Expertenanhörung im Bundestag

Kostenlose Verhütungsmittel – wenn ja, für wen und wie?

Berlin - 08.11.2018, 10:15 Uhr

Sollen Verhütungsmittel auch jenseits des 20. Lebensjahres von den Krankenkassen erstattet werden? (r / Foto: Imago)

Sollen Verhütungsmittel auch jenseits des 20. Lebensjahres von den Krankenkassen erstattet werden? (r / Foto: Imago)


Die Pille und die Spirale sind teuer, was viele daran hindert, sie anzuwenden. Linke und Grüne fordern, Verhütungsmittel als Kassenleistung zu ermöglichen. Auf der Expertenanhörung am gestrigen Mittwoch begrüßten Mediziner und Sexualwissenschaftler die Vorschläge der beiden Parteien. Vertreter der Krankenkassen und Rechtsexperten dagegen sehen die Umsetzung der Anträge über die GKV dagegen kritisch.  

Selbstbestimmte Familienplanung ist ein Menschenrecht. Darauf berufen sich die Grünen und die Linksfraktion im Bundestag bei ihrer Forderung, die Kostenerstattung von Verhütungsmitteln zu ermöglichen. Der Kreis der Begünstigten unterscheidet sich in den beiden Anträgen.

Anträge der Linken und Grünen

So möchten die Grünen, dass Empfänger von Transferleistungen auch nach dem vollendeten Lebensjahr verschreibungspflichtige Verhütungsmittel von den Krankenkassen erstattet bekommen. Die Kosten sollen aus Steuerzuschüssen gegenfinanziert werden. Der Zugang solle niedrigschwelig und möglichst unbürokratisch erfolgen.

Die Linken schlagen vor, dass alle GKV-Versicherten eine Art Verhütungsbudget erhalten, mit dem sowohl orale Kontrazeptiva, Spiralen, Sterilisationen, Zykluscomputer und Kondome abgedeckt sein sollen. Die Krankenkassen sollen dazu Verträge mit den Leistungserbringern wie beispielsweise den Apotheken schließen.

Schwangerschaftsabbrüche vermeiden

Am gestrigen Mittwoch stellten sich Mediziner, Sexualwissenschaftler, Kassenvertreter, Rechtsexperten sowie Vertreter anderer Organisationen den Fragen der Bundestagsabgeordneten im Gesundheitsausschuss. Aus den Fragen der Gesundheitspolitiker ließ sich erkennen, dass Union und FDP den beiden Anträgen kritisch gegenüber stehen.

Die Berliner Frauenärztin Dr. Katrin Wolf unterstützte die Intention der beiden Anträge. Sochere Verhütung sei für die sexuelle und reproduktive Gesundheit unabdingbar. Denn die konsequente Anwendung von Verhütungsmitteln verhindere ungewollte Schwangerschaften und ebenso Schwangerschaftsabbrüche. Daher sollen die finanziellen Barrieren für Kontrazeptva abgebaut werden. Im Sinne einer selbstbestimmten Sexualität sollten aus Sicht von Wolf auch die Männer mt einbezogen werden und kostenlos Kondome erhalten können. 

Verhütungsmittel kein Lifestyleprodukt

Die Sexualwissenschaftlerin Professor Ulrike Busch schloss sch den Ausführungen der Frauenärztin an. Denn Verhütungsmittel seien unmittelbar mit Gesundheit verknüpft und kein Lifestyleprodukt. Busch zitierte die WHO, derzufolge Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist. „Eine Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft ist eine Entscheidung von sozialer Tragweite“, so die Sexualwissenschaftlerin.

Und Sozialhilfeempfängerinnen können sich Verhütungsmittel nur schwer leisten. Es sei lebensfremd davon auszugehen, dass in armen Haushalten ein monatlicher Betrag für Verhütung zurückgelegt werden könne. Um den Zugang für Bedürftige so unbürokratisch wie möglich zu gestalten schlägt Busch vor, dass die Krankenkassen entsprechende Bescheide anderer Stellen wie etwas seitens des Jobcenters anerkennen.

Kassen: Umsetzung über SGB V ungeeignet

Vertreter des GKV-Spitzenverbandes sowie des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) betrachten die Umsetzung über das SGB V als ungeeignet. Denn bei Verhütungsmitteln handele es sich um versicherungsfremde Leistungen. Allenfalls sei der Vorschlag der Grünen denkbar, da sich dieser ausschließlich an Bedürftige richte. Doch hier müsse das Vorliegen der Bedürftigkeit geprüft werden, wodurch ein bürokratischer Aufwand und damit zusätzliche Verwaltungsausgaben entstünden. Denn die Kassen würden nicht von jedem Versicherten wissen, ob dieser Transferleistungen beziehe.

Auch die Rechtswissenschaftlerin Professor Frauke Brosius-Gersorf findet, dass Verhütungsmittel versicherungsfremde Leistungen sind. Eine direkte Verknüpfung zwischen Verhütungsmitteln und Gesundheit erkenne sie im Gegensatz zu Wolf und Busch nicht. Deshalb bestünden verfassungsrechtliche Bedenken, da der Bund nicht die Kompetenz habe, per Gesetzgebung Verhütungsmittel für alle durch die Krankenkassen erstatten zu lassen. Die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln jenseits des 20. Lebensjahres könne daher – wenn überhaupt – nur an Bedürftige erfolgen. Die Umsetzung sei dabei allerdings nicht als Kassenleistung im Rahmen des SGB V, sondern über das SGB II (Grundsicherung) oder das SGB XII (Sozialhilfe) denkbar.

Altersgrenze einfach anheben?

Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), die bei der Anhörung nicht vertreten waren, äußerten im Vorfeld noch einen weitere Idee. In einer gemeinsamen Stellungnahme schlagen die beiden gynäkologischen Fachorganisationen vor, die bisherige Altersgrenze, unterhalb der verschreibungspflichtige Verhütungsmittel bereits erstattet werden, von 20 auf 25 Jahre anzuheben.

Damit würden auch Studierende und Auszubildende mitberücksichtigt, die keine Transferleistungen erhalten. Außerdem würde verhindere diese Regelung, dass Empfängerinnen von Transferleistungen ihre Bedürftigkeit in der Apotheke, beim Arzt oder anderen Einrichtungen nachweisen müssen, was für manche beschämend sein kann.

Dieser Vorschlag steht allerdings im Gegensatz zu den Ausführungen der Sozialwissenschaftlerin Professor Cornelia Helffrich, derzufolge sich der Bedarf am Einkommen und nicht am Alter orientieren solle. Zudem sollen auch Männer zu ihrer Verantwortung stehen, weshalb Helffrich wie auch Wolf  die Erstattung von Kondomen befürworten.

Einige Experten verwiesen in ihren Antworten auch auf das laufende Modellprojekt „Biko“ (Beratung, Information, Kostenübernahme), das den Nutzen einer kostenfreien Abgabe von Verhütungsmitteln untersucht. Dabei arbeiten Ärzte, Apotheker und ProFamilia-Beratungsstellen in sieben Modellregionen eng zusammen. Die Ergebnisse werden Ende des kommenden Jahres erwartet.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

In Frankreich wird die Pille von der "GKV" übernommen

von Christina MARTIGNY am 12.11.2018 um 0:34 Uhr

Man schaue doch mal bei unseren Nachbarn, wie das Thema hier behandelt wird.
Beispiel Frankreich: Pille auf Rezept und 100% Übernahme durch die Secu ("GKV" wenn man so will).
Hier gibt es keine Altersgrenze und erst recht keine Prüfung der Bedürftigkeit!

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Familie ist ein Menschenrecht!

von Dr. Arnulf Diesel am 09.11.2018 um 10:02 Uhr

Statt Geld für Verhütungsmaßnahmen (vermutlich eher für die zusätzliche Bürokratie) zur Verfügung zu stellen, sollten Familien entlastet und gefördert werden. Darüberhinaus muß die Behandlung der Unfruchtbarkeit vollständig kostenlos sein. Israel gewährt jeder Bürgerin 3 "Take-home Babies", d.h. 3 erfolgreich ausgetragene Schwangerschaften. Sich für oder gegen Kinder zu entscheiden sei natürlich jedem freigestellt. Als Apotheker denke ich darüberhinaus an die Auswirkungen der linken Ideen. Vermutlich brauchen wir für die Abgabe und Abrechnung von Kondomen eine zusätzliche Präqualifizierung, müssen die passende Größe ausmessen und Dauergenehmigungen einholen. Zweckmäßig und damit GKV Leistung sind 8 einfarbige Kondome pro Monat ....

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