KV-Impfsurveillance

RKI-Präsident: „Der zusätzliche Nutzen eines Impfregisters ist für mich nicht erkennbar“

Berlin - 25.01.2019, 10:15 Uhr

Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. ( r / Foto: rki.de)

Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. ( r / Foto: rki.de)


Braucht Deutschland ein Impfregister? Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Prof. Dr. Lothar H. Wieler, vertritt hier eine klare Position. Er sieht in der KV-Impfsurveillance ein deutlich kostengünstigeres Tool – in Zeiten der DSGVO sei der Aufwand für ein Register enorm. Allerdings behindert die DSGVO auch die optimale Nutzung der KV-Daten. Daten- oder Gesundheitsschutz? Was wiegt schwerer? Spannende Themen bewegten die Teilnehmer der 15. KV-Impfsurveillance am Mittwoch in Berlin.

Was ist die KV-Impfsurveillance eigentlich? Ganz trivial: Sie liefert Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und das bereits seit 15 Jahren. Allerdings zeigen sich erst seit 2006 alle 17 KVen hier so kooperativ. Dass Daten wertvoll sind, wissen nicht nur Google, Facebook und Whatsapp. Auch für das Robert Koch-Institut (RKI) sind die Daten der KV-Impfsurveillance „zu einer unverzichtbaren Säule im Impfsystem Deutschlands geworden“, erklärte der Präsident des RKI am vergangenen Mittwoch in Berlin auf der gemeinsamen Fachtagung von RKI und Zentralinstitut: „15 Jahre KV-Impfsurveillance – Instrument für ein bundesweites Impfmonitoring auf Basis vertragsärztlicher Abrechnungsdaten.“ Im Gegensatz zu Facebook & Co. nutzt das RKI die Daten aber nicht gewerblich, das Institut will die gesundheitliche Versorgung der Menschen optimieren.

Schuleingangsuntersuchungen ungeeignet für Impfquoten

Was viele wissen: Die Impfquoten bei Influenza sind schlecht. Doch dass Impfquoten überhaupt ermittelt werden können, ist tatsächlich noch gar nicht so lange möglich. Denn: Eine bundesweit einheitliche Erhebung von Impfquoten begann erst mit dem Infektionsschutzgesetz 2001. Schuleingangsuntersuchungen dienten hier zunächst als Datenquelle. Dies ist natürlich reichlich spät, manche Impfschemata sind bei Kindern mit sechs oder sieben Jahren bereits abgeschlossen. Auch für die Influenzaimpfungsquote der über 60-Jährigen eignet sich dieses Tool ganz offensichtlich nicht.


Impfungen gehören zu den besten Public-Health-Maßnahmen, die es gibt, sie sind von politischem Interesse."

Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI


Die Erhebung der Abrechnungsdaten aus den Kassenärztlichen Vereinigungen bot schließlich die Möglichkeit, ein einheitliches Erfassungssystem für Impfungen und impfvermeidbare Krankheiten aufzubauen; weil Abrechnungsdaten nun einmal für jede Altersgruppe vorliegen.

Wozu braucht das RKI Impfdaten?

Den Nutzen der wertvollen Impfsurveillance-Daten bricht der RKI-Präsident auf vier Faktoren herunter: „Mit dieser Impfsurveillance können vier ganz wichtige Public-Health-Punkte analysieren: Wir bekommen Einblicke in Impfquoten, wir können Effekte von Impfungen auf die Epidemiologie von Erkrankungen übertragen, wir können die Wirksamkeit von Impfungen evaluieren und wir können Impfnebenwirkungen besser einschätzen", erklärt der RKI-Präsident.


Die KV-Impfsurveillance-Daten sind zu einer unverzichtbaren Säule im Impfsystem Deutschlands geworden."

Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI


Die KV-Impfsurveillance-Daten helfen, „die Inanspruchnahme, die Wirksamkeit und die Sicherheit jener Impfung zu evaluieren, die die STIKO empfiehlt", erklärt Wieler den Nutzen der Abrechnungsdaten für das RKI – und auch für die Bevölkerung. Das seien „Fragen, über die wir immer wieder streiten und für die wir uns immer wieder rechtfertigen müssen", so Wieler.

KV-Impfsurveillance „vitaler Aspekt"

Jedes Institut – so auch das RKI – prüfe regelmäßig, ob sich eine Investition lohne und ob der Kosten-Benefit stimme, so Wieler. Bei der KV-Impfsurveillance ist diese Frage für den RKI-Präsidenten jedoch eindeutig beantwortet: „Die Ergebnisse der KV-Impfsurveillance sind für die Berichterstattung über das Impfen in Deutschland ein vitaler Aspekt – das gilt auch für internationale Berichte an die WHO oder Unicef.“ Der RKI-Präsident betont den „starken Bedarf“ an diesen Daten – denn mit einem funktionalen Impfsystem ergäben sich unweigerlich zahlreiche Fragestellungen: Sind die Impfquoten ausreichend, beobachtet man einen Rückgang der Erkrankung in dem erhofften Maß und bleibt die Anzahl der möglichen Nebenwirkungen in einem akzeptablen Rahmen?

Impfgegner lassen sich nicht überzeugen – egal, wie gut die Daten sind

Gerade in Zeiten, in denen Impfgegner Gehör fänden – das täten sie zwar immer und würden dies auch immer tun –, in denen wir aber auch viele Impfskeptiker hätten und in denen eine große Verunsicherung herrsche, bräuchte Deutschland „endlich wissenschaftliche Daten darüber, warum Menschen sich nicht impfen lassen“, so Wieler. Der RKI-Präsident gibt sich hier allerdings auch keiner Illusion hin. Denn auch „wissenschaftlich haltbare Informationen“ überzeugten die absoluten Impfgegner nicht. Jedoch: „Die absoluten Gegner spielen eine untergeordnete Rolle“, weiß Wieler. „Es gibt andere Gründe, warum sich Menschen nicht impfen lassen.“ Hier muss man nach Ansicht der RKI-Präsidenten angreifen: „Wir müssen die Motivation der Bevölkerung hochhalten, dass diese sich möglichst gut impfen lässt“, so Wieler.

Erst jüngst hatte die WHO wieder für heftige Impfdiskussionen zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern gesorgt, als die Weltgesundheitsorganisation Impfgegener auf eine Stufe mit Ebola und Antibiotikaresistenzen stellte: Impfgegner gehörten mit zu den zehn größten Gesundheitsgefahren, so die WHO.

Impfregister beschäftigt eine mittlere Behörde

Das vorhandene Auswertungssystem bräuchte man nicht nur für eine Verbesserung der Patientenversorgung, sondern auch als wesentliches Argument gegen die Errichtung eines zentralen Impfregisters. Diese Forderung nach einem zentralen Impfregister, versteht der RKI-Präsident nicht: „Wenn Sie nur einen halben Tag darüber nachdenken, was ein Impfregister für einen Aufwand in Zeiten der EU-Datenschutz GV heißt", gibt Wieler zu bedenken. „Verschlüsselungsproblematiken, Meldewege und eventuell noch eine Auskunftspflicht für Patienten für 20 Millionen Impfungen im Jahr – dann haben wir eine ganze mittlere Behörde damit beschäftigt.“ Man rede hier über einen „zweistelligen Millionenbetrag“, schätzt der RKI-Präsident. Und weiter: „Das Ganze liefern wir mit der KV-Impfsurveillance für keine 500.000 Euro pro Jahr." Wieler spricht von „Datensparsamkeit – wir nutzen Daten, die ohnehin da sind“.


Der zusätzliche Nutzen eines Impfregisters ist für mich nicht erkennbar."

Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI


„Der datentechnische Aufwand für den Aufbau von Registern in der Gesundheitsversorgung ist enorm, und der zusätzliche Nutzen eines Impfregisters ist für mich zumindest nicht erkennbar“, so Wieler. Impferinnerungstermine führten Befürworter von Impfregistern auch reglemäßig als weiteres Argument an – diese ließen sich auch einfach in die Praxis-Software integrieren, so der RKI-Präsident, das nenne man dann „Digitalisierung“.

Datenschutz vor Gesundheitsschutz?

Auch die DSGVO diskutierten die Teilnehmer der 15. KV-Impfsurveillance. Denn diese steht dem Robert Koch-Institut oder dem Zentralinstitut (ZI) öfter einmal hinderlich im Wege. So erklärte Dr. Jörg Bätzing vom ZI, dass die Analysen eines möglichen Zusammenhanges zwischen Impfungen und Antibiotikaverordnungen aktuell nicht machbar sind, weder auf Patientenebene noch auf ökonomischer. Und das nicht, weil es ein Hexenwerk sei: „Die Daten wären einfach zu verknüpfen, das ist nicht das Problem“, so Bätzing. Doch stünden „gesetzgeberische Maßnahmen dem entgegen“, wobei eine solche Verknüpfung nach Ansicht Bätzings in einer tatsächlichen Verbesserung der Patientenversorgung münden würde. „Ich sehe es als Gefahr, wenn Datenschützer sagen, das dürfen Sie nicht.“ Bätzings Wunsch: Dass der Gesetzgeber diese Hürde zumindest einmal wahrnimmt. Denn „Gesetze sind zwar, wie sie sind, aber sie sind veränderbar“.

Wo liegen die Grenzen der KV-Impfsurveillance?

Die Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen bilden einen Großteil der Krankenversicherten in Deutschland ab, jedoch rutschen systembedingt auch Impfungen von wenigen Bürgern durch dieses Abrechnungsnetz. So erfassen die KVen keine privat Krankenversicherten – diese machen rund 13 Prozent aller Versicherten in der Bundesrepublik aus. Auch Impfungen, die betriebsärztlich durchgeführt werden, fehlen in der KV-Statistik. Zusätzlich gibt es „Sonderimpfungen“, die Asylsuchende beispielsweise erhalten.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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