Genderpharmazie

Ältere Frauen erhalten häufig unpassende Arzneimittel 

Berlin - 25.01.2019, 14:30 Uhr

Ist die Pharmakotherapie zu männlich? Frauen sind in klinischen Studien unterrepräsentiert und erhalten häufiger die falschen Arzneimittel. ( r / Foto: imago)

Ist die Pharmakotherapie zu männlich? Frauen sind in klinischen Studien unterrepräsentiert und erhalten häufiger die falschen Arzneimittel. ( r / Foto: imago)


Die Pharmakotherapie bei Frauen ist inadäquat – insbesondere bei Älteren. Zu diesem Schluss kamen die Professoren Gerd Glaeske und Wolf-Dieter Ludwig auf dem BMC-Kongress am vergangenen Mittwoch in Berlin. Aus Sicht der Arzneimittelexperten muss der Frauenanteil in klinischen Studien näher am Behandlungsalltag liegen. Außerdem sollte die Möglichkeit geschaffen werden, unpassende Verschreibungen zu sanktionieren.  

Berlin hat entschieden und feiert als Bundesland am 8. März den Frauentag. Doch wie weit ist die Gleichberechtigung in der Realität angekommen – etwa bei der Arzneimitteltherapie? Bei der medikamentösen Behandlung von Frauen gibt es offenbar noch Luft nach oben, finden Professor Gerd Glaeske (Universität Bremen) und Professor Wolf-Dieter Ludwig (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft). Weshalb, erklärten die Arzneimittelexperten auf dem Kongress des Bundesverbands Managed Care (BMC) am vergangenen Mittwoch in Berlin.

Studienpopulationen passen nicht zum Behandlungsalltag

Für Mediziner Ludwig liegt ein Problem in der klinischen Forschung. So seien Frauen in den Populationen von vielen Zulassungsstudien entweder unter- oder überrepräsentiert. Insbesondere bei onkologischen oder kardiovaskulären Indikationen sei der Frauenanteil zu gering. Außerdem seien die Studienpatienten häufig im Mittel zu jung. Tumore und koronare Herzerkrankung seien jedoch typische Altersindikationen. „Eine Studienpopulation soll die Population widerspiegeln, die damit behandelt wird“, betonte Ludwig.

Diese Forderung klingt einleuchtend. Und hat auch Einzug in wissenschaftliche Leitlinien wie beispielsweise von der American Society of Clinical Oncology oder der EMA gefunden. Doch weshalb unterscheiden sich die Studienpopulationen dennoch von der Behandlungsrealität? Gerade ältere oder multimorbide Patienten seien schwieriger zu rekrutieren und verursachen mehr Aufwand, mutmaßte Ludwig.

Priscus-Liste unzureichend umgesetzt

Doch für den Behandlungsalltag wäre ein solcher Abgleich wichtig, darüber sind sich beide Referenten einig. „Die Ergebnisse bei einem 40-jährigen Mann lassen sich nicht auf eine 70-jährige Frau übertragen“, betonte Glaeske. Doch neben Defiziten bei der klinischen Forschung gibt es aus Sicht des Pharmazeuten bei der Arzneimitteltherapie von Frauen, insbesondere von älteren, noch ein weiteres Problem.

Und zwar bekommen insbesondere ältere Frauen häufiger Medikamente, die für sie nicht geeignet seien. Und welche Arzneimittel im Alter riskant sein können, habe die sogenannte Priscus-Liste, die im Jahr 2010 veröffentlicht wurde, definiert. Diese Liste umfasse 83 Wirkstoffe, darunter einige Psychopharmaka wie beispielsweise Amitriptylin oder Benzodiazepine.

Doch insbesondere diese bekommen Frauen um ein vielfaches häufiger verordnet als Männer, wie der aktuelle Arzneimittelreport der Barmer gezeigt hatte. Dem Barmer-Report zufolge sei der Anteil der „Priscus-Arzneimittel“ seit der Publikation der Liste nur geringfügig zurückgegangen. Unangemessene Verordnungen hätten auch ökonomische Konsequenzen, so Glaeske. So seien einer weiteren Statistik zufolge etwa 30 Prozent der Krankenhauseinweisungen auf unangemessene Verordnungen zurückzuführen.

Glaeske: unangemessene Verordnungen sanktionieren

Und wie lassen sich hier Verbesserungen erzielen? Glaeske schlug unter anderem vor, dass die Kassen Verordnungen, die für bestimmte Zielgruppen ungeeignet seien, sanktionieren sollen. „Es gibt nichts, was Ärzte mehr dazu motiviert. Etwas zu ändern als Geld“, so der Pharmaökonom. Außerdem nahm Glaeske in seinem Fazit auch die Politik in die Pflicht. Wenn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) darüber entscheiden wolle, ob eine Fettabsaugung von der Krankenkasse bezahlt werden solle, dann könne die Politik offenbar in der Versorgung viel bewirken.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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