EMA gibt Teilentwarnung

Brexit: „Nur noch“39 Arzneimittel könnten fehlen

Remagen - 27.09.2018, 10:15 Uhr

Brexit: Die Lücke in der Arzneimittelversorgung scheint kleiner zu werden als zunächst gedacht. (Foto: Andrei Korzhyts/ stock.adobe.com)

Brexit: Die Lücke in der Arzneimittelversorgung scheint kleiner zu werden als zunächst gedacht. (Foto: Andrei Korzhyts/ stock.adobe.com)


Im Juli hatte die Europäische Arzneimittelagentur mit alarmierenden Zahlen auf die möglichen Folgen des Brexits für die Arzneimittelversorgung in der EU aufmerksam gemacht. 108 zentral zugelassene Präparate könnten danach fehlen, vermutete der EMA nach einer Erhebung. Nun wird die Prognose zurückgeschraubt. Es sollen „nur noch“ 39 Arzneimittel sein. 

Infolge des Brexits müssen zahlreiche Inhaber europäischer Zulassungen die notwendigen regulatorischen Schritte unternehmen, um die Verkehrsfähigkeit ihrer Produkte in der EU weiter abzusichern, sei es durch die Übertragung der Zulassung in einen der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten, die Verlagerung bestimmter Produktionsstätten, eine Änderung der sachkundigen Person für Pharmakovigilanz (QPPV), die Verlagerung ihres Pharmakovigilanz-System-Masterfiles (PSMF) oder durch die Anpassung der Logistik und der Supply chain. Eine Umfrage der EMA im Januar dieses Jahres hatte ergeben, dass die Firmen für knapp 60 Prozent der fast 700 zentralen Zulassungen (CAPs) diesbezüglich bereits in der Spur sind. Für 108 (88 Human-und 20 Tierarzneimittel) hatte die Agentur jedoch ernsthafte Bedenken, dass das noch rechtzeitig vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 klappen könnte. Lieferengpässe wären die unweigerliche Folge.

Bei den restlichen 39 will die EMA dranbleiben

Nun hat sie die Anzahl der CAPs, deren Verfügbarkeit in Europa durch den Brexit bedroht könnte, in einer Mitteilung von 108 auf 39 gesenkt. Die neue Zahl beruht auf Follow-up-Aktivitäten der Zulassungsinhaber. Infolge der Erhebung hatte die ranghöchste europäische Arzneimittelagentur zwischen Juli und September Druck auf die Inverkehrbringer der betroffenen Medikamente ausgeübt, mit Erfolg. „In den vergangenen Monaten hat die EMA konzertierte Anstrengungen unternommen, um die Zulassungsinhaber dieser 108 zentral zugelassenen Arzneimittel zu erreichen und die Gefahr von Versorgungsproblemen für die Patienten zu mindern“, berichtet der stellvertretende Exekutivdirektor der Agentur Noël Wathion. „Dies ist eine positive Entwicklung für die Gesundheit von Mensch und Tier.“ Im Hinblick auf die verbleibenden 39 Medikamente wolle man ebenfalls weiter dranbleiben, sagt Wathion zu. Es heißt also erst einmal aufatmen.

Kleine Anfrage: deutsche Bundestagsabgeordnete sorgen sich

Auch deutsche Parlamentarier machen sich Sorgen um die Folgen des Brexits für die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten. Davon zeugt eine kleine Anfrage einer Gruppe von Abgeordneten und der Fraktion der FDP. Nach wie vor gebe es keine Sicherheit über das zu erwartende Austrittszenario, wird darin beklagt. Ob „cliff-edge Brexit“, „hard Brexit“, ein Freihandelsabkommen nach dem Muster des CETA oder gar ein Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt und der Zollunion, jedes dieser Szenarien habe völlig andere Konsequenzen für die Betroffenen. Knapp sechs Monate vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und knapp zweieinhalb Jahre vor dem zu erwartenden Ende der Übergangsphase gebe es mehr Fragen als Antworten. Zugleich stockten die Verhandlungen und die Wahrscheinlichkeit für ein No-Deal- Szenario, das unweigerlich zu großen Verwerfungen würde, steige unaufhörlich.

Endlich eine öffentliche Debatte

Konkret wollen die Parlamentarier mehr über den aktuellen Stand der Vorbereitungen der Bundesregierung erfahren und endlich eine öffentliche Debatte über die Folgen des Austrittes für Deutschland zu ermöglichen. Konkret fragen sie die Bundesregierung unter anderem, ob die in der EU erteilten zentralen Zulassungen für Arzneimittel auch nach dem Brexit in UK dauerhaft weiter gelten und wie es mit den dezentralen Zulassungen stehe, die Großbritannien bislang federführend (als RMS) betreut hat. Außerdem wollen sie wissen, ob die Bundesregierung die Gefahr sehe, dass es durch den Brexit in den Bereichen der Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln zu gravierenden Beeinträchtigungen bestehender Lieferketten und zu Versorgungsengpässen kommen könnte und was man dagegen zu tun gedenke. Schließlich sind sie auch interessiert zu erfahren, ob Versandapotheken mit Sitz in Großbritannien ihr Geschäftsmodell auch nach dem Brexit weiter ausüben könnten.

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Nicht der erste Vorstoß

Die Fragesteller erinnern daran, dass sie bereits am 27. April 2018 eine umfassende Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet hätten, um Antworten auf diese Fragen zu bekommen. Eine Reaktion darauf stehe weiterhin aus und sei mit der Frist 31. Mai 2019 versehen worden, zwei Monate nach einem erfolgten Brexit. Auch habe sich der Deutsche Bundestag als zentraler Ort der politischen Debatte in Deutschland noch nicht in ausreichendem Maße mit den Folgen des Brexits beschäftigt, so die weitere Kritik.

Um wie viele Arzneimittel geht es?

Nach Angaben des europäischen Dachverbandes der forschenden Pharmaunternehmen EFPIA von November 2017 verlassen jeden Monat 45 Millionen Packungen, die in UK hergestellt werden, das Land in Richtung EU. Weitere 37 Millionen werden aus der EU dorthin geliefert. 1.300 Präparate werden in Großbritannien getestet und für das Inverkehrbringen in der EU freigegeben, und es laufen 1.500 klinische Studien mit einem Sponsor in UK. Dort werden außerdem 70 Prozent der klinischen Prüfpräparate freigegeben.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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