Innovationsreport 2018

TK: Industrie forscht an der falschen Stelle

Berlin - 24.10.2018, 17:20 Uhr

TK-Chef Jens Baas, Gerd Glaeske und Wolf-Dieter Ludwig stellten am heutigen Mittwoch den TK-Innovationsreport 2018 vor. (Foto: TK)

TK-Chef Jens Baas, Gerd Glaeske und Wolf-Dieter Ludwig stellten am heutigen Mittwoch den TK-Innovationsreport 2018 vor. (Foto: TK)


Kritik an beschleunigter Zulassung und Orphan-Drug-Anreizen

Ludwig kritisierte, dass es in den vergangenen Jahren zu Fehlentwicklungen gekommen sei: Immer mehr Arzneimittel kämen über eine beschleunigte Zulassung auf den Markt, also zu einem Zeitpunkt, an dem man noch wenig über sie weiß. Und Studien, die nach der Zulassung durchgeführt werden, gebe es nur unzureichend. Zudem nutzten pharmazeutische Unternehmen die bestehenden Anreize für Orphan Drugs. Ursprünglich sei dies eine notwendige Regelung gewesen. Doch mittlerweile beträfen 60 Prozent der Orphan Drug Zulassungen Krebsarzneimittel. Denn hier lässt sich bestens in Untergruppen unterteilen, so dass die Patientenzahlen klein bleiben. Der Industrie dies vorzuwerfen, hält Ludwig jedoch für „lächerlich“. Die entsprechenden Verordnungen, die dies ermöglichen, müssten angegangen werden. Er ist überzeugt: Bei der Entwicklung von Krebsarzneimitteln stimmt die Motivation ohnehin – da bedarf es keiner Extra-Anreize.

Problem-Therapiegebiet Alzheimer Demenz

Anders sieht es allerdings in anderen dringlichen Therapiegebieten aus, etwa der Alzheimer-Demenz, der der Report in diesem Jahr ein Sonderkapitel widmet. Hier habe sich die Industrie fast vollständig aus der Forschung zurückgezogen. Seit Jahren gibt es keine neuen Zulassungen auf diesem Gebiet. Die derzeit verfügbaren Medikamente verlangsamen nur das Fortschreiten der Erkrankung, können sie also weder aufhalten noch heilen. Doch selbst diese kommen nur in bescheidenem Umfang zum Einsatz: Nur 14 Prozent der betroffenen Erkrankten erhalten Antidementiva. Weit verbreitet ist dagegen die Verordnung von Neuroleptika und Benzodiazepinen. Unter- und Fehlversorgung sind hier also gang und gäbe. Für Glaeske liegt hier der Verdacht nahe, dass demente Menschen einfach ruhiggestellt werden, statt sie richtig zu behandeln – nach dem Motto „sauber, satt und ruhig“. Sie könnten derzeit jedenfalls nur wenig Hoffnung auf eine vernünftige Arzneimitteltherapie haben.


TK-Chef Jens Baas setzt nun auf einen neuen Pharmadialog. Dieser sollte darauf drängen, dass die Pharmaindustrie ihre Forschungen auf Gebieten betreibt, wo sie benötigt werden, etwa der Demenz, und nicht, wo die größten Profite winken. Darüber hinaus findet auch Baas, dass die Orphan-Regelung nachgebessert werden muss. Die Politik müsse sich überlegen, wo sie Anreize setzen wolle und wo nicht. Der TK-Chef will den Pharmaunternehmen nicht vorhalten, dass sie Geld verdienen wollen. Allerdings müssten einige Schlupflöcher geschlossen werden, damit Fehlentwicklungen – insbesondere den immer höheren Preisen – gegengesteuert werden kann. Ludwig ergänzte, dass man auch an leistungsorientierten Bezahlmodellen arbeiten müsse – Stichwort: pay for performance.

VFA: Fragwürdige Ampel und zynische Analyse

Auf wenig Verständnis trifft der neue TK-Report beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des vfa, erklärte: „Wer den Fortschritt nicht sehen will, hält ihn trotzdem nicht auf!“ Fischer findet es „zynisch“, Fortschritt im Bereich der Onkologie als Forschung an der falschen Stelle zu bezeichnen. Wer dann noch zwei resistenzbrechende Antibiotika aus dem Jahr 2015 nicht in die Bewertung einbeziehe, sei beim Thema medizinischer Bedarf nicht glaubwürdig. Was Alzheimer-Arzneimittel betrifft lässt Fischer wissen, dass ein Viertel der vfa Mitgliedsfirmen auch weiterhin an solchen forsche. Auch die Kritik an der zunehmenden Zahl an Orphan Drugs will sie nicht stehen lassen: Patienten, Ärzte, Politik und Industrie hätten zusammen ein langfristiges und transparentes Anreizsystem für mehr Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen geschaffen. „Das zeigt Wirkung: Immer mehr Patienten mit bislang nicht behandelbaren Erkrankungen erhalten eine wirksame Arzneimitteltherapie."



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Irgenwas unklar - einfach Glaeske fragen

von Ratatosk am 25.10.2018 um 10:45 Uhr

Egal was in der Welt geforscht oder sonstwie gemacht wird, unser Glaeske weiß alles und alles besser. Warum macht man eigentlich noch Forschung, man kann doch gleich den Gläese fragen. Zusatznutzen ? was solls, definieren wir so, daß es die auftraggebende Kasse freut.
Grotesk auch der Hinweis auf hohe Kosten in Industrienationen ! ja sollen denn arme Länder wie Eritrea oder Sudan teure Forschung stemmen ?

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