Biopharmazeutika

Ist der Produktionsstandort Deutschland für die Biosimilars-Welle gerüstet?

Berlin - 13.09.2018, 13:15 Uhr

Der Biosimilar-Markt wächst, größere Produktionskapazitäten sind erforderlich. Wie ist es um den Produktionsstandort Deutschland bestellt? (Foto: Imago)

Der Biosimilar-Markt wächst, größere Produktionskapazitäten sind erforderlich. Wie ist es um den Produktionsstandort Deutschland bestellt? (Foto: Imago)


Spätestens durch die Valsartan-Krise ist auch der breiten Öffentlichkeit bewusst geworden, dass Generika zu großen Anteilen außerhalb Europas produziert werden. Doch wie sieht es bei der Nachbildung von Biopharmazeutika aus, den sogenannten Biosimilars? Dr. Herrmann Allgaier, Geschäftsführer der Teva Biotech erläuterte auf dem Symposium der Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars des Herstellerverbandes Pro Generika, welche Besonderheiten bestehen. Pro Generika kritisiert die geltende Rechtslage, welche die Nachbildung von Originalpräparaten innerhalb der EU vor Patentablauf untersagt.

Die Entwicklung der Biosimilars lässt sich in drei Wellen einteilen. Die erste Welle  umfasst die Nachbildung von Hormonen und Zytokinen, deren Patentschutz zwischen 2005 und 2015 abgelaufen ist. Als Beispiele sind hier Erythropoetin oder Filgrastim zu nennen.

Europa: Vorreiter bei den ersten Biosimilars

Da die Patentlaufzeiten der entsprechenden Originalpräparate in den USA länger waren als in Europa, war die EMA Vorreiter bei den Biosimilars-Zulassungen. Traditionelle Generika-Hersteller wie etwa Hexal, Stada, Sandoz und Ratiopaharm/Teva erweiterten ihre Aktivitäten in das Arbeitsfeld der Biologika, so Allgaier. Da es sich bei den nachzubildenden Hormonen und Zytokinen um Substanzen handelt, die im Mikrogrammbereich wirken, weshalb ein jährlicher Bedarf von einigen hundert Gramm ausreicht, sind die Produktionskapazitäten und das Investitionsvolumen im zweistelligen Millionenbereich überschaubar, so Allgaier.

„Massenantikörper-Welle“ in den USA

Seit 2015 spricht man von der zweiten Welle. Biosimilars sind bekannter geworden, der Markt wächst. Aus dem Patent fallen unter anderem Antikörper wie Rituximab oder Trastuzumab, die im Milligrammbereich wirken und größere Produktionskapazitäten benötigen, um einen Jahresbedarf von mehreren hundert Kilogramm decken können. In die Welle der „Massenantikörper“ fällt auch Abbvies Blockbuster Adalimumab, dessen Patent am 17. Oktober ausläuft und zu dem bereits sechs Biosimilar-Hersteller in den Startlöchern stehen. In dieser zweiten Welle wurde der Produktionsstandort Deutschland von den USA und Südkorea wegen größerer Produktionskapazitäten überholt.

Die dritte Welle startet voraussichtlich in etwa sieben Jahren. Dazu werden selektive Antikörper gehören, wie etwa Nivolumab und Denosumab, mit hohen Prozessausbeuten und mittelgroßen Produktionsvolumina, die zwischen denen der ersten und der zweiten Welle liegen. Und wo diese vorwiegend produziert werden, hängt aus betriebswirtschaftlicher Sicht von den Erst- und Folgeinvestitionen ab.

„Deutschland kann mehr als Automotive“

Deutschland als Standort verfügt über ein großes Know-How bei Biopharmazeutika und eine geeignete Infrastruktur, was sich günstig auf Erstinvestitionen auswirkt, erläuterte der Teva-Biotech-Chef. Bei den Folgekosten spielen steuerliche Vergünstigungen und Subventionen eine Rolle. Und hier schneidet Deutschland als Standort schlecht ab. „Ich wünsche hier mehr Förderung seitens der Politik", betonte Allgaier in Berlin. In Deutschland bestehe nicht nur Expertise in der Automobilindustrie und im Maschinenbau, sondern auch Exzellenz in der Biotech-Branche, die die Politik angemessen würdigen sollte.

Regionale Biosimilar-Produktion in Indien und China

Spielt neben wirtschaftlichen Aspekten – in Anbetracht der vor kurzem bekannt gewordenen Medikamentenskandale – auch der Faktor Qualität eine Rolle? So stellt die europäische Arzneimittelbehörde EMA hohe Anforderungen, was eine zuverlässige Produktqualität erhoffen lässt.

Auf Nachfrage von DAZ.online erklärte Allgaier im Nachgang der Veranstaltung, dass sich die Märkte von Biosimilars und von „normalen“ Generika unterscheiden. Bei Letzteren handele es sich um einen global konzentrierten Massenmarkt, bei dem die chemisch definierten Wirkstoffe relativ einfach herzustellen seien. Bei den Biosimilars dagegen seien die Zulassungshürden der EMA für Firmen aus Indien oder China häufig zu hoch, weshalb diese Länder vorwiegend für den Eigenbedarf produzieren. Anders verhält es sich bei Produktionsstandorten USA, Singapur und Südkorea – hier ist die Qualität der dort hergestellten Arzneimitteln mit der aus europäischen Ländern zu vergleichen, so Allgaier.

Pro Generika bemängelt Vorschlag der EU-Kommission

Für den Verband Pro Generika ist die geltende Rechtslage verantwortlich, die die Nachbildung von Originalpräparaten innerhalb der EU vor Patentablauf untersagt. Um Generika oder Biosimilars für den Tag eins nach Patentablauf des Originators zu produzieren, seien deutsche beziehungsweise europäische Unternehmen gezwungen, wegen dieser Schutzvorschriften ihre Produktionskapazitäten ins Ausland zu verlegen, erklärte Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, zuvor gegenüber dem „Observer“.

Im Frühjahr hat die EU-Kommission einen Reformvorschlag zu diesem Thema vorgelegt. Um den Standort Deutschland zu stärken, reiche dieser Vorschlag jedoch nicht aus, erklärte Bretthauer im Nachgang der Veranstaltung gegenüber DAZ.online. Denn dem Entwurf der Kommission zufolge könnten in Deutschland vor Patentablauf lediglich Biosimilars und Generika für den Export, nicht jedoch für den deutschen Markt produziert werden. Für den Bedarf deutscher Patienten müsse weiterhin im Ausland produziert werden.

Damit deutsche Apotheken am Tag eins nach Patentablauf Ware verkaufen könnne, die in Deutschland hergestellt wurden, bedarf es eines sogenannten „SPC Manufacturing Waivers." Dafür solle sich der Ministerrat auf Bundeseben in Brüssel einsetzen.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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