Studie

Zuckerstoffwechsel: Gesund durch Gendefekt?

Gernsbach - 06.11.2018, 09:00 Uhr

Zu viel Süßes ist ungesund. Doch warum eigentlich? (c / Foto: imago)

Zu viel Süßes ist ungesund. Doch warum eigentlich? (c / Foto: imago)


Dass zu viel Zucker ungesund ist, legen zahlreiche Beobachtungsstudien nahe. Doch ein Beweis für die Kausalität fehlt. US-Forscher fanden heraus, dass eine eingeschränkte Funktion des Glucosetransporters SGLT-1 das Risiko für Diabetes und Herzinfarkt sowie die Mortalität senkt. Allerdings handelt es sich bei den Ergebnissen um die Extrapolation einer Modellrechnung.

Fast jeder weiß: Ein Übermaß an Zucker macht krank. Warum sind wir da eigentlich so sicher? Viele epidemiologische Studien weisen zwar darauf hin. Doch streng genommen lässt sich aus nicht-interventionellen Daten zwar eine Korrelation, jedoch keine Kausalität zeigen. Eine Forschergruppe der US-Universität Havard hat nun Belege dafür gefunden, dass eine reduzierte Glucoseaufnahme mit einem erniedrigten kardiometabolischen Risiko einhergeht. Die Ergebnisse wurden im Journal of the American College of Cardiology publiziert.

Welche Rolle spielen SGLT-Transporter?

Dabei kam die erniedrigte Glucoseaufnahme nicht dadurch zustande, weil die Probanden ihre Ernährung umgestellt hatten, sondern weil sie eine eingeschränkte Funktion des Glucosetransporters SGLT-1 aufwiesen. Beim SGLT-1-Protein handelt es sich um einen natriumabhängigen Glucosetransporter. Die Isoform SGLT-2 ist aus der medikamentösen Diabetesbehandlung bekannt: So wirken Gliflozine (zum Beispiel Empagliflozin) blutzuckersenkend, indem sie SGLT-2 im frühproximalen Nierentubulus hemmen.

Der SGLT-1-Transporter befindet sich im spätproximalen Tubulus, vor allem aber im Dünndarm, wo er für die Glucoseaufnahme aus der Nahrung zuständig ist. Genmutationen, die zu einer kompletten Funktionsuntüchtigkeit des SGLT-1-Proteins führen, sind mit einer geringen Lebenserwartung verbunden.

Mutationsträger zeigten bessere Glucosetoleranz

Doch es gibt auch Mutationen des SGLT-1, die nur zu einer partiellen Einschränkung des Transportproteins und damit zu einer automatisch verringerten Glucoseaufnahme führen. Die Forscher aus Boston identifizierten dabei drei genetische Varianten. Das Ziel ihrer aktuellen Forschungsarbeit war es, die klinischen Folgen dieser Genmutationen zu untersuchen. Dazu werteten die Wissenschaftler Patientendaten der fortlaufenden Beobachtungsstudie ARIC (Atherosclerosis Risk in Communities) aus. In einer Kohorte aus 5.687 Personen europäisch-amerikanischer Herkunft, wiesen 13 Prozent mindestens einen dieser Gendefekte auf.

Alle Probanden hatten sich zu Beginn der Studie einem oralen Glucosetoleranztest unterzogen. Die Mutationsträger wiesen dabei zwei Stunden nach der Glucoseaufnahme erwartungsgemäß niedrigere Blutzuckerwerte auf. Und zwar lagen diese bei der europäisch-amerikanischen Kohorte im Mittel bei 129 +/- 2,4 mg/dl versus 139 +/- 0,9 mg. Ähnliche Werte ergaben sich auch für zwei weitere Kohorten – 2.791 Personen afroamerikanischer und 6.784 Personen europäisch-finnischer Herkunft – aus der ARIC-Studie.

Blutzucker und kardiometabolisches Risiko

Welche klinischen Konsequenzen haben die veränderten Laborparameter? Dazu untersuchten die Forscher die Mortalitätsraten der Teilnehmer mit und ohne Gendefekt und beobachteten, wie häufig Diabetes, Adipositas und Herzinsuffizienz auftraten. Aus den gesamten Daten berechneten die Wissenschaftler mithilfe eines speziellen statistischen Verfahrens (Medelian Randomization), wie sich die Risiken für diese Ereignisse theoretisch verändern würden, wenn sich der Zwei-Stunden-Blutzuckerwert beim oralen Glucosetoleranztest über 25 Jahre lang um 20 mg/dl senken würde. Bei dieser Modellrechnung würde das Adipositasrisiko um 57 Prozent, das Diabetesrisiko um 42 Prozent und das Herzinsuffizienzrisiko um 47 Prozent zurückgehen. Die Mortalität würde um 34 Prozent sinken.

Neues Target für Antidiabetika?

Lässt uns zu viel Zucker nun früher sterben? Für eine derartige Schlussfolgerung wäre es sicher noch zu früh. Die „guten Werte“ beim oralen Glucosetoleranztest kommen durch einen Gendefekt und nicht durch eine gesunde Lebensweise zustande. Abgesehen davon handelt es sich bei der Modellrechnung um eine Extrapolation. Unklar ist ferner, ob die Funktionsbeeinträchtigung des SGLT-1 Transporters auch negative Folgen haben könnte.

Aus Sicht der Autoren ist der Zusammenhang zwischen dem SGLT-1-Transporter und dem Herzinsuffizienz-Risiko vielversprechend, da Diabetiker ein erhöhtes kardiometabolisches Risiko aufweisen. Deshalb könnte neben dem SGLT-2-Transporter auch das SGLT-1-Protein ein künftiges Target für neue Antidiabetika sein.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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