Nebenklage-Anwalt zum Zyto-Prozess

„Das Urteil schwächelt in Sachen der Mordvorwürfe“

Karslruhe - 19.11.2018, 12:45 Uhr

Warum konnte der Zyto-Apotheker Peter S nicht wegen Mordes verurteilt werden? Der Nebenklagevertreter Andreas Schulz kritisiert die Urteilsbegründung der Richter an einigen Stellen. ( r / Foto: Benno Gi)

Warum konnte der Zyto-Apotheker Peter S nicht wegen Mordes verurteilt werden? Der Nebenklagevertreter Andreas Schulz kritisiert die Urteilsbegründung der Richter an einigen Stellen. ( r / Foto: Benno Gi)


Dass der Zyto-Apotheker Peter S. vom Landgericht Essen nicht wegen Mordes verurteilt wurde, ist für den Nebenklagevertreter Andreas Schulz nicht nachvollziehbar. Das Gericht hatte erklärt, dass nicht nachweisbar sei, dass S. mit einer verkürzten Lebenserwartung seiner Patienten rechnete. Schulz sieht auch die Möglichkeit, dass Nebenkläger wegen der mangelhaften Kontrollen Amtshaftungsansprüche durchsetzen können.

Beim Prozess gegen den Bottroper Apotheker Peter S. vor dem Landgericht Essen vertrat der Berliner Anwalt Andreas Schulz zahlreiche Mandanten, die als Krebspatienten mit Mitteln aus der Alten Apotheke beliefert worden sind. Mit dem Urteil von zwölf Jahren Haft gibt er sich nicht zufrieden, weshalb er wie auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision beim Bundesgerichtshof einlegte. DAZ.online sprach mit ihm über Schwachpunkte des Urteils wie auch über mögliche weitere Schritte. Schulz vertrat zuvor beispielsweise auch Opfer des Terroranschlags am Berliner Breitscheidplatz.

DAZ.online: Das Landgericht Essen hat kürzlich die Urteilsbegründung vorgelegt. Argumentieren die Richter aus Ihrer Sicht schlüssig, Herr Schulz?

Andreas Schulz: Hinsichtlich der festgestellten vorsätzlichen Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz beziehungsweise des Abrechnungsbetruges durchaus. Letztlich war es doch kein perfektes Verbrechen, denn da wäre ja gegen den Apotheker keine Anklage erhoben beziehungsweise keine Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe erfolgt. Wo das Urteil allerdings schwächelt, ist die Frage der strafrechtlichen Verantwortung wegen Körperverletzung respektive versuchten beziehungsweise vollendeten Mordes.

Die Urteilsbegründung in drei Teilen

DAZ.online: Die Richter argumentieren ja etwa, man könne ihm nicht nachweisen, dass er einzelnen, konkreten Patienten schaden wollte – und dass diese unterdosierte Mittel erhielten.

Schulz: Die Frage, ob der Apotheker nicht auch wegen versuchten beziehungsweise vollendeten Mordes in einer Vielzahl von Einzelfällen hätte verurteilt werden müssen, hat die Nebenkläger von Anbeginn des Verfahrens nachhaltig beschäftigt. Dies wird auch einer der zentralen Punkte sein, über die der Bundesgerichtshof auf die nebenklägerseitig eingelegte Revision zu entscheiden haben wird. Die Urteilsgründe verhalten sich jedenfalls in diesem Punkt ausgesprochen sparsam.

Mit nur 16 Zeilen würdigt das Urteil die schwerwiegendsten Aspekte des Tatgeschehens zugunsten des Apothekers, weil die Richter davon ausgingen, dass keine für einen Tatverdacht hinreichenden Feststellungen möglich waren und zudem sein Tatentschluss, wonach viele Patienten infolge einer vorsätzlich reduzierten Wirkstoffmenge versterben könnten beziehungsweise mit einer verkürzten Lebenserwartung zu rechnen hätten, ebenfalls nicht feststellbar gewesen sei.

DAZ.online: Wie kann das sein?

Schulz: Die Richter stellten darauf ab, dass dem Apotheker zwar die rechtlichen Vorschriften über die Herstellung von Rezepturarzneimitteln als Grundlage des traditionell rechtlich stark regulierten Berufs bekannt waren, die medizinischen Folgen bei Minderdosierung offensichtlich nicht. Die Vorhersehbarkeit eines Therapieerfolges und die damit verbundenen Risiken bei Wirkstoffreduzierung liegen jedoch auch für einen medizinischen Laien auf der Hand. Die Aufspaltung in rechtliche und medizinische Folgenabschätzung eines einheitlichen Lebenssachverhalts dürfte die Achillesferse des Urteils in der Revision sein.

Gab es einen PHarma-Schwarzmarkt?

DAZ.online: Ein anderer Punkt sind die Unterschiede zwischen Wareneinkauf und Warenverkauf: Ist ausreichend sichergestellt, dass sie sich nicht etwa doch durch Schwarzmarktgeschäfte erklären lassen?

Schulz: Für die Richter hat sich nach der erfolgten Beweisaufnahme diese Variante wohl nicht erschlossen. Die Verteidigung des Apothekers hätte bei dieser Tatsachenfrage nachlegen müssen, nachdem der vermeintliche Entlastungszeuge genau das Gegenteil von dem bekundet hat, was in sein Wissen gestellt wurde: dass nämlich in einer Tiefgarage aus dem Kofferraum heraus Arzneimittel „schwarz“ verkauft wurden.

Kein gutes Licht auf die Überwachungsbehörden

DAZ.online: Welches Licht wirft das Urteil auf die Überwachungsbehörden?

Schulz: Nicht das Allerbeste! Wenngleich der Vorsitzende Richter in der mündlichen Urteilsbegründung sehr viel deutlichere Worte als im schriftlichen Urteil zur Frage des systemischen Versagens der Apothekenaufsicht geäußert hat, finden sich hier konkrete Tatsachenfeststellungen, die geeignet sind, den Boden für Amtshaftungsansprüche vorzubereiten.

DAZ.online: Sie haben schon zuvor Entschädigungen für die Patienten gefordert. Wie stellen Sie sich dies konkret vor?

Schulz: Einige Anwälte der Nebenkläger arbeiten an einer Zivilklage gegen den Apotheker. Andere stehen mit dem Gesundheitsministerium in Kontakt, um zu erreichen, dass das Land NRW – wie bereits in der Vergangenheit geschehen – einen Opferfonds auflegt, der den bis zu 10.000 möglichen Betroffenen finanzielle Hilfe bereitstellt. Man wird abwarten müssen, welches dieser strategischen Ziele sich zuerst realisieren lässt.

Schulz: Der Ball liegt beim Bundesgerichtshof

DAZ.online: Wie geht es nun weiter – wissen Sie schon wie sie Ihre Revision begründen wollen?

Schulz: Die Nebenkläger verfolgen taktische und strategische Zielsetzungen: Zunächst ging es darum, der Verteidigungsstrategie des Apothekers auf Freispruch entgegenzutreten – das Ergebnis spricht für sich! Wer Freispruch fordert und 12 Jahre Haft bekommt, müsste eigentlich realisieren, dass nicht effizient verteidigt wurde. Ein frühes Geständnis und ein Täter-Opfer-Ausgleich hätte durchaus ein Strafmaß ergeben können, bei dem der Apotheker vielleicht schon Weihnachten 2018 als Freigänger unter dem elterlichen Weihnachtsbaum gesessen hätte. Diese Option hat er – aus welchen Gründen auch immer – für sich nicht in Betracht gezogen.

Jetzt muss der Bundesgerichtshof entscheiden, ob das erstinstanzliche Urteil Bestand hat oder für den Fall einer Urteilsaufhebung eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen über eine mögliche Verurteilung auch wegen versuchten beziehungsweise vollendeten Mordes zu befinden hat. Ein erfahrener Strafverteidiger wäre dieses Risiko niemals eingegangen und hätte seinem Mandanten eindringlich den sicheren Weg empfohlen. Aber auch im Strafrecht gilt die Lebensweisheit: Wie man sich bettet, so liegt man.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Schwarzmarkt

von atopom am 21.11.2018 um 15:53 Uhr

Nach den Erläuterungen des Gerichts wurde lediglich bei deutschen Lieferanten ermittelt. Wie steht es mit Ermittlungen bei europäischen, nicht deutschen Lieferanten? Zwar dauerte das Verfahren 44, teils schleppende Verhandlungstage, wurde zum Ende aber wieder schneller. Danach folgte Lunapharm.

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