Dritter Inspektionsbericht der FDA

Elf neue Mängel-Beobachtungen beim Valsartan-Hersteller Zhejiang Huahai

Stuttgart - 26.09.2018, 17:40 Uhr

Die FDA nimmt den chinesischen Wirkstoffhersteller Zhejiang Huahai, der im Mittelpunkt des Valsartan-Falls steht, unter die Lupe und wird fündig. ( r / Symbolbild, Foto: auremar / stock.adobe.com)

Die FDA nimmt den chinesischen Wirkstoffhersteller Zhejiang Huahai, der im Mittelpunkt des Valsartan-Falls steht, unter die Lupe und wird fündig. ( r / Symbolbild, Foto: auremar / stock.adobe.com)


Vom 23. Juli bis 3. August 2018 hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA den chinesischen Wirkstoffhersteller Zhejiang Huahai erneut inspiziert. Dieser steht im Fall der Valsartan-Verunreinigungen im Zentrum der Untersuchungen. Die FDA hat daraufhin elf Kritikpunkte auf elf Seiten festgehalten: Um welchen Wirkstoff es geht, ist zwar erneut geschwärzt – doch man liest von genotoxischen Verunreinigungen, die nicht ausreichend untersucht wurden, und von einer Umstellung des Herstellungsprozesses, bereits im November 2011. 

Im Fall Valsartan, in dessen Mittelpunkt der chinesische Wirkstoffhersteller Zhejiang Huahai steht, ist noch vieles ungeklärt. Zwar dringen immer wieder neue Details an die Öffentlichkeit – so wurde nach NDMA ein weiteres Nitrosamin mit dem Namen NDEA in Valsartan und Losartan gefunden – doch wie es überhaupt zu dem Skandal in seinem bisherigen Ausmaß kommen konnte und wer dafür die Verantwortung trägt, das bleibt bislang unbeantwortet.

Mehr Licht ins Dunkel könnte nun ein dritter Inspektionsbericht, ein sogenanntes 483-Formular bringen, in dem die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA elf Beobachtungen festhält, die sie während einer Inspektion bei Zhejiang Huahai zwischen dem 23. Juli und 3. August 2018 gemacht hat.

Prozessänderungen im November 2011 nicht ausreichend getestet

Schon am Donnerstag vergangener Woche berichtete die Regulatory Affairs Professionals Society (RAPS) über das dritte 483-Dokument der FDA, das an die Oberfläche gedrungen ist. Der Zeitraum der Inspektion – vom 23. Juli bis 3. August 2018 – weckt zumindest den Verdacht, dass die Valsartan-Produktion inspiziert wurde. Denn bekannt sind die NDMA-Verunreinigungen (laut der europäischen Arzneimittelagentur EMA) in Valsartan etwa seit Juni 2018, kurz darauf erfolgten die entsprechenden Rückrufe weltweit, auch in den USA. Ob es im neuen 483-Formular nun tatsächlich um Valsartan geht, ist aber nicht bekannt. Die elf beobachteten Mängel weisen jedoch vor allem zwei Ähnlichkeiten zum Fall auf: So wurden zum einen im Valsartan-Fall Änderungen im Herstellungsprozess, die 2012 stattgefunden haben sollen, diskutiert, die zur Verunreinigung mit NDMA geführt haben könnten. Im nun veröffentlichten 483-Formular ist bezüglich eines geschwärzten Wirkstoffs davon die Rede, dass Zehjiang Huahai vorgenommene Prozessänderungen nicht ausreichend getestet hat. Diese Änderungen sollen schon im November 2011 stattgefunden haben. Außerdem ist zweitens von genotoxischen Verunreinigungen die Rede, die nicht ausreichend untersucht wurden.

Vom externen Labormaßstab direkt in die Produktion

Auch alle anderen im elfseitigen Inspektionsbericht aufgeführten Beobachtungen sprechen nicht unbedingt für eine GMP-konforme Herstellung, sondern lassen wenig sorgfältiges Arbeiten und eine Ausstattung in schlechtem Zustand vermuten. Einige Punkte fallen dabei besonders auf: Die wichtigste Beobachtung ist wohl die erste. Dort wird auf die kritische Änderung im Herstellungsprozess, die im November 2011 eingeführt werden sollte, näher eingegangen. Kritisiert wird, dass die potenziellen Auswirkungen der Änderungen nicht evaluiert wurden. Zudem sei ein externes Labor beauftragt worden, bezüglich der Umstellung ein kleines Forschungsprojekt im Labormaßstab durchzuführen. Darauf basierend sei die Validierung im kommerziellen Maßstab eingeleitet worden. Der stellvertretende Produktionsleiter sagte dazu, dass die Firma über kommerzielle Erfahrung verfüge, sodass es angesichts der vorgenommenen Änderung nicht notwendig gewesen sein soll, Pilotversuche durchzuführen, bevor kritische Änderungen im kommerziellen Maßstab eingeleitet werden.

Eine Mängel-Liste aus 11 Punkten

  • Das Kontrollsystem zur Bewertung aller Änderungen, die sich auf die Produktion und Kontrolle von Zwischenprodukten oder APIs auswirken können, ist nicht ausreichend.
  • Die Validierung von Produktionsprozessen, Reinigungsverfahren, analytischen Methoden und In-Prozess-Kontroll-Prüfverfahren sind nicht immer ausreichend.
  • Das Qualitätsmanagementsystem, um sicherzustellen, dass die APIs den beabsichtigten Spezifikationen für Qualität und Reinheit entsprechen, ist nicht ausreichend, da der Qualitätseinheit schriftliche Anweisungen fehlen und die Autorität und Verantwortung fehlen, um sicherzustellen, dass alle kritischen Abweichungen gründlich untersucht werden.
  • Die Qualitätseinheit kommt seiner Verantwortung nicht immer nach, alle APIs freizugeben oder abzulehnen.
  • Die Reinigungsverfahren sind nicht detailliert genug, damit die Bediener jeden Gerätetyp reproduzierbar und effektiv reinigen können. So wurden beispielsweise wiederholt weiße Ablagerungen beobachtet.
  • Geräte, die bei der Herstellung von Zwischenprodukten und Wirkstoffen verwendet werden, sollten in angemessener Bauweise und Größe am passenden Standort für die vorgesehene Nutzung, Reinigung und Wartung vorzufinden sein. Dass dies nicht so ist, sei eine wiederholte Beobachtung.
  • Zeitpläne und Verfahren für die präventive Wartung von Geräten sind nicht ausreichend oder gar nicht vorhanden.
  • Substanzen, die mit dem Betrieb von Geräten in Verbindung stehen, wie z.B. Schmierstoffe, Heizflüssigkeiten oder Kühlmittel, sind nicht immer lebensmitteltaugliche Schmierstoffe und Öle.
  • Stichprobenpläne und Testverfahren sind nicht immer wissenschaftlich fundiert und angemessen, um die Übereinstimmung von Rohstoffen, Zwischenprodukten und APIs mit etablierten Qualitätsstandards zu gewährleisten.
  • Die Überwachung der Stabilitätsmerkmale von APIs, zur Bestätigung geeigneter Lagerbedingungen und Wiederholungsprüfungen, ist nicht ausreichend.
  • Produktionsabweichungen werden nicht immer gemeldet und evaluiert, und kritische Abweichungen werden nicht immer untersucht und die Schlussfolgerungen nicht immer dokumentiert.

Unter dem elften und letzten Punkt der Mängel-Liste sind besonders viele Textteile geschwärzt. Was sich daraus dennoch ableiten lässt ist, dass auch an dieser Stelle weitere Kritik an der Synthese zu üben ist: Offenbar wurden vorgegebene Temperaturen während der Synthese über einen kritischen Zeitraum nicht eingehalten. Unter dem zehnten Punkt wird aufgeführt, dass bei Tests auf Zersetzungsprodukte keine Tests auf Restlösungsmittel erfolgten – ein weiterer Kritikpunkt, der indirekt mit der Synthese zusammenhängt. Unter Punkt drei ist von „Fluktuationen“ im Herstellungsprozess zu lesen.

Chargenfreigabe trotz genotoxischer Verunreinigungen 

Besonders brisant lesen sich die unter Punkt drei beschriebenen Beobachtungen, an dieser Stelle wurde auch viel geschwärzt: So seien fertige APIs (active pharmaceutical ingredient) mit OOS-Werten (out of specification) – also unerwünschten Ausschlägen – an genotoxischen Verunreinigungen freigegeben worden, ohne diesen gründlich nachzugehen. In einem Fall wurde für OOS-Werte keine Ursache gefunden, der Hersteller vermutete aber, dass sie auf gelegentliche Fluktuationen im Herstellungsprozess zurückzuführen seien. Die Ursache für diese Fluktuationen wurde allerdings auch nicht weiter untersucht.

Eine Abweichung, in der es um eine einzelne unbekannte Verunreinigungen ging, wurde von Oktober 2017 bis Februar 2018 untersucht, heißt es im Bericht. In einem Plan mit entsprechenden Korrekturmaßnahmen sei zwar vorgesehen gewesen, die Verunreinigung mittels LC-MS (Flüssigchromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung) zu identifizieren, und anschließend weitere Untersuchungen durchzuführen – jedoch wurde die Verunreinigung nie identifiziert und der Fall dennoch geschlossen. Stattdessen wurden betroffene Chargen wiederaufbereitet und mit neuen Chargennummern versehen.

Auslagerung der Qualitätskontrolle, Chargen an andere Kunden verkauft

Unter Punkt neun wurde wiederholt beobachtet, dass OOS-Ergebnisse (out of specification) ohne wissenschaftlich fundierte Begründungen für ungültig erklärt wurden, indem man sie als Laborfehler bezeichnete. Zudem wurde ein externes Labor in einem konkreten Fall mit der Qualitätsprüfung beauftragt, mit dem jedoch keine Qualitätsvereinbarung existiert. Mithilfe dieses Labors wurde in einem konkreten Beispiel die Beschwerde eines Kunden überprüft und die entsprechenden OOS-Ergebnisse in der Folge für ungültig erklärt. Nachdem der Kunde die Chargen dann retourniert habe, sollen diese wiederaufbereitet worden und mit neuen Chargennummern versehen worden sein – diese wurden an andere Kunden verkauft.

Wie unter Punkt zwei zu lesen ist, wurden zwischen Dezember 2016 und August 2017 17-OOS-Untersuchungen initiiert – für eine im Dokument geschwärzte Verunreinigung in einer geschwärzten Substanz. 13 OOS-Ergebnisse davon wurden Laborfehlern zugeschrieben, fünf OOS-Ergebnisse Produktionsfehlern und zwei einer Kombination aus beiden. Alle betroffenen 17 Chargen wurden wiederaufbereitet.

Zwei weitere Beobachtungen lassen mehr als ungenaues Arbeiten vermuten: Die Stichprobennahme für ein bestimmtes API-Rohmaterial soll dem FDA-Dokument zufolge Anweisungen enthalten, die dazu dienen, nicht-homogene Rohstoffchargen zu verschleiern. Dazu wird ein Beispiel angeführt, dass aber zu sehr geschwärzt ist, als dass man es sinnvoll wiedergeben kann. Eine weitere Passage lässt vermuten, dass Tests auf (genotoxische) Verunreinigungen nur im reduzierten Umfang durchgeführt wurden, ohne dies begründen zu können.

Keine lebensmitteltauglichen Schmierstoffe und Öle

Obwohl, wie unter Punkt acht aufgeführt, nicht immer lebensmitteltaugliche Schmierstoffe und Öle zum Einsatz kommen, werde in diesem Zusammenhang  nicht vor der API-Freigabe auf Verunreinigungen getestet. Stattdessen würden die fertigen APIs periodisch auf entsprechende Verunreinigungen überwacht.

Kein Zusammenhang mit der Valsartan-Herstellung?

Schon im August waren Dokumente zweier FDA-Inspektionen aus den Jahren 2016 und 2017 im Internet veröffentlicht worden. Schon damals waren die Inspektoren auf unbekannte Verunreinigungen in der Qualitätskontrolle von Zhejiang Huahai gestoßen, deren Entstehung der chinesische Wirkstoffhersteller nicht erklären konnte. Er bezeichnete sie lediglich als „ghost peaks“ und hielt es offenbar nicht für notwendig, diesen näher nachzugehen. Um die Qualitätskontrolle welchen Wirkstoffs es dabei ging, das wollte die FDA auch damals auf Anfrage nicht mitteilen. Jedoch erinnerte auch in diesen Dokumenten vieles an den Fall Valsartan.

Die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, die Zhejiang Huahai in China in der Vergangenheit regelmäßig inspizierte, kann allerdings keine Verbindung zwischen dem Valsartan-Fall und dem oben genannten FDA-Dokument aus 2017 erkennen:


Ein Zusammenhang zwischen Valsartan und den „unbekannten Peaks“, die während einer US-FDA Inspektion einer nicht spezifizierten Wirkstoffherstellung in Chuannan gefunden worden waren, lässt sich auf Grundlage des amerikanischen Inspektionsberichts (Link im DAZ-Artikel vom 07.09.2018) nicht ableiten.

Sprecher der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz


Lässt sich auch beim jetzt neu erschienen 483-Formular der FDA ein solcher Zusammenhang nicht herstellen? Sowohl das Datum als auch die dokumentierten Mängel (genotoxische Verunreinigungen und Umstellung im Herstellungsprozess) sorgen zumindest nicht dafür, den Verdacht gänzlich auszuräumen. Und sollte kein Zusammenhang mit Valsartan bestehen, wäre das nicht beruhigend. Würde es doch bedeuten, dass weitere Wirkstoffe mit ähnlichen Qualitätsmängeln produziert und unter Umständen auch weiterverarbeitet wurden. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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