Rote-Hand-Brief

Neue Nebenwirkung unter Gliflozinen

Berlin - 21.01.2019, 16:30 Uhr

Eine neue, seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkung unter Gliflozinen: Fournier-Gangrän:  (m / Foto: stockfotos MG / stock.adobe.com)

Eine neue, seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkung unter Gliflozinen: Fournier-Gangrän: (m / Foto: stockfotos MG / stock.adobe.com)


EMA und BfArM informieren in einem Rote-Hand-Brief über eine neue Nebenwirkung unter Diabetestherapie mit SGLT-2-Inhibitoren: Fournier-Gangrän. Sie trifft vor allem Männer und stellt eine potenziell lebensbedrohliche Infektion dar. Auch wenn Diabetiker per se ein höheres Risiko für eine Fournier-Gangrän haben, wird die Fasziitis nun zusätzlich auch mit der Einnahme von Gliflozinen in Zusammenhang gebracht. Was ist eine Fournier-Gangrän und welche Maßnahmen leiten die Behörden ein?

Die Hersteller gliflozinhaltiger Arzneimittel informieren in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in einem Rote-Hand-Brief über eine neue Nebenwirkung unter SGLT-2-Inhibitoren (Sodium-Glucose-Co-Transporter-2-Inhibitoren): Fournier-Gangrän.

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In Europa sind derzeit folgende Wirkstoffe zugelassen: Canagliflozin in Invokana®, Dapagliflozin in Forxiga®, Empagliflozin in Jardiance® und Ertugliflozin in Steglatro®. In Deutschland sind jedoch nur die drei SGLT2-Inhibitoren Dapagliflozin, Empagliflozin und Ertugliflozin auf dem Markt.

Fournier-Gangrän häufiger bei Diabetikern

„Nach Markteinführung wurden Fälle von Fournier-Gangränen (Nekrotisierende Fasziitis des Perineums) mit der Anwendung von SGLT-2-Inhibitoren in Verbindung gebracht“, erklärt der Rote-Hand-Brief. Die Fournier-Gangrän ist eine seltene, jedoch schwere und potenziell lebensgefährliche Infektion, der urogenitale Infektionen oder perineale Abszesse vorausgehen können.

In der Allgemeinbevölkerung ist die Inzidenz einer Fournier-Gangrän gering: In den Vereinigten Staaten wird das Risiko auf 1,6 pro 100.000 Männer pro Jahr geschätzt. Frauen sind deutlich seltener betroffen als Männer. Diabetiker haben jedoch per se ein erhöhtes Risiko für diese Form der nekrotisierenden Fasziitis: „Obwohl Diabetes Mellitus selbst ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Fournier-Gangrän ist, gab es einige Fälle nach Markteinführung, die möglicherweise mit der Anwendung von SGLT2-Inhibitoren in Verbindung stehen", erklärt der Rote-Hand-Brief hierzu. Die Nebenwirkung betraf laut Rote-Hand-Brief alle Gliflozine.

Genital- und Harnwegsinfektionen bekannt unter Gliflozinen

Zu den bekannten Nebenwirkungen zählen Genital- und Harnwegsinfektionen – insbesondere Vaginalmykosen und Balanitiden (Eichelentzündungen) unter Gliflozinen. Diese werden vermutlich durch die erhöhte Glucose-Ausscheidung im Urin, auf der auch die blutzuckersenkende Wirkung der Substanzen beruht, begünstigt. Meist sind die Infektionen leicht bis moderat und mit Standardtherapien gut behandelbar.

In den USA wurde bereits gewarnt

Bei starken Schmerzen, Druckschmerzen, Erythemen oder Schwellungen im Genitalbereich oder im Bereich des Perineums, die mit Fieber oder Unwohlsein einhergehen, sollen Patienten an ihren Arzt verwiesen werden. Dieser sollte bei Verdacht auf eine Fournier Gangrän, den SGLT2-lnhibitor absetzen und unverzüglich die Behandlung einleiten, empfehlen die Behörden. Dazu gehören Antibiotika und Wunddebridement.

Fournier-Gangrän: als Nebenwirkung aufgenommen

Interessant ist, dass im Zusammenhang mit der Anwendung von SGLT-2-Inhibitoren auch eher Frauen eine Fournier-Gangrän zu entwickeln scheinen. Die Produktinformationen werden dahingehend geändert, dass Fournier-Gangrän als Nebenwirkung in Abschnitt 4.8, Warnhinweise entsprechend der Zusammenfassung oben in Abschnitt 4.4 der Fachinformation aufgenommen werden. 

Was ist eine Fournier-Gangrän?

Bei einer Fournier-Gangrän handelt es sich um eine sehr seltene, aber potenziell lebensbedrohliche bakterielle Infektion des Genitalbereichs und/oder des Perineums, dem Bereich zwischen Anus und äußeren Geschlechtsorganen. Dabei kommt es zu einer nekrotischen Entzündung der Unterhaut und der Faszien, die rasch fortschreitet. Bei Verdacht auf solch eine Infektion muss schnellstmöglich mit einem Breitspek­trum-Antibiotikum behandelt werden, gegebenenfalls ist eine chirurgische Entfernung des nekrotischen Gewebes erforderlich.

Erste Anzeichen einer Fournier-Gangrän sind Schmerzempfindlichkeit, Rötung oder Schwellung im Genitalbereich oder Perineum. Im Gegensatz zu vergleichsweise harmlosen Pilzinfektionen treten auch Fieber und allgemeines Unwohlsein auf. Entwickeln Patienten unter SGLT-2-Inhibitoren solche Symptome, sollten sie umgehend einen Arzt konsultieren. In Absprache mit dem Arzt sollte der SGLT-2-Hemmer gegebenenfalls abgesetzt und der Patient auf ein anderes Antidiabetikum umgestellt werden.

FDA warnte bereits 2018 vor Fournier-Gangrän

Das Risiko einer Fournier-Gangrän unter antidiabetischer Therapie mit Canagliflozin, Dapagliflozin, Empagliflozin und Ertugliflozin ist nicht gänzlich neu. Auch die FDA hatte seit geraumer Zeit ein Auge auf die unerwünschte Arzneimittelwirkung unter Gliflozinen. Sie warnte Ende August 2018 vor der schweren Nebenwirkung und verwies auf insgesamt zwölf Fälle (sieben Männer und fünf Frauen), die zwischen März 2013 und März 2018 die FDA erreichten.

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Alle zwölf Patienten mussten im Krankenhaus behandelt werden und wurden operiert, ein Patient verstarb letztendlich. Mit Ausnahme von Ertugliflozin traten Fournier-Gangräne bei allen Gliflozinen bislang auf. Allerdings ist Ertugliflozin auch der jüngste Vertreter – Steglatro gibt es erst seit einem Jahr. Die FDA erteilte Ertugliflozin im Januar 2018 die Zulassung. Auch unter anderen Diabetika sei es zu einer Fournier-Gangrän gekommen, erklärte die FDA im Sommer letzten Jahres – allerdings waren dies lediglich sechs Fälle in den letzten 30 Jahren. Wohingegen der erste SGLT-2-Inhibitor erst vor sechs Jahren, 2013, die Zulassung erhielt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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