Nutzenbewertung von Ocrevus

Wie findet der G-BA Ocrelizumab?

Berlin - 21.09.2018, 11:15 Uhr

Nach der G-BA-Nutzenbewertung startet Roche die Preisverhandlungen mit dem GKV-SV zu Ocrelizumab. ( r / Foto: picture alliance)

Nach der G-BA-Nutzenbewertung startet Roche die Preisverhandlungen mit dem GKV-SV zu Ocrelizumab. ( r / Foto: picture alliance)


Mit Ocrelizumab, Ocrevus®, will Roche die Therapie der multiplen Sklerose revolutionieren. Es ist das erste Arzneimittel, das sowohl für die schubförmige multiple Sklerose (RMS), als auch für die seltenere Form der primär progredienten MS (PPMS) im Januar 2018 die EU-Zulassung erhielt. Doch wie bewertet der G-BA den Nutzen von Ocrevus®? Nicht für alle Patienten ist laut G-BA ein Zusatznutzen vorhanden.

Nachdem Neurologen schon im Laufe des Jahres 2017 Ocrelizumab in den Vereinigten Staaten, der Schweiz und Australien zur MS-Behandlung einsetzen konnten, sprach im Januar 2018 auch die Europäische Kommission die EU-Zulassung für Ocrevus® aus.

Das Besondere an dem CD20-Antikörper? Ocrelizumab ist das erste Arzneimittel, das auch in der Therapie der primär progredienten multiplen Sklerose (PPMS) eingesetzt werden darf. Bis zur Ocrelizumab-Zulassung stand Patienten mit PPMS keine zugelassene Therapie-Option zur Verfügung. Allerdings fand ein weiterer CD20-Antikörper bislang Off-label-Einsatz: Rituximab.

Ocrelizumab erstes Arzneimittel bei PPMS

Als erstem Pharmakonzern überhaupt ist es Roche, dem forschenden Pharmaunternehmen hinter Ocrelizumab, gelungen, ein Arzneimittel gegen beide MS-Unterformen, der schubförmig verlaufenden (RMS) und der primär progredienten, auf den Markt zu bringen. Auch der G-BA hat sich Ocrelizumab mittlerweile angeschaut. Im August dieses Jahres konnte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Nutzenbewertung des jüngsten Arzneimittels zur Therapie der multiplen Sklerose abschließen. Was kam dabei heraus? Nicht alle Patienten profitieren laut G-BA wohl im gleichen Maß von Ocrevus® und auch nicht für jeden MS-Patienten erachtet der G-BA unter Prof. Josef Hecken den Zusatznutzen als gegeben.

Anhaltspunkt für geringen Zusatznutzen bei PPMS

Bewertet hat der G-BA den Zusatznutzen einer Ocrelizumab-Behandlung bei drei Patientenkollektiven:

1. Unbehandelte oder nicht hochaktive RMS trotz Vorbehandlung,
2. hochaktive RMS trotz Vorbehandlung und
3. frühe PPMS.

Der G-BA kam jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen. Er sieht für Patienten mit unbehandelter oder nicht hochaktiver RMS einen Beleg für einen geringen Zusatznutzen von Ocrelizumab im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie Interferon-β 1a (IFN-β 1a). „Der G-BA bestätigt damit die Überlegenheit von Ocrelizumab für Patienten mit unbehandelter und nicht hochaktiver RMS gegenüber der Standardtherapie“, erklärt Roche hierzu. Der Zusatznutzen basiere auf den signifikant positiven Effekten einer Reduktion der Schubrate und der Behinderungsprogression sowie auf Vorteilen bei Nebenwirkungen.

Die beiden Formen von RMS

Bei der schubförmigen MS, relapsing MS, unterscheidet man zwei Formen: die RRMS – multiple Sklerose mit remittierend schubförmigen Verlauf und die sekundär progrediente MS mit aufgesetzten Schüben (rSPMS). Etwa 85 Prozent aller MS-Erkrankungen beginnen mit einem remittierend schubförmigen Verlauf. Gekennzeichnet ist die RRMS durch voneinander abgrenzbare Schübe und schubfreie Intervalle. Werden diese RRMS-Patienten nicht behandelt, geht diese Form der multiplen Sklerose bei 50 Prozent der Patienten nach zehn bis 20 Jahren in eine sekundär progrediente Form über.

Kein Zusatznutzen bei hochaktiver RMS

Allerdings sieht die G-BA-Einschätzung bei Patienten mit hochaktiver RMS trotz Vorbehandlung anders aus: kein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Als Vergleichstherapie wurde „Alemtuzumab oder Fingolimod oder Natalizumab oder, sofern angezeigt, Wechsel innerhalb der Basistherapeutika (IFN beta-1a oder IFN beta-1b oder Glatirameracetat)“ herangezogen. Allerdings hat es hier wohl an den eingereichten Daten gehapert. Roche erklärt zum abgelehnten Zusatznutzen von Ocrelizumab bei hochaktiver RMS: „Für diese Bewertung konnten die eingereichten Daten (Vergleich mit IFN-β 1a) nicht berücksichtigt werden“. Die jährlichen Therapiekosten umreißt der G-BA bei Ocrelizumab (Infusion alle sechs Monate) mit etwa 31.000 Euro, IFN beta-1a liegt bei knapp 20.000 Euro.

Nicht jedes Arzneimittel in der Therapie der MS hat eine G-BA-Nutzenbewertung durchlaufen – so nicht die β -Interferone (1a oder 1b) und auch Glatirameracetat nicht. Auch für Fingolimod erkannte der G-BA bei hochaktiver RMS keinen Zusatznutzen an.

PPMS: Anhaltspunkt für geringen Zusatznutzen

Einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen attestiert der Gemeinsame Bundesausschuss Patienten mit früher PPMS, basierend auf der Verzögerung der Behinderungsprogression. Da außer Ocrelizumab kein krankheitsmodifizierendes Arzneimittel in dieser Indikation zugelassen ist, wurde bei PPMS als zweckmäßige Vergleichstherapie „Best Supportive Care“ herangezogen. Was genau ist damit gemeint? Nach Definition des G-BA ist „Best-Supportive Care“ die Therapie, „die eine bestmögliche, patientenindividuell optimierte, unterstützende Behandlung zur Linderung von Symptomen und Verbesserung der Lebensqualität gewährleistet“. Das können Analgetika sein, Spasmolytika oder auch Physiotherapie und bestimmte Hilfsmittel.

Welche Auswirkungen hat die Nutzenbewertung auf Ocrelizumab?

Darf Ocrelizumab bei Patienten mit hochaktivem Verlauf eigentlich weiterhin verordnet werden? Ja, denn die Nutzenbewertung ändert nichts an der Zulassung. Somit bleibt Ocrelizumab in allen zugelassenen Anwendungsgebieten verordnungs- und erstattungsfähig, das heißt, Ocrelizumab darf bei Patienten mit hochaktivem MS-Verlauf auch weiterhin Einsatz finden, denn alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die der Krankheitsbehandlung dienen, sind ab Zulassung (beziehungsweise Markteintritt in Deutschland) im Rahmen der Zulassung (in-label) gemäß Sozialgesetzbuch 5 (SGB V) verordnungs- und erstattungsfähig. Die G-BA-Bewertung bildet lediglich die Basis für Preisverhandlungen. Die Preisverhandlungen für den Erstattungsbetrag starten wenige Wochen nach Beschluss des G-BA und dauern üblicherweise sechs Monate. Ziel der Erstattungsverhandlungen zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-SV ist ein „angemessener Erstattungsbetrag“, so Roche. Dieser Erstattungspreis gilt sodann für alle Indikationen, sprich bei Ocrelizumab für RMS und PPMS.

Ist Roche enttäuscht von der Nutzenbewertung?

„Zusammengefasst hat der G-BA Ocrelizumab einen Zusatznutzen für einen Großteil des Anwendungsgebietes aktive RMS und für alle Patienten mit früher PPMS bestätigt“, erklärt Roche auf Nachfrage von DAZ.online. Man nehme diesen G-BA-Bescheid zur Kenntnis und konzentriere sich nun auf die anstehenden Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Nach einem Jahr kann eine erneute Nutzenbewertung beantragt werden. Plant der Konzern, neue Daten einzureichen? Das ist laut Roche nicht der Fall.

Wie wirkt Ocrelizumab?

In der Tat verfolgt Ocrelizumab in der Therapie der MS einen neuen Ansatz – und zwar richtet sich der Antikörper gegen B-Zellen. Deren Einfluss auf das Krankheitsgeschehen war lange unterschätzt. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft spielen jedoch B-Zellen eine bedeutende Rolle im Rahmen der entzündlichen Prozesse bei MS. Ocrelizumab richtet sich gegen CD20, ein transmembranäres Protein auf B-Zellen. Jedoch exprimiert nicht jede B-Zelle CD20, so fehlt CD20 sowohl auf naiven Stammzellen, als auch auf reifen Antikörper-sezernierende Plasmazellen. Als Angriffsort elegant: Weder die Stammzellen noch die Immunkompetenz des Patienten durch reife B-Zellen werden dauerhaft negativ beeinflusst. Somit leidet auch die Langzeitimmunität nicht.

Ocrelizumab besteht als humanisierter Antikörper aus deutlich weniger murinen Anteilen als der chimäre Antikörper Rituximab. Es zeigt im Vergleich zu Rituximab eine fünfmal größere Antikörper-vermittelte Zelltoxizität. Liegt die Antidrug-Antibody-Bildung laut Roche beim chimären Rituximab noch bei 7 bis 37 Prozent, reduziert sich diese beim humanisierten Ocrelizumab drastisch auf 0,2 bis 1 Prozent. Eine hohe Antidrug-Antibody-Bildung bedingt eine schlechtere Verträglichkeit und erhöht das Risiko des Wirkverlusts der Therapie.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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