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Mit Weihrauch und Nahrungsergänzungsmitteln gegen Gelenkbeschwerden?

Stuttgart - 27.12.2018, 14:45 Uhr

Wer an Arthrose im Knie leidet, erhofft sich oft eine Linderung durch Nahrungsergänzungsmittel. ( r / Foto: Syda Productions / stock.adobe.com)

Wer an Arthrose im Knie leidet, erhofft sich oft eine Linderung durch Nahrungsergänzungsmittel. ( r / Foto: Syda Productions / stock.adobe.com)


Die Weihnachtsgeschenke sind verteilt, das Weihnachtsessen verdaut. So mancher macht seine müden Gelenke bei einem Winterspaziergang fit fürs neue Jahr. Bei manchen Menschen, die an Arthrose im Knie leiden, haben sich vielleicht auch ein paar Nahrungsergänzungsmittel unter den Weihnachtsbaum verirrt, die die Schmerzen lindern sollen. Doch wie sinnvoll sind Weihrauch und andere Nahrungsergänzungsmittel gegen Gelenkbeschwerden – bergen sie Gefahren?

Über Nahrungsergänzungsmittel, die nicht zu den Arzneimitteln sondern zu den Lebensmitteln zählen, lernt man im Pharmaziestudium so gut wie nichts. Nicht selten aber fragen Patienten konkret nach Nahrungsergänzungsmitteln, die sie aus der Werbung kennen und wünschen sich eine kompetente Einschätzung dieser Präparate durch ihre Apotheke.  

Auch wenn man die entsprechenden Präparate von sich aus nicht empfohlen hätte, und Alternativen anbieten kann, so lässt sich die eigene Empfehlung besser vermitteln, wenn man dem Patienten signalisieren kann, dass man über seinen Produktwunsch gut informiert ist. Eine Webseite, die in solchen Fragen eine gute Anlaufstelle bietet, ist „Medizin-Transparent.at“. Diese richtet sich sowohl an Laien als auch an im Gesundheitswesen Tätige und ist ein Service des Departments für evidenzbasierte Medizin und klinische Epidemiologie an der Donau-Universität Krems sowie von Cochrane Österreich. Ziel des Internetauftritts ist es, über Gesundheitsmythen, Werbebehauptungen und Medienbeiträge aus dem Gesundheitsbereich kritisch aufzuklären. So auch kürzlich zum Thema Arthrose.

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Gelbwurz und Weihrauch – was steckt dahinter?

Apotheker und Pharmaziestudenten wissen, dass es sich bei Arthrose – anders als bei Arthritis – um eine Entzündung handelt, die durch Belastung und Abnützung entsteht. Arthrose ist dabei recht häufig: Im Alter von 60 bis 70 schätzt man, dass circa 40 Prozent der Menschen von Arthrose betroffen sind. Am häufigsten äußern sich die Schmerzen in Knien, Hüfte, Fingern und der Wirbelsäule. Während man bei starkem Übergewicht eine Gewichtsreduktion empfehlen sollte, um Knie oder Hüfte zu entlasten, fällt einem bei Normalgewichtigen ein guter Rat schon schwerer. Im Grunde lassen sich nur die Symptome, also die Schmerzen, behandeln. Die Schulmedizin bietet mit Bewegungstherapie, Sport und Schmerzmitteln also kein allzu großes Hilfsangebot. Da ist es nachvollziehbar, dass die Patienten Ausschau nach alternativen Heilmethoden halten – wie beispielsweise Weihrauch. Abraten muss man laut Medizin-Transparent.at nach aktuellem Wissensstand von Weihrauch-Kapseln zumindest nicht.

Weihrauch-Kapseln: schlechte Datenlage mit Tendenz zu Optimismus

Bei Weihrauch handelt es sich um das Harz des Boswellia-Baumes. Als Heilmittel soll Weihrauch bereits seit Tausenden von Jahren eingesetzt werden – beispielsweise in der traditionellen indischen Heilkunst Ayurveda auch als Mittel gegen Gelenkbeschwerden. In Weihrauch-Kapseln, die in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel gegen schmerzhafte Gelenkabnutzung (Arthrose) beworben werden, sind Boswelliasäuren enthalten.

Auch wenn die Wirkung von Weihrauch laut Cochrane Österreich nur gering sein dürfte, kann man in der Apotheke auf die Frage, ob Weihrauch bei schmerzhafter Gelenkabnutzung (Arthrose) hilft, mit „möglicherweise ja“ antworten. Cochrane vergibt in seinem Fazit zu seiner Bewertung der Evidenzlage einen von drei möglichen grünen Haken. Es bedürfe noch besser durchgeführter und größerer Studien, die Einnahme von Weihrauch-Kapseln könne Gelenkschmerzen aber möglicherweise etwas bessern.

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Gelenkschmerzen überwinden

Die Cochrane-Autoren fanden bei ihrer Überprüfung der Datenlage vier Studien, deren Aussagekraft sie für relevant halten und die vorsichtig optimistisch stimmen: „Weihrauch könnte Schmerzen bei abgenutzten Gelenken lindern und eventuell dadurch bedingte Einschränkungen im Alltag verbessern.“

In den vier Studien wurden insgesamt 216 Probanden untersucht. Eine Gruppe erhielt ein Weihrauch-Präparat, die andere Gruppe ein Placebo. Laut den Cochrane-Autoren sind die untersuchten 216 Probanden aber zu wenige, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen. Außerdem kamen in den vier verschiedenen Studien unterschiedliche Weihrauch-Präparate, Dosierungen und Messmethoden zum Einsatz. Sie sind also nur bedingt miteinander vergleichbar. Drei der vier Studien sollen auch in der Durchführung Mängel aufweisen. Insgesamt ist das Vertrauen der Cochrane-Autoren in die Studienergebnisse deshalb gering.

Dennoch: Nach 90-tägiger Einnahme zeigte sich in zwei der vier Studien bei einer Abnutzung der Kniegelenke ein Verbesserung der Schmerzen gegenüber Placebo: Patienten, die Weihrauch-Präparate einnahmen stuften ihre Knieschmerzen mit 23 von 100 möglichen Punkten auf einer Schmerzskala ein, während die Patienten, die nur ein Placebo erhielten, 40 Punkte für ihren Schmerz vergaben – null Punkte hätten Schmerzfreiheit bedeutet. Die anderen beiden Studien sollen zwar ähnliche Ergebnisse gezeigt haben, sie liefen aber nur über 30 Tage. Die Verbesserung der Schmerzen korrelierte auch mit einer Verbesserung der Einschränkungen im Alltag: Den Patienten unter Weihrauch-Einnahme fiel es leichter, Treppen zu steigen oder einkaufen zu gehen. Das Ausmaß der Funktionsverbesserung war jedoch mit acht Punkten (basierend auf einer Selbsteinschätzung) noch geringer ausgeprägt, als bei den Schmerzen (17 Punkte).

Wie sicher sind Nahrungsergänzungsmittel bei Gelenkbeschwerden?

Eine Frage, die man sich bei Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) wie Weihrauchkapseln, deren Wirkung nicht sicher belegt ist, immer wieder stellt und auch stellen sollte, ist die, ob der Nutzen der Präparate gegenüber dem Risiko der Einnahme überwiegt.

Die von Cochrane zur Bewertung von Weihrauch herangezogenen Studien berichten zumindest über keine ernsten Nebenwirkungen. In einigen Fällen soll es jedoch zu Magen-Darm-Beschwerden gekommen sein – wie Übelkeit und Sodbrennen. Jedoch könnten bessere Studien auch bezüglich der Nebenwirkungen zu einer anderen Einschätzung kommen.

Chondroitinsulfat-Präparate: nicht für schwangere oder stillende Frauen, Kinder und Jugendliche

Ein natürlicher Bestandteil des Gelenkknorpels ist Chondroitinsulfat. Da liegt die Idee nicht allzu fern, Chondroitinsulfat in NEMs anzubieten. Und weil es tatsächlich zahlreiche entsprechende Produkte auf dem deutschen Markt gibt, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erst kürzlich am 7. Dezember 2018 eine Risikobewertung von Chondroitinsulfat in Nahrungsergänzungsmitteln (NEMs) veröffentlicht. 

Für seine Sicherheitsbewertung hat das BfR Zufuhrmengen von 800-1200 mg/Tag Chondroitinsulfat zugrunde gelegt. Dabei weist das BfR ausdrücklich darauf hin, dass damit keine Aussage zur möglichen pharmakologischen Wirkung verbunden ist und dass ihre Bewertung keine Empfehlung darstellt, solche Tageszufuhrmengen in Nahrungsergänzungsmitteln auszuschöpfen. Inhaltsstoffe von NEMs sollen grundsätzlich keine nennenswerten pharmakologischen Wirkungen haben.

Dennoch wurden Studien, auf denen die Bewertung durch das BfR basiert, meist an Patienten durchgeführt, die an Arthrose litten. In diesen Studien soll sich in der angegebenen Dosierung im Vergleich mit Placebo kein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko gezeigt haben. Weil diese Studien meist mit Arthrosepatienten durchgeführt wurden, kamen aus ethischen Gründen aber zusätzlich Arzneimittel wie Paracetamol und nicht-steroidale Antiphlogistika zum Einsatz. Diese beeinflussen nicht nur den eventuellen Nutzen der NEMs sondern auch ihr Nebenwirkungsprofil.

Aktuell ist laut BfR jedenfalls – wie bei NEMs mit Weihrauch – nicht geklärt, inwieweit Chondroitinpräparate je nach Herstellungsweise, Ausgangsmaterial, Zusammensetzung, Molekulargewichtsverteilung oder Sulfatierungsgrad unterschiedliche gesundheitliche Wirkungen aufweisen. Man weiß nicht, ob Ergebnisse, die mit einzelnen NEMs erzielt wurden, ohne Weiteres auf andere Chondroitinpräparate übertragbar sind.

In anderen europäischen Ländern gibt es chondroitinsulfathaltige Arzneimittel

Auf Basis der Fachinformationen von chondroitinsulfathaltigen, oral anzuwendenden Arzneimitteln, die es in anderen europäischen Ländern als Deutschland gibt, kommt das BfR allerdings zu dem Schluss, dass Nahrungsergänzungsmittel, die Chondroitinsulfat in isolierter Form enthalten, schwangeren oder stillenden Frauen, Kindern und Jugendlichen nicht empfohlen werden können.

Laut zwei europäischen Fachinformationen werden täglich 730-1000 mg/Tag Chondrotionsulfat, mit Anfangsdosen bei besonders betroffenen Patienten von 1200 mg/Tag, für 4-6 Wochen eingenommen. Laut diesen Fachinformationen treten gastrointestinale Beschwerden (Verdauungsstörungen, Bauchschmerzen, Diarrhoe, Übelkeit) und Kopfschmerzen bzw. Schwindelgefühl als häufige unerwünschte Wirkungen auf.

Vorsicht bei Kombination mit Arzneimitteln und Fischallergie

Personen, die thrombozytenaggregationshemmende Arzneimittel einnehmen, sollten vor der Einnahme von Produkten im Zufuhrbereich von 800-1200 mg/Tag Chondroitinsulfat ärztlichen Rat einholen. Bei der empfohlenen Dosis sollen beim Menschen zwar keine Auswirkungen auf der Ebene der Thrombozyten beobachtet werden, in Tierstudien mit deutlich höheren Zufuhrmengen (entsprechend 4 g/Tag bei Menschen) wurde jedoch eine mögliche leichte Thrombozytenaggregationshemmung beobachtet. 

Chondroitinsulfat wird aus Knorpeln von Rindern, Schweinen, Geflügel oder aus Meerestieren, z. B. Haifisch, hergestellt (und in bestimmten Ländern durch bakterielle Synthese mit chemischer Modifikation). Verbindliche Spezifikationen für Chondroitinsulfat, das hierzulande in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet wird, bestehen laut BfR nicht. Bei Personen, die allergisch auf Fischeiweiß reagieren, könnte bei Produkten, die isoliertes Chondroitinsulfat enthalten, das aus Haifischgewebe oder aus Geweben anderer Fische hergestellt wurde, möglicherweise ein Allergierisiko bestehen.

Für die Wirksamkeit von Chondroitin zur Aufrechterhaltung der normalen Gelenkfunktion bei der Allgemeinbevölkerung (d. h. Personen, die nicht an Arthrose- /Gelenksbeschwerden leiden) – und das ist die eigentliche Zweckbestimmung von NEMs – fehlen gegenwärtig nach einer Bewertung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wissenschaftliche Belege, heißt es in der BfR-Bewertung. 

Im Mai 2017 widmete sich aber auch Chochrane Österreich auf Medizin-Transparent.at der Frage, ob Nahrungsergänzung mit Chondroitin Gelenkbeschwerden durch Arthrose bessern kann. Das Fazit lautete damals wie beim Weihrauch „möglicherweise ja“. Kollagen oder Glucosamin in NEM sollen hingegen eher nicht helfen. Für Produkte, die Kombinationen von Chondroitinsulfat mit Glucosamin und z. T. weiteren Substanz enthalten, liegen laut BfR einzelne Berichte über Verdachtsfälle von Leberschädigungen vor. Inwieweit ein Kausalzusammenhang besteht, sei gegenwärtig jedoch nicht abschließend beurteilbar.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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