Deutschland verfügbaren Vakzine Totimpfstoffe. Mehr noch: Influenzavakzine sind Spaltimpfstoffe, die kein ganzes Viruspartikel mehr enthalten, sondern nur „Schredderteile“, lediglich Oberflächenantigene, die nicht infektiös sind. Es ist also völlig unmöglich, sich mit den tetravalenten Influsplit®, Influvac® oder Vaxigrip® und ab nächster Saison auch Flucelvax®, mit Grippe zu infizieren.

Wie lassen sich aber „vermutete Impfreaktionen“ nach einer Impfung tatsächlich einordnen? Diese Frage zu beantworten, ist nicht ganz trivial. Das erklärte auch Wiebe Külper vom Robert-Koch-Institut (RKI) bei der KV-Impfsurveillance am Mittwoch in Berlin. Tatsächlich ist es schwierig, seltene Erkrankungen, die nach einer Impfung auftreten, sodann auch einzuordnen. Eine Kausalität zwischen Impfung und Erkrankung lässt sich meist erst durch weitere große Studien belegen – oder eben widerlegen: „Seltene Nebenwirkungen lassen sich auch im Rahmen großer klinischer Zulassungsstudien teilweise nicht detektieren, sie zeigen sich erst bei breiter Anwendung“, so Külper.

UAW-Meldesystem abhängig vom Engagement der Ärzte

Diese „breite Anwendung“ findet erst nach Marktzulassung des Impfstoffes statt. Allerdings ist „die breite Anwendung nun auch kein Selbstläufer für diese wichtigen und wertvollen Nebenwirkungsdaten oder die passive Surveillance von Impfnebenwirkungen – denn es braucht jemanden, der sie meldet. Das Infektionsschutzgesetz sieht eine namentliche Meldepflicht für Ärzte vor, zusätzlich besteht für Angehörige anderer Heilberufe – also auch Apotheker – die berufsrechtliche Verpflichtung, Impfnebenwirkungen zu melden. Darüber hinaus können Betroffene auch direkt ans Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden. Generell leidet Deutschland eher an Underreporting – „das liegt an der Meldebereitschaft. Ärzte sind nicht wahnsinnig gut im Melden“, so die Medizinerin.

Was hilft: Wenn man die vermutete Impfnebenwirkung anhand des „üblichen“ Auftretens der Erkrankung einordnen kann – und so auch die über das zu erwartende Maß hinausgehende Reaktionen/ Erkrankungshäufungen (=Signal möglicher Nebenwirkungen) bewerten.

Hier leisten die Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen wertvolle Dienste. Zur Erklärung: 2004 begannen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) dem RKI und dem Zentralinstitut ihre Abrechnungsdaten zur Verfügung zu stellen, seit 2006 beteiligen sich daran nun all 17 KVen. Und durch die Größe des Datensatzes lassen sich auch seltene Ereignisse abbilden.

Erkrankungsinzidenz vor und nach Impfung

Doch wie helfen diese Abrechnungsdaten nun, Impfnebenwirkungen zu detektieren? Anhand der Daten lassen sich Inzidenzen vor und nach Einführung eines neuen Impfstoffes bewerten und auch Erkrankungsinzidenzen von Geimpften versus Nicht-Geimpften.

Aktuell steht diese „Prozedur“ dem neuen Herpes-Zoster-Impfstoff Shingrix bevor. Zugelassen im Mai 2018 ab dem 50. Lebensjahr, gilt Shingrix seit Dezember 2018 als Standardimpfung ab 60 Jahren und als Indikationsimpfung für 50-Jährige mit Grunderkrankungen oder Immunschwäche. GSK setzt bei Shingrix ein neues Adjuvans ein, das die zelluläre und humorale Immunantwort des Immunsystems verstärkt. „Denn ähnlich, wie wir im Alter graue Haare bekommen, bekommt auch unser Immunsystem graue Haare und reagiert nicht mehr so gut auf eine Impfung“, erklärt Külper.

Macht das Shingrix-Adjuvans mehr Nebenwirkungen?

Die Überlegung ist, auch wenn Studien hier bislang noch keine Hinweise geliefert haben, ob durch das neue Adjuvans im Zoster-Impfstoff immunvermittelte Reaktionen vermehrt auftreten. So ermittelte Wiebe Külper 18 Erkrankungen – primäre immunvermittelte Erkrankungen oder auch häufige Erkrankungen, der zu impfenden Personen – das waren in Studien unter anderem Rheumatoide Arthritis oder Psoriasis oder Polymalgia rheumatica. Die Beobachtung lief über vier Jahre an 1,2 Millionen GKV-Patienten in Berlin und analysierte die Neuerkrankungen anhand neu dokumentierter Abrechnungsdiagnosen. Diese Daten liefern so das Hintergrundrauschen dieser immunvermittelten Erkrankungen in unterschiedlichen Altersgruppen. Mit den Jahren der Anwendung, stehen diese Daten auch für Shingrix-Geimpfte zur Verfügung. Eine solche Betrachtung kann aktuell nur beginnen, da Shingrix tatsächlich erst seit Kurzem verimpft werden darf. Allerdings lassen sich sodann die immunvermittelten Erkrankungen vor und nach der Impfung beziehungsweise von Geimpften und Nichtgeimpften vergleichen - völlig unabhängig von der Meldefreudigkeit der Heilberufler.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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