Antikoagulation bei krebs

Tumorassoziierte Thrombosen: Können NOAK Heparin ersetzen?

Berlin - 07.12.2018, 16:00 Uhr

Maligne Erkrankungen fördern die Blidung von Thromben. Welche Rolle können NOAK bei der Prävention tumorassoziierter Thrombosen spielen? (c / Foto: imago)

Maligne Erkrankungen fördern die Blidung von Thromben. Welche Rolle können NOAK bei der Prävention tumorassoziierter Thrombosen spielen? (c / Foto: imago)


Bei einem Fünftel der Thrombosen steckt ein Tumor dahinter. Der Standard für die Prophylaxe und Therapie tumorassoziierter Thrombosen ist niedermolekulares Heparin. Auf dem amerikanischen Hämatologenkongress wurden einige Daten zu neuen oralen Antikoagulanzien vorgestellt. Kommen demnächst mehr Tumorpatienten mit einem NOAK-Rezept in die Apotheke?

Krebs erhöht das Risiko, eine Thrombose oder Lungenembolie zu erleiden um das vier- bis siebenfache. Gleichzeitig haben onkologische Patienten auch ein erhöhtes Blutungsrisiko. Eine schwierige Patientengruppe für die Antikoagulation, die derzeit hauptsächlich per Injektion erfolgt. Für viele Patienten bedeutet dies, sich über mehrere Monate oder länger spritzen zu müssen.

Auf dem amerikanischen Hämatologenkongress (ASH) in dieser Woche in San Francisco wurden verschiedene Daten zu nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) zur Vorbeugung und Behandlung von tumorassoziierten Thrombosen vorgestellt. Wird sich die Antikoagulation bei dieser Zielgruppe mittelfristig ändern?

Standard: niedermolekulares Heparin

Die Datenlage zur oralen Antikoagulation bei dieser fragilen Patientengruppe war bisher dünn. Daher sehen die Leitlinien sowohl für die Prophylaxe als auch Therapie tumorassoziierter venöser Thromboembolien eine Antikoagulation mit injizierbarem niedermolekularem Heparin (NMH) vor. Off-Label-Experimente erscheinen vielen Onkologen und Angiologen angesichts der Fragilität dieser Patientengruppe heikel. Insbesondere, wenn die Patienten unter Chemo- oder Strahlentherapie stehen, was die Gerinnung zusätzlich beeinträchtigt.

Subgruppenanalysen zur Sekundärprophylaxe

Erste Daten zur Sekundärprophylaxe von venösen Thromboembolien bei Tumorpatienten gab es aus Subgruppenanalysen der Zulassungsstudien. Allerdings wurde in diesen Studien das jeweilige NOAK gegen Warfarin und nicht gegen NMH getestet. Vitamin-K-Antagonisten gelten hier als unterlegen. Die Patientenzahlen waren in den Subgruppen ebenfalls unterschiedlich und im Rivaroxaban-Studienprogramm mit rund 600 Patienten am höchsten.

Der Begriff „Tumorpatienten“ war in den Studien heterogen definiert. So war in der Thrombosestudie AMPLiFY mit Apixaban (Eliquis) eine aktive Krebserkrankung ausgeschlossen, nur wenn die Remission länger zurücklag durfte der Patient eingeschlossen werden.

Sekundärprophylaxe: weniger VTE unter Rivaroxaban, weniger Blutungen unter Edoxaban

In der Leitlinie zur Behandlung venöser Thromboembolien (VTE) ist das Umsteigen auf eine orale Antikoagulation erst drei bis sechs Monate nach dem thrombotischen Ereignis möglich. In diesem Jahr wurden die ersten Vergleichsstudien zu den Xa-Hemmern Rivaroxaban und Edoxaban versus das NMH Dalteparin publiziert.

In der Pilotstudie Select-D mit Rivaroxaban wurden 400 Patienten mit VTE-Ereignis eingeschlossen. Unter Rivaroxaban traten weniger VTE-Ereignisse auf, dafür mehr klinisch-relevante Blutungen.

In der Hokusai-Cancer Studie mit Edoxaban versus Dalteparin wurden rund 1.000 Patienten untersucht. Die VTE-Rezidivrate war unter beiden Therapie vergleichbar, jedoch traten unter Edoxaban weniger schwere Blutungen auf als unter Dalteparin.

Auf dem ASH-Kongress wurden auch Daten zu Apixaban vorgestellt. Bei der ADAM-Studie mit 300 Patienten sollen unter Apixaban sowohl weniger VTE-Rezidive als auch weniger Blutungen als unter Dalteparin aufgetreten sein. Die Vollpublikation liegt allerdings noch nicht vor, was eine Beurteilung der Methodik erschwert.

Primärprophylaxe: weniger VTE unter Apixaban und Rivaroxaban

In San Francisco ging es auch um Studien zur Primärprophylaxe tumorassoziierter VTE, also mit Tumorpatienten, die noch kein thrombotisches Ereignis hatten. Ob ein Tumorpatient eine prophylaktische Antikoagulation auch im ambulanten Setting erhält, hängt von seinem individuellem Thromboserisiko und der Krebsart ab (Khoarana-Score). Die Leitlinie sieht dann eine Antikoagulation mit NMH oder Fondaparinux vor.

Bei den NOAK Studien CASSINI und AVERT wurde der Vergleich NOAK versus Placebo gezogen. In der AVERT-Studie mit 574 Patienten war Apixaban signifikant gegenüber Placebo überlegen, ein thrombotisches Ereignis zu verhindern. Die Rate an schweren Blutungen war höher, was unter einer Antikoagulation zu erwarten ist.

Ein ähnliches Ergebnisprofil zeigte prinzipiell auch die Rivaroxaban-Studie CASSINI, auch hier traten weniger VTE-Ereignisse unter Verum auf. Allerdings wurde als primärer Endpunkt die Kombination aus VTE-Ereignissen und VTE-bedingten Todesfällen gewählt, welcher in der Studie verfehlt wurde.

Erste Evidenz zu den Xa-Hemmern

Die Hinweise zum therapeutischen Potenzial der NOAK bei tumorassoziierter VTE verdichten sich – allerdings nur bei den Faktor-Xa-Hemmern Rivaorxaban, Apixaban und Edoxaban. Zu dem Thrombininhibitor Dabigatran gibt es bei erwachsenen Tumorpatienten, abgesehen von der Subgruppenanalyse versus Warfarin, wenig Evidenz. Zudem hängt die Elimination von Dabigatran stärker von der Nierenfunktion ab als bei den Xa-Hemmern. Da eine Chemotherapie die Nierenfunktion auch nachhaltig beeinträchtigen kann, wäre Dabigatran bei niereninsuffizienten Patienten ohnehin nicht das Mittel der Wahl.

Leitlinien ändern sich in mehrjährigen Abständen, deshalb kann es durchaus sein, dass die Xa-Hemmer in Zukunft künftig in der Langzeitbehandlung einen größeren Raum einnehmen und mehr ambulante Tumorpatienten mit einem NOAK-Rezept in die Apotheke kommen. Dabei lassen sich vermutlich auch die Xa-Hemmer nicht über einen Kamm scheren.

Beratungsintensive NOAK

Nicht mehr spritzen zu müssen, ist für chronisch Kranke eine Erleichterung. Das Bindegewebe kann durch Chemo- und Strahlentherapie angegriffen sein. Manche onkologische Patienten entwickeln im Laufe ihres Behandlungsmarathons auch eine Spritzenphobie. Nach einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) sind NMH ohnehin kontraindiziert, und es stehen nur Fondaparinux oder orale Antikoagulanzien zur Verfügung.

Allerdings sind die NOAK in der Langzeitbehandlung ebenfalls mit Risiken verbunden. Hier ist der Apotheker gefragt, bei Medikationsänderungen regelmäßig auf Interaktionen zu achten und die Patienten zu ermuntern, ihre Nierenfunktion regelmäßig kontrollieren zu lassen. Eine nachlassende Nierenfunktion kann auch bei den Xa-Hemmern eine Dosisreduktion erforderlich machen oder eine Kontraindikation bedeuten.

Advent, Advent – eine neue Studie ist da

Auch wenn es die NOAK schon länger als zehn Jahre gibt, kann das Verfolgen der Evidenz zur Herausforderung werden. Bis zum Patentablauf in vier bis fünf Jahren können noch Studienergebnisse zu mehr oder weniger relevanten Teilindikationen publiziert werden. Die Münchener Hämostaseologin Professor Sylvia Haas hat eine Art Adventskaleder zu NOAK auf dem Business-Netzwerk Linkedin eingerichtet. Hier bloggt Haas, die an der Entwicklung einiger NOAK-Studien beteiligt war, über aktuelle Studienergebnisse und deren klinische Einordnung.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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