Gesetzentwurf

Cannabistherapie: Grüne wollen Genehmigungsvorbehalt abschaffen

Berlin - 22.11.2018, 11:30 Uhr

Wer Cannabis als
Medizin braucht, muss es auch bekommen können, findet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Dr. Kirsten-Kappert-Gonther und fordert die Streichung des Genehmigungsvorbehaltes der Kassen. (Foto: Büro Kirsten-Kappert-Gonther)

Wer Cannabis als Medizin braucht, muss es auch bekommen können, findet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Dr. Kirsten-Kappert-Gonther und fordert die Streichung des Genehmigungsvorbehaltes der Kassen. (Foto: Büro Kirsten-Kappert-Gonther)


Derzeit beeinflussen die Krankenkassen, ob Schwerkranke eine Cannabistherapie erhalten. Die Grünen wollen dies ändern und mit einem Gesetzentwurf den Genehmigungsvorbehalt der Kassen beim Medizinalcannabis streichen. Damit wollen die Grünen die Behandlung erleichtern und die Therapiehoheit des Arztes wiederherstellen.

Für Schwerkranke ist es nicht leicht, eine Cannabistherapie zu erhalten. Denn viele Ärzte sind gegenüber Medizinalhanf skeptisch und scheuen die Verordnung. Gesetzlich Versicherte müssen eine weitere Hürde nehmen: Nach § 31 SGB V Absatz 6 ist für die Erstverordnung eine Genehmigung durch die Krankenkassen erforderlich. Dazu haben die Kostenträger drei Wochen, bei Einbeziehung des medizinischen Dienstes bis zu fünf Wochen Zeit.

Fachpolitiker der Opposition kritisieren diesen Genehmigungsvorbehalt. Auf der Jahreskonferenz des Deutschen Hanfverbandes am vergangenen Freitag haben die drogenpolitischen Sprecher Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grünen-Bundestagsfraktion) und Niema Movassat (Linksfraktion im Bundestag) erklärt, einen Gesetzentwurf vorzubereiten, der die Kassen als Nadelöhr für die Cannabistherapie aushebeln soll.

Grüne: „Kassen bewerten zu restriktiv“

Die Grünen haben ihre Ankündigung nun in die Tat umgesetzt. Der Gesetzentwurf, der DAZ.online vorliegt, sieht vor, den im § 31 SGB V Absatz 6 ersatzlos zu streichen. Auch die Sonderregelung für die auf drei Tage verkürzte Genehmigungsfrist im Rahmen der Palliativversorgung würde damit überflüssig.

Der Genehmigungsvorbehalt habe sich nicht bewährt, heißt in der Begründung. So sei im Sozialgesetzbuch vorgesehen, dass die Kassen Genehmigungsanträge nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen sollen. In der Tat würden ein Drittel der Anträge abgelehnt, und dies überwiegend aus formalen Gründen. „Wer Cannabis als Medizin braucht, muss es auch bekommen können. Die hohe Ablehnungsquote von einem Drittel aller Anträge zeigt, dass die Krankenkassen das Gesetz bisher zu restriktiv auslegen“, erklärt Kappert-Gonther, die federführend für die Grünen-Initiative ist, gegenüber DAZ.online. 

Interessenkonflikt der Kassen

Die Grünen identifizieren beim Genehmigungsvorbehalt noch ein weiteres Problem. Und zwar haben die Krankenkassen als Kostenträger einen Interessenkonflikt und es sei zu befürchten, dass auch aus finanziellen Gründen abgelehnt werde, was nicht unbedingt im Sinne der Patienten sei. Außerdem beeinflusse die Patientenselektion durch die Kassen die Cannabis-Begleiterhebung und schwäche damit deren Aussagekraft.

Für die Medizinierin ist die Beschränkung der ärztlichen Therapiehoheit durch die Krankenkassen beim Medizinalhanf nicht angemessen: „Wenn Medizinalcannabis ärztlich verordnet wird, muss diese Verordnung gelten. Wie schwerwiegend eine Erkrankung ist und ob Medizinalcannabis indiziert ist, können Ärztin und Patient am besten beurteilen.“

Grüne: Grundproblem im GSAV-Entwurf ungelöst

Bislang sind die Genehmigungen spezifisch für eine bestimmte Dosierung, Blütensorte beziehungsweise Extrakt. Insbesondere zu Behandlungsbeginn kann es notwendig sein, bei der Sorte und Dosierung zu variieren. Ob bei jedem Sortenwechsel eine neue Genehmigung erforderlich ist, handhaben die Krankenkassen unterschiedlich. Im ungünstigen Fällen kommt es für den Patienten in der Titrationsphase zu mehrwöchigen Therapiepausen, in denen er seine Symptome weiter erdulden muss.

Dieses Problem hat das Bundesgesundheitsministeriums (BMG) aufgegriffen. In dem Gesetzesentwurf für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) ist vorgesehen, dass bei einer Änderung der Dosierung oder dem Wechsel zwischen Cannabisblütensorten oder Extrakttypen keine erneute Genehmigung erforderlich sein soll. Für die Grünen-Gesundheitspolitikerin gehen die vorgeschlagenen Änderungen im GSAV zwar in die richtige Richtung, jedoch nicht weit genug: „Das Mindeste, was die Bundesregierung tun muss, ist, die Anpassung der ärztlichen Verordnung unkompliziert zu ermöglichen. Aber auch dann bleibt das Problem bestehen, dass die Krankenkassen Anträge aufgrund der Indikation ablehnen, obwohl sie dafür keinen gesetzlichen Auftrag haben."

Mehrkosten durch steigende Verordnungen

Sollte der Genehmigungsvorbehalt entfallen, könnten die GKV-Ausgaben zunächst steigen. Da die Kassen derzeit ein Drittel der Anträge ablehnen, würden ohne Genehmigungsvorbehalt vermutlich mehr Cannabisarzneien verordnet. Die damit verbundenen Mehrkosten werden im Gesetzentwurf auf 2 Millionen Euro monatlich geschätzt, basierend auf aktuellen GKV-Verordnungszahlen, die die Ausgaben für Cannabisarzneimittel im Juni 2018 auf 6 Millionen Euro beziffern. 

Aus Sicht der Grünen werden diese Mehrkosten zum Teil ausgeglichen. Denn medizinisches Cannabis könne dazu beitragen, die Zahl der anderen Arzneimittel und der damit verbundenen Kosten zu senken. Einige Schmerzpatienten bräuchten etwa weniger Opioide oder könnten ganz auf diese starken Analgetika verzichten.

Außerdem gebe es Verbesserungspotenzial in der bisherigen Kostenstruktur. Ein Ansatzpunkt ist für die Grünen der Apothekenzuschlag bei der Abgabe von Cannabisrezepturen, über den der Deutsche Apothekerverband und GKV-Spitzenverband seit länger als einem Jahr ergebnislos verhandeln.

Diesen Aspekt hat auch das BMG im GSAV-Entwurf aufgegriffen und die Parteien – erneut – zu Verhandlungen aufgefordert. Dadurch erhofft sich die Bundesregierung eine Einsparung von 25 Millionen Euro im Jahr.

Zukunftsmusik: Deutscher Anbau

Weitere Einsparungen vermuten die Grünen, wenn durch den deutschen Anbau weniger importiert werden muss. Ob und wieviel dadurch eingespart werden kann, war auch Gegenstand einer kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion im August. Diese Teilfrage ließ die Bundesregierung allerdings unbeantwortet.

Bislang ist der Weg zur deutschen legalen Cannabisernte allerdings mit Verzögerungen gepflastert. Und ob der Anbau in der Bundesrepublik tatsächlich, wie vom BfArM geplant 2020 startet, bleibt abzuwarten. Erst in der vergangenen Woche wurde erneut die Bewerbungsfrist für Bieter bei dem, inzwischen zweiten, Ausschreibungsverfahren, verlängert.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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