Kommentar

Deutschland, wie Spahn es sich vorstellt

Berlin - 04.10.2018, 17:55 Uhr

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) greift immer deutlicher nach einer größeren Rolle im Bundeskabinett. Aber passt seine Politik als Gesundheitsminister zu seinem allgemeinpolitischen Programm? (b / Foto: Imago)

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) greift immer deutlicher nach einer größeren Rolle im Bundeskabinett. Aber passt seine Politik als Gesundheitsminister zu seinem allgemeinpolitischen Programm? (b / Foto: Imago)


In diesen Tagen erleben wir wieder den anderen Jens Spahn: Anstatt sich in Berlin um den Versandhandelskonflikt zu kümmern, unterhält sich der Bundesgesundheitsminister in Washington mit dem US-Sicherheitsberater. Ein Tag später erscheint zum Tag der Deutschen Einheit ein Gastkommentar im „Tagesspiegel“ mit dem Titel „Wie ich mir Deutschland vorstelle“. Dass sich Spahn um eine größere Rolle bewirbt, ist nicht verwerflich. Aber seine allgemeinpolitischen Versprechen decken sich nicht immer mit seinem gesundheitspolitischen Vorgehen, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer.

Eigentlich hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Gesundheitspolitik noch einiges zu tun. Insbesondere das Apothekenwesen wartet seit Monaten auf Lösungsvorschläge und Antworten im Versandhandelskonflikt – Antworten und Vorschläge, die Spahn übrigens selbst angekündigt und mit Verweis auf den Deutschen Apothekertag sogar terminiert hat. Doch trotz des engen Zeitrahmens bis zum Apothekertag reist der Minister erst einmal für ein paar Tage in die USA. Nicht etwa, um sich mit Gesundheitsminister Alex Azar zu treffen. Nein, Spahn braucht es eine Etage höher und arrangiert ein Meeting mit dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton – seines Zeichens Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA.

Nach ein paar Pressestatements – in denen es AUCH um gesundheitspolitische Themen geht – folgte am gestrigen Tag der Deutschen Einheit ein noch viel größeres Ausrufezeichen. Im Berliner Tagesspiegel erscheint ein Gastkommentar des Gesundheitsministers mit der Überschrift „Wie ich mir Deutschland vorstelle“. Schon die Überschrift zeigt, in welchen Dimensionen der CDU-Politiker denkt. Auch im Text wird schnell klar: Spahn will sich nicht mit fachpolitischen Einzelheiten aufhalten – es geht ihm um das große Ganze. Der Text ist ein politisches Manifest. Dass Spahn als Überschrift nicht schrieb „Ich kandidiere“, scheint alleine dem Fakt geschuldet zu sein, dass wir uns noch relativ früh in der Legislaturperiode befinden und er seine Chefin nicht schon jetzt offen angreifen kann.

Aber wie sieht das Deutschland aus, das sich unser Gesundheitsminister vorstellt? Die meisten Aussagen von Spahn überraschen nicht. In Bayern droht der CSU eine historische Niederlage, die AfD wächst, in Brandenburg sind die Rechtspopulisten mit der SPD in Umfragen sogar stärkste Kraft. Spahns Grundaussage, dass Deutschland eine „vernünftige, lebenskluge Mitte“ brauche, ist daher auch mit vielen altbekannten konservativen Werten seiner Partei gespickt. Das Bewahren von „grundgesetzlich verankerten Vorstellungen“ des Zusammenlebens oder die Konzentration auf Familien. Hinzu kommt die Ankündigung einer strikteren Integrationspolitik: Die Einladung zur Integration dürfe nicht „feindselig ausgeschlagen“ werden, die soziale Ordnung müsse trotz des „hohen Migrationsdrucks“ bewahrt werden und rechtsgültige Abschiebungen sollten vollzogen werden.

Die Apotheker in Spahns Deutschland-Bild

Auch wenn Spahn die Gesundheitspolitik in seinem Manifest nur streift, sind gerade für Apotheker einige spannende Aussagen dabei. Beispielsweise plädiert der Minister für „eine Politik, die auf nachvollziehbaren Wegen erkennbare Probleme zu lösen versucht, lebensnah und lebensklug“. Man müsse den Menschen zeigen, dass demokratische Politik „Dinge spürbar verbessern kann“. Spahn beschwert sich auch über eine „Überfokussierung auf Teilgruppen“ in der Politik. Sollte es tatsächlich zu einer (teilweisen) Öffnung der Arzneimittelpreisverordnung kommen, dürfte sich aber ganz besonders die „Teilgruppe“ der (deutschen) Versandhändler freuen – und nicht das eigentliche Rückgrat der Versorgung, die Vor-Ort-Apotheke.

Interessant sind auch Spahns Aussagen zur Europa-Politik. Denn der Minister warnt vor einem zu mächtigen Europa, in dem sich die Souveränität der Nationalstaaten verliert. „Eine vernünftige, lebenskluge Politik der Mitte kann nichts anfangen mit dem Traum einer Auflösung der Nationen in einem Europäischen Superstaat. Eine starke Europäische Union ruht auf den Schultern starker Nationalstaaten. Der primäre Raum der Demokratie ist noch immer der Nationalstaat (…)“, schreibt Spahn.

Spahn: Deutschland nicht in Europa auflösen

Bezieht man diese Worte auf den Versandhandelskonflikt, müsste Spahn einer der größten Befürworter des Rx-Versandverbotes sein. Denn selbst seine Fraktionskollegen, die Gesundheitsexperten Michael Hennrich und Karin Maag, haben erkannt und immer wieder benannt, dass das EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung tief in die Kompetenz der Nationalstaaten eingreift, das eigene Gesundheitssystem selbst regeln zu dürfen.

Schließlich spricht der Minister noch einen Aspekt an, der auch im Versandhandelskonflikt immer wieder aufflammt: die ländliche Versorgungs- und Infrastruktur. „Für Zusammenhalt ist heute vor allem und gerade auch etwas Kulturelles nötig: Dass die Menschen sich weiter hier zu Hause fühlen. Dass sie ihre Dörfer und Städte noch wiedererkennen. Dass es da noch die Dinge gibt, die zur Heimat gehören, die Halt geben: vom Bäcker über die Schule, das Krankenhaus, das Volksfest bis zum Pfarrer“, so Spahn. Die Apotheke vor Ort fehlt in dieser Aufzählung, viele Menschen würden ihr aber genau diesen Stellenwert zuordnen.

Bislang hat es in Deutschland noch nie ein Gesundheitsminister geschafft, Bundeskanzler zu werden. Das könnte sich bald ändern, Spahn tut alles dafür. Dass sein Engagement diesbezüglich immer größer wird und seine Tätigkeit als Gesundheitsminister teilweise in den Hintergrund rückt, ist erst einmal nicht verwerflich. Denn auch in der Union muss es eine Zeit nach Angela Merkel geben. Denn Spahn hat Recht, wenn er eine starke, konservative Mitte fordert, die der AfD Paroli bieten kann. Allerdings wäre es schön, wenn die allgemeinpolitischen Ausflüge, also die großen Forderungen und Pläne, des Noch-Gesundheitsministers auch zu seinem jetzigen Vorgehen im gesundheitspolitischen Alltag passen – auch im Apothekenmarkt.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

Hr Spahn und das Sesundheitsystem

von Rizzato am 08.10.2018 um 10:40 Uhr

Herr Spahn hat ein unglaubliches Potenzial als Darsteller seiner selbst. Für das Gesundheitsystem hat Herr Spahn kein Verpflichtungsgefuhl wie die Darstellung seiner persönlichen Interessen,. Hat Herr Spahn irgendetwas unternommen gegen die Verunreinigungen von Valtarsan?
Ich finde, er verschwendet Steuergelder und sein Gehalt ist nicht an sein Leistung angepasst.

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Organspende laut Gesetzentwurf Spahn

von Dieter Kaiser am 05.10.2018 um 13:35 Uhr

Wer den Vorstellungen von Herrn Spahn bei den Änderungen zur Organspende nicht offiziell widerspricht dessen Körper gerät in eine Art Leibeigenschaft zur Organentnahme, was ich mit dem christlichem Menschenbild nicht vereinbaren kann. Zur ewigen Ruhe gebettet gilt ja dann wohl nicht mehr ! Erfolgt die Organentnahme nach Organtod ? Wohl kaum !

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Glaubwürdigkeit ! leider schon zu Beginn völlig verspielt.

von Ratatosk am 04.10.2018 um 19:18 Uhr

Eine vernünftige, lebenskluge Politik der Mitte kann nicht existieren, wenn Verträge und Versprechen zugunsten einer winzigen Gruppe von Großkapitalinteressen gebrochen werden. Gerade eine alternde Gesellschaft braucht reale Geschäfte und nicht reinen Internethype, der bei jedem IT Problem großflächig zusammenbrechen kann, auch das Wetter kann nicht mit Handyapps überlistet werden.
Wer dies alles nicht erkennen kann oder will, ist eher eine Gefahr für weiter steigende Politikverdrossenheit und für die Demokratie selbst. Auf gebrochenen Versprechen kann man auch keine Kanzlerschaft gründen.
Noch könnte er, wenn auch nur auf Druck der Bundesländer seinen Ruf retten, aber es sieht eher schlecht für ihn aus.

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