Sachverständigen-Gutachten

„Wirtschaftsweise“: Online-Apotheken schützen, Rx-Versandverbot vermeiden

Berlin - 16.11.2018, 07:00 Uhr

Unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls CDU) nahmen Anfang November das Jahresgutachten der „fünf Wirtschaftsweisen“ entgegen. (m / Foto: imago)

Unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls CDU) nahmen Anfang November das Jahresgutachten der „fünf Wirtschaftsweisen“ entgegen. (m / Foto: imago)


Jedes Jahr geben die „fünf Wirtschaftsweisen“ ein Gutachten heraus, in dem sie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland analysieren. In diesem Jahr heißt die Analyse: „Vor wichtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen“. Ein Fokus liegt auf dem Wettbewerb. Mit Blick auf den Apothekenmarkt sehen die fünf Experten Handlungsbedarf. Das Rx-Versandverbot sei falsch, Online-Apotheken könnten helfen die Versorgungssicherheit sicherzustellen.

Den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gibt es seit 1963. Jedes Jahr übergibt er der Bundesregierung ein Gutachten, in dem die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Deutschlands auf den Prüfstand gestellt wird. In der vergangenen Woche ist das aktuelle Gutachten übergeben worden. Innerhalb von zwei Monaten muss die Bundesregierung nun dazu Stellung beziehen. Zu den sogenannten „fünf Wirtschaftsweisen“ gehören derzeit:

  • Prof. Dr. Christoph Schmidt, spezialisiert auf Arbeitsmarkt- und Energiepolitik. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen und Professor für Wirtschaftspolitik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum.
  • Prof. Dr. Peter Bofinger, der Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg unterrichtet und sich im Rat auf die Europapolitik spezialisiert hat.
  • Prof. Dr. Dr. Lars Feld: Der Vertreter der ordoliberalen Freiburger Schule ist seit März 2011 Mitglied des Sachverständigenrates. Seine Arbeitsgebiete im Rat sind die Finanz- und die Sozialpolitik. Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Universität Freiburg und Direktor des Walter-Eucken-Instituts.
  • Prof Dr. Isabel Schnabel: Die Finanzmarktexpertin ist Professorin für Finanzmarktökonomie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Forschungsprofessorin am Centre for Economic Policy Research (CEPR) sowie am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn.
  • Prof. Volker Wieland ist Experte für Geldtheorie und Geldpolitik. Er ist Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie und Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) an der Goethe-Universität Frankfurt.

Regierung sollte auf zu viel Regulierung bei der Digitalisierung verzichten

In ihrem diesjährigen Gutachten empfehlen die Experten der Bundesregierung in einem Kapitel „Zurückhaltung bei industriepolitischen Eingriffen“. Ihre These: „Immer dann, wenn der Strukturwandel sichtbar wird und sich technologische Umbrüche abzeichnen, werden die Rufe nach industriepolitischen Eingriffen lauter.“ Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sollte der Staat jedoch auf eine „lenkende Industriepolitik“ verzichten. Gerade bei der Digitalisierung ist das Regelungsbedürfnis der Regierung aus Sicht der Experten zu groß. Und in diesem Zusammenhang kritisieren die Wirtschaftsweisen auch zum ersten Mal die Pläne der Bundesregierung im Apothekenmarkt. Wörtlich heißt es dort:


Bei  der  Regulierung im Zusammenhang mit der Digitalisierung geht Deutschland ebenfalls äußerst kleinteilig und mit Augenmerk auf einzelne Interessengruppen vor. Als Beispiele dienen etwa die Preisbindung für E-Books, das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und bestimmten Taxidienstleistungen oder das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Besser wäre eine generelle Regulierung, die neue Geschäftsmodelle mit einschließt. Dabei sollte nicht nur die möglichst umfassende Unterstellung neuer Wettbewerber unter bestehende Regulierungen, sondern ebenso die Reduktion von Regulierung für bestehende Unternehmen in Betracht gezogen werden.“

Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen 2018


Online-Apotheken können Patientenzufriedenheit steigern

Der Digitalisierung und ihrer Bedeutung für das Gesundheitswesen widmen sich die Wirtschaftsweisen in einem nachfolgenden Kapitel noch intensiver. Die Experten sehen die Digitalisierung als „Innovationsmotor“. Die digitale Transformation im Gesundheitssektor verspreche, „effizientere Strukturen“ zu schaffen. Insbesondere in dünner besiedelten Gebieten gebe es „Potenziale für den Ausbau der Telemedizin“, heißt es weiter. Und im Unterkapitel „Wandel annehmen, nicht behindern“, heißt es dann mit Bezug auf den Apothekenmarkt schließlich:


Weiterer Handlungsbedarf besteht beim Wettbewerb unter Apotheken. Der Koalitionsvertrag sieht vor, Apotheken vor Ort durch ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu stärken. Dies ist ein Schritt in die falsche Richtung. So sind Online-Apotheken mit Risiken, wie Fehlanwendungen durch Selbstmedikation, fehlende Notdienste und mögliche längere Lieferzeiten, verbunden. Allerdings dürften sie den Wettbewerb erhöhen und eine stärkere Spezialisierung  erlauben. Zudem können Online-Apotheken einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten und die Konsumentenzufriedenheit durch geringere Preise erhöhen. Ein Versandverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel dürfte auf Grundlage eines EuGH-Urteils vom Oktober 2016 zudem  europarechtlich zumindest fraglich sein (EuGH, 2016).“

Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen 2018


Die fünf Wirtschaftsweisen sind nicht das erste Expertengremium, das im Arzneimittel- und Apothekenmarkt Handlungsbedarf sieht. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hatte im September dieses Jahres sein diesjähriges Gutachten in einem Symposium der Öffentlichkeit vorgestellt. Gleichzeitig forderte der Rat aber auch, dass Ärzte zu Notdienstzeiten auch Arzneimittel abgeben können sollten. Eine weitere klare Forderung hat der Rat jedoch auch: Apotheken sollten als gleichberechtigte Partner in besonderen Versorgungsformen zugelassen werden.

Schon zuvor hatte die Monopolkommission der Bundesregierung im Juli dieses Jahres ein weiteres Gutachten vorgelegt, das den Apothekern nicht gefallen dürfte. In ihrem knapp 500-seitigen Hauptgutachten 2018 widmen die Wettbewerbshüter ein ganzes Kapitel der Arzneimittelpreisverordnung. Ihr Fazit: Den Apothekern sollte ermöglicht werden, Rabatte auf Rx-Arzneimittel zu gewähren, außerdem sollten alternative Abgabemöglichkeiten wie Arzneimittelautomaten ausgebaut und das Apothekenhonorar reformiert werden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Sog. Wirtschaftsweise

von ratatosk am 16.11.2018 um 18:51 Uhr

Ja wenn man sich selbst so nennen will. Leider in eigenen Primitivmodellen gefangen. Flächendeckende Versorgung etc. sind denen immer noch zu hoch.
Deshalb auch grauselig das Beispiel mit der Lieberalisierung von Taxen und Transport, dort herrschen heute bei den so tollen digitalen Unternehmen ja für den Einzelnen Bedingungen die schlechter als die für Tagelöhner vor 200 Jahren waren. Stört staatlich alimentierte Menschen natürlich nicht, zusätzlich kann man ja schöne Gutachten schreiben.

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Vergebliche

von Stefan Haydn am 16.11.2018 um 13:07 Uhr

Liebesmühe der Dame und den Herren etwas Licht ins Dunkel bringen zu wollen.
Die wollen nicht verstehen und ich spreche ihnen nach der jahrelangen Resistenz gegenüber überzeugenden Sachverhalten auch die dazu nötige Intelligenz ab.

Der einzige Schluß den man ziehen kann ist:
Man muss nicht weise sein um sich Weise zu nennen.

Aber so Titel ohne Bedeutung, nur zum Bauchpinseln sind doch etwas Schönes.

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alle Jahre wieder

von Dr. Ralf Schabik am 16.11.2018 um 8:30 Uhr

Alle Jahre wieder sondern "Experten" (nicht gleichbedeutend mit Fachleuten) Theorien ab, die sie mit grossem Brimborium überreichen - und hinterher kräht kein Hahn danach, ob die Theorien eintreten oder nicht oder welche Kollateralschäden entstehen. Diese "Gutachten" sind nichts weiter als ein aufgeblasener Popanz ohne volkswirtschaftlichen, geschweige den soziokulturellen Nutzen.
Besonders perfide: All diese Leute sitzen in Lehrstühlen, die vom Staat hoch alimentiert, aber nie auf effiziente Arbeit überprüft werden.
Aber für die Schulen, die der Daseinsvorsorge dienen, ist seit Jahren zu wenig Geld da ...



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Online-Apotheken für Versorgungssicherheit

von Dr. Detlef Eichberg am 16.11.2018 um 8:02 Uhr

Komme heute Morgen aus einem Notdienst, in dem ich im Stunden-Takt dringend erforderliche Notfall-Medikationen über Nacht mit entsprechenden Hinweisen zur Beachtung an dankbare PatientInnen abgegeben habe. Wo ist da die Versorgungssicherheit der Onliner? Man darf klug und gerissen nicht mit weise verwechseln. Ich wünsche den Wirtschaftsweisen mal solch eine private Situation, wo sie in einem fämiliären Notfall bezüglich DocMorris auf dem Trockenen sitzen...Schönen Tach noch.

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