„Blutschwämme“

Hämangiome: Ein Betablocker fürs Baby?

Stuttgart - 14.09.2018, 11:15 Uhr

Muss der Blutschwamm am Kopf eines Babys behandelt werden? ( r / Foto: Franziska Krause / stock.adobe.com)

Muss der Blutschwamm am Kopf eines Babys behandelt werden? ( r / Foto: Franziska Krause / stock.adobe.com)


Wenn es um ihre Kleinkinder oder Säuglinge geht, sind Eltern besonders vorsichtig: Dass ein Baby einen Betablocker einnehmen soll, das erscheint manchen Eltern im Zusammenhang mit der Behandlung von Blutschwämmchen nicht plausibel. Denn augenscheinlich sind solche Hämangiome zunächst nur ein kosmetisches Problem, das sich auch von selbst wieder zurückbilden kann. Ist die Behandlung mit Propanolol also notwendig? 

Weil die Bezeichnung Hämangiom („Blutschwamm“) sowohl in der Bevölkerung als auch von vielen Ärzten undifferenziert für verschiedene Gefäßanomalien verwendet wird, definiert die AWMF-Leitlinie „Infantile Hämangiome im Säuglings- und Kleindkindesalter“ (gültig bis 27.02.2020) infantile Hämangiome wie folgt:

„Infantile Hämangiome sind proliferierende, dem Plazentargewebe in ihrer Antigenstruktur ähnliche, vaskuläre Tumore, für deren Entstehung eine lokale oder regionale Gewebehypoxie als möglicher pathogenetischer Faktor diskutiert wird.“

Solche infantilen Hämangiome müssen laut AWMF-Leitlinie von anderen Gefäßtumoren und arteriellen, venösen, lymphatischen oder kombinierten Malformationen des Gefäßsystems abgegrenzt werden. Das ist frühzeitig notwendig, um entscheiden zu können, ob mit der Behandlung eines „Blutschwamms“ abgewartet werden kann oder man aktiv werden sollte.

4 bis 5 Prozent aller Säuglinge von Hämangiomen betroffen

Infantile Hämangiome treten bei bis zu 22 Prozent der Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1 kg auf. Bezogen auf alle Säuglinge, sind 4 bis 5 Prozent von infantilen Hämangiomen betroffen – das weibliche Geschlecht häufiger (etwa 3:1). Ein klassisches infantiles Hämangiom erscheint bei Geburt noch nicht als Tumor, sondern typischerweise erst in den ersten Tagen oder Wochen nach der Geburt. Anämische, rötliche oder bläuliche fleckenförmige Veränderungen können als Vorläufer auftreten.

Grundsätzlich durchläuft das infantile Hämangiom eine Wachstums-, eine Stillstands- und eine Rückbildungsphase. Während der Wachstumsphase (6 bis 9 Monate, selten länger) kann das Hämangiom unterschiedlich schnell nach außen (erhaben) oder nach innen (subkutan) wachsen und sich in der Fläche ausbreiten. Kutane Hämangiome sind flach (im Hautniveau) oder erhaben. Subkutane Hämangiome bleiben häufig länger in der Wachstumsphase als rein kutane. Im Anschluss an die Wachstumsphase folgt eine unterschiedlich lange Phase des Wachstumsstillstands. Üblicherweise schließt sich daran die Rückbildungsphase an. Auch sie verläuft unterschiedlich schnell – je nach Größe und Lokaliation des Hämangioms – und ist meistens um das 9. Lebensjahr abgeschlossen.

Sollte man Hämangiome behandeln? Ort und Größe entscheiden

Bei der Frage, ob ein Hämangiom behandelt werden muss, ist auch der Ort, an dem der Blutschwamm auftritt, entscheidend: Wächst das Hämangiom nicht schnell, ist es wenig ausgedehnt und am Stamm oder an den Extremitäten angesiedelt, wird nicht mit Komplikationen gerechnet.

Kleine Hämangiome verschwinden mit zunehmendem Alter also meist ohne Spuren. Größere Hämangiome können jedoch Teleangiektasien (sichtbare Erweiterung kleinster Blutgefäße), Gebiete atrophischer Haut, Narben, Cutis laxa (abnorme Faltenbildung) Hyper- oder Hypopigmentierungen oder eine bauchige, fibrös-lipomatöse Gewebsvermehrung zurücklassen. Je größer das Hämangiom vor dem Eintritt in die Stillstands- und Regressionsphase war, desto ausgeprägter sind auch diese bleibenden Spuren. 60 Prozent der Hämangiome befinden sich im Bereich von Kopf und Hals.

Meist sind Hämangiome „lokalisiert“ (circa 90 Prozent), also scharf abgegrenzt. Seltener (Inzidenz etwa 1:1000) treten „segmentale“ Hämangiome auf, die sich im Bereich von Kopf/oberer Extremität oder im Lumbosakralbereich (in der Lendenwirbel- und Kreuzbeinregion) befinden. Sie sind nicht scharf abgegrenzt.

Es gibt weitere Sonderformen, wie die multifokalen infantilen Hämangiome mit und ohne extrakutane Beteiligung (mehr als zehn kutane Hämangiome mit oder ohne Organbeteiligung) oder die seltenen kongenitalen Hämangiome. Ob ein Blutschwämmchen behandelt werden muss, müssen Eltern also gemeinsam mit dem Arzt evaluieren. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Alternative zu systemischer Propranolol-Therapie im Test

Topisches Timolol gegen Hämangiome?

Kinderarzneimittel gegen Blutschwämme

Frühzeitiger Erstattungsbetrag für Hemangiol

Frühe Preis-Einigung bei Kinderarzneimittel

Bei Hemangiol geht’s schnell

Ein neues Anwendungsgebiet für einen „alten“ Betablocker?

Weniger Melanom-­Rezidive unter Propranolol

Zweite PUMA-Empfehlung

Hemangiol gegen Blutschwämmchen

BPI: Situation für Kinderarzneimittel muss verbessert werden

Erleichterungen für PUMAs

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.