Forschungsrückblick Teil 5

Neue Arzneimittel 2018: Migräne, MS und Schizophrenie

Berlin - 31.12.2018, 07:00 Uhr

Erkrankungen des Nervensystems und der Psyche verändern das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen. 2018 kamen jeweils ein neues Medikament gegen Schizophrenie, gegen MS und zur Migräneprophylaxe auf den Markt. (Foto: imago)

Erkrankungen des Nervensystems und der Psyche verändern das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen. 2018 kamen jeweils ein neues Medikament gegen Schizophrenie, gegen MS und zur Migräneprophylaxe auf den Markt. (Foto: imago)


Im fünften und letzten Teil des DAZ.online-Forschungsrückblicks geht es um Innovationen bei zentralnervösen Erkrankungen. Zwei aufmerksamkeitsstarke Neuzugänge waren jeweils bei Migräne und Multipler Sklerose zu verzeichnen. Außerdem gab es 2018 nach längerer Innovationspause mal wieder ein neues atypisches Neuroleptikum bei Schizophrenie. 

Während sich in der Onkologie die Innovationen nahezu monatlich überschlagen, ist das Tempo in der Psychiatrie offenbar langsamer: So gab es bei Schizophrenie seit der Einführung von Abilify® 2004 keine größere Neuentwicklung mehr. Nun kam 2018 das atypische Neuroleptikum Reagila® mit dem Wirkstoff Cariprazin auf den deutschen Markt.   

Außerhalb der Psychiatrie, aber ebenfalls zu den ZNS-Innovationen zählen der Migräneantikörper Erenumab und Roches neuer Blockbuster bei Multipler Sklerose (MS) Ocrevus®. Zahlenmäßig machen Produktneuheiten bei zentralnervösen Erkrankungen nur einen Bruchteil aus. So wurden laut der 2018-Jahresbilanz des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (Vfa) 36 neue Wirkstoffe eingeführt, davon fallen nur drei in das Gebiet der zentralnervösen Erkrankungen.

Reagila gegen Negativsymptomatik bei Schizophrenie

Reagila® (Wirkstoff Cariprazin), das neue Schizophreniemedikament von Gedeon Richter, soll im Gegensatz zu anderen Neuroleptika effektiver gegen die sogenannte Negativsymptomatik sein. Was bedeutet das? Schizophrenie verändert die Realität des Patienten. Die Auswirkungen auf Wahrnehmung, Fühlen und Denken werden anhand der zugrunde liegenden Pathophysiologie in Negativ- und Positivsymptomatik eingeteilt. Die Positivsymptome, zu denen Halluzinationen, Wahnvorstellungen aber auch Katatonie gehören, werden durch eine Überfunktion der dopaminergen Neurotransmission im mesolimbischen System verursacht. Im Gegensatz dazu beruhen die Negativsymptome auf einer dopa­minergen Unterfunktion im frontalen Kortex. Dies äußert sich beispielsweise durch Affektverflachung, Apathie, Anhedonie und sozialen Rückzug. Klassische Neuroleptika wirken durch einen D2-Antagonismus antidopaminerg und damit vor allem auf die Positivsymptomatik. Die atypischen Neuroleptika greifen zusätzlich an anderen Serotonin- (5HT), D3-, D4-, Muscarin- und Histaminrezeptoren an und haben dadurch eine verbesserte Verträglichkeit, insbesondere in Bezug auf extrapyramidale Nebenwirkungen.

Bei Cariprazin handelt es sich um einen Partialagonisten an Dopamin-Rezeptoren vom Subtyp D3 und D2 sowie an 5-HT1A-Rezeptoren. Aufgrund seiner Affinität am D3-Rezeptor soll Cariprazin die Negativsymptomatik stärker lindern als andere Antipsychotika, was klinisch gegenüber Risperidon gezeigt wurde.

Ocrevus: erste zugelassene Option bei PPMS  

Krankheitsmodifizierende Therapieoptionen bei Multipler Sklerose (MS) sind rar. Daher füllte Ocrevus® 2018 eine therapeutische Lücke. Der CD20-Antikörper Ocrelizumab ist vor allem das erste MS-Arzneimittel, das auch für die primär progrediente multiple Sklerose (PPMS) zugelassen ist. Die Zulassung von Ocrevus® deckt außerdem die häufigere MS-Form, die schubförmig verlaufende MS (RMS) ab.

Neu ist das Wirkprinzip allerdings nicht. Denn bis zur Markteinführung von Ocrevus® wurde auf Off-Label-Basis bereits der CD20-Antikörper Rituximab eingesetzt, der ebenfalls aus dem Hause Roche stammt (Mabthera®). Ocrelizumab und Rituximab wirken nach dem gleichen Prinzip, sind jedoch nicht identisch: So enthält der chimäre Antikörper Rituximab mehr murine Anteile und ist damit potenziell immunogener als Ocrelizumab, bei dem es sich um einen humanisierten Antikörper handelt.

„Ocrelizumab ist genauso wirksam wie Rituximab, vielleicht einen Tick besser verträglich“, lautete die Einschätzung des Kölner Neurologen Volker Limmroth auf der Interpharm 2018. Eine direkte Vergleichsstudie existiert nicht. Signifikante Unterschiede gibt es aber beim Preis – so ist Ocrevus® zehnmal teurer als Mabthera®.

Erenumab: Migräneprophylaxe zum Selbstinjizieren

Ebenfalls ein Antikörper, jedoch für ein völlig anderes Target ist das neue Migräne-Prophylaktikum von Novartis, Aimovig®. Dessen Wirkstoff Erenumab ist ein Antikörper gegen den CGRP(Calcitonin Gene-Related-Peptide)-Rezeptor. Das Neuropeptid CGRP ist an der Schmerzauslösung und der neurogenen Entzündung beteiligt. Erenumab ist zur Migräne-Prophylaxe zugelassen und senkte in Studien die Zahl der Migränetage. Migräne-Patienten können sich nach Schulung das Prophylaktikum mit einem Autoinjektor selbst injizieren.  

Der Novartis-Antikörper ist noch der einzige Migräne-Antikörper, der in Deutschland verfügbar ist. Doch vermutlich nicht mehr lange: So stehen  bereits Teva mit Fremanezumab und Eli Lilly mit Galcanezumab in den Startlöchern.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Hilft etwas gegen Stress?

von Sabine Klauser am 08.01.2019 um 11:33 Uhr

Wirkt dies auch gegen akuten Stress? Das wäre wirklich sehr hilfreich dies zu wissen. Ich bedanke mich für Ihre schnelle Antwort.

Liebe Grüße Sabine von https://www.anti-stress-konzept.de

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