Antidepressiva-Verordnungen

Brexit-Votum schlägt manchen Briten aufs Gemüt

Remagen - 26.11.2018, 09:45 Uhr

Nach dem Brexit-Votum sind in Großbritannien die Antidepressiva-Verordnungen in die Höhe geschnellt. ( r / Foto: Imago)

Nach dem Brexit-Votum sind in Großbritannien die Antidepressiva-Verordnungen in die Höhe geschnellt. ( r / Foto: Imago)


Dass das Ergebnis des Brexit-Referendums lange nicht allen Briten geschmeckt hat, ist ein offenes Geheimnis. So manchen könnte es sogar in eine Depression gestürzt haben. Jedenfalls sind die Verordnungen von Antidepressiva in Großbritannien nach dem Votum über den Austritt aus der EU in die Höhe gegangen. Das zeigt eine neue Studie.

In Großbritannien haben die Verordnungen von Antidepressiva im Nachgang zu dem Referendum, mit dem der Austritt aus der Europäischen Union im Juni 2016 besiegelt wurde, zugenommen. Dies hat eine Studie von Forschern an der Business School des King´s College London (KCL) und von der Harvard Universität herausgefunden. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Journal of Epidemiology and Community Health, veröffentlicht.

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Einzigartiges experimentelles Modell

Aus der Forschung wisse man, dass die seelische Gesundheit der Menschen in Phasen wirtschaftlicher Rezession und Zeiten der Unsicherheit Schaden nehmen könne, schreiben die Wissenschaftler. Sie wollten ergründen, ob dies auch durch den Brexit passieren könnte. Das Referendum diente für sie als einzigartiges experimentelles Modell, weil das schwerwiegende Ereignis so plötzlich und völlig unerwartet eintrat. Sie halten ihre Untersuchung aus zwei Gründen für besonders wichtig: Zum einen, so meinen sie, könnten die britischen Politiker die möglichen Kosten des Brexits unterschätzen, wenn sie sie diesen Gesichtspunkt im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes außer Acht lassen. Zum anderen könne sie auch Aufschluss geben über allgemeine Mechanismen zu den Interaktionen von wirtschaftlicher Unsicherheit und seelischer Gesundheit.

Verordnungsdaten von Hausärzten analysiert

Als „Gradmesser“ schauten sich die Wissenschaftler die Verordnungsdaten der Hausärzte in allen 326 Wahlregionen Englands hinsichtlich Antidepressiva an. Die durchschnittliche Bevölkerungszahl in den Wahlkreisen lag bei rund 170.000 Menschen. Konkret analysierten sie die Anzahl der verordneten definierten Tagesdosen (DDD) pro-Kopf und Monat im Zeitraum 2011-2016 und verglichen diese mit Trends in einer Kontrollgruppe (Gichtmittel und Eisenpräparate), die wohl kaum mit Unsicherheit und Depressionen in Verbindung gebracht werden können.

Anstieg um 13,4 Prozent

Dabei stellten der Leitautor der Studie Sotiris Vandoros und Mauricio Avendano vom King’s College London zusammen mit Ichiro Kawachi von der Harvard-Universität fest, dass die verschriebenen Tagesdosen von Antidepressiva direkt in dem Monat nach dem Referendum anstiegen, wenn auch nicht mehr so, wie in den Jahren zuvor, während die Kontrollmedikationen, die in den Jahren davor ebenfalls ansteigend waren, plötzlich zurück gingen. Den relativen Anstieg der Antidepressiv-Verordnungen im Vergleich mit den anderen therapeutischen Klassen beziffern sie mit 13.4 Prozent. Dieses Phänomen zeigte sich unabhängig davon, ob die jeweilige Region mehrheitlich für oder gegen den Brexit gestimmt hatte. 

Auswirkungen auf die psychische Gesundheit nicht unterschätzen

Die Forscher schreiben diese Entwicklung der erhöhten Verunsicherung der Bevölkerung infolge des Brexit-Votums zu. Trotzdem mahnen sie insgesamt zur Vorsicht bei der Interpretation ihrer Befunde, denn sie halten auch andere Zusammenhänge für möglich. „Die meisten Diskussion um den Brexit konzentrieren sich auf politische und wirtschaftliche Aspekte. Um die Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen geht es dabei kaum“, sagt Vandoros. „Unsere Ergebnisse können zwar dazu beitragen, diese Lücke zu schließen, allerdings geben sie keinen Aufschluss über die Auswirkungen des Referendums auf die psychische Gesundheit, Stimmung oder Glück derer, die keine Antidepressiva verschrieben bekommen haben.“ Hierzu müsse noch weiter geforscht werden, um zu sehen, wie es diesbezüglich um die breite Bevölkerung stehe, fügt Vandoros an. Die Wissenschaftler wollen jedenfalls nicht ausschließen, dass es anderen durch das Brexit-Votum durchaus auch besser gehen könnte. 

Für den Rückgang bei der Verordnungen der Gichtmittel und Eisen-Präparaten, wie im Übrigen auch bei Insulinen und anderen Antidiabetika, Lipidsenkern uns Schilddrüsenmitteln, nach dem Votum haben sie keine rechte Erklärung. Sie ziehen in Betracht, dass die Menschen nach dem Brexit-Schock einfach von ihrem Gang zum Arzt abgelenkt gewesen sein könnten. Wie auch immer, als politische Implikation ihres Ergebnisses schlagen sie vor, in Phasen der Unsicherheit Programme zur Förderung der seelischen Gesundheit zu fördern.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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