Interview Rechtsanwalt Melcher

Verunreinigtes Valsartan: Diese Rechte und Möglichkeiten haben Patienten

Berlin - 07.09.2018, 17:45 Uhr

Patienten und Angehörige sind nach der Valsartan-Krise verunsichert.  Bei einer Informationsveranstaltung konnten sie Rechtsanwälten ihre Fragen stellen. ( r / Foto: Kadmy / Stock.adobe.com)

Patienten und Angehörige sind nach der Valsartan-Krise verunsichert.  Bei einer Informationsveranstaltung konnten sie Rechtsanwälten ihre Fragen stellen. ( r / Foto: Kadmy / Stock.adobe.com)


Der Anfang Juli gestartete Rückruf valsartanhaltiger Arzneimittel hat betroffene Patienten massiv verunsichert. Sie sorgen sich um ihre Gesundheit und wollen wissen, welche Rechte sie nun haben. Genau zu diesem Thema gab es am gestrigen Donnerstagabend eine Informationsveranstaltung einer Freiburger Anwaltskanzlei. Das Interesse war groß. Die auf Medizinrecht spezialisierten Fachanwälte machten aber auch deutlich, dass Schadensersatzansprüche nicht leicht durchzusetzen sind. DAZ.online hat mit Rechtsanwalt Heiko Melcher gesprochen

EU-weit und darüber hinaus wurden seit Anfang Juli dieses Jahres valsartanhaltige Arzneimittel zurückgerufen. Der Grund: Bei zunächst nur einem chinesischen Wirkstoffhersteller, später aber auch bei weiteren Valsartan-Produzenten, wurden produktionsbedingte Verunreinigungen mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) festgestellt – einem Stoff, der von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft ist. Der Rückruf erfolgte über Großhandel und Apotheken – aber nicht auf Patientenebene. Man wollte vermeiden, dass Patienten ihr Medikament sofort absetzen – denn das könnte riskanter sein als eine Packung eines verunreinigten Arzneimittels aufzubrauchen.

Auch wenn nach wie vor nicht klar ist, in welchem Maße die einzelnen Präparate mit NDMA kontaminiert sind und wie groß die Gefahr für die betroffenen Patienten tatsächlich ist: Schon das Wort „krebserregend“, mag es auch relativierend verwendet werden, beunruhigt die Menschen. Was bedeutet die Verunreinigung nun konkret für die Anwender der Arzneimittel und ihre Angehörigen – auch vor dem Hintergrund, dass sie offenbar bereits seit 2012 infolge einer Syntheseänderung besteht? Welche Rechte haben sie? Gibt es möglicherweise Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche?

Dieser Fragen haben sich am gestrigen Donnerstagabend die Freiburger Rechtsanwälte und Fachanwälte für Medizinrecht Ricarda Thewes und Heiko Melcher angenommen. Sie hatten Betroffene und Interessierte in ihre Kanzleiräume geladen. DAZ.online hat Rechtsanwalt Melcher gefragt, was die Teilnehmer bewegte – und welchen juristischen Rat es für sie gibt.

Schnepper und Melcher Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Heiko Melcher 

DAZ.online: Herr Melcher, wie groß war das Interesse an Ihrer Patienten-Informationsveranstaltung?

Melcher: Es war groß! Wir mussten aufgrund der Größe unseres Kanzlei-Konferenzraumes die Teilnehmerzahl auf 30 beschränken – Anmeldungen hatten wir deutlich mehr.

DAZ.online: Was bewegte die Teilnehmer? Welche Fragen trieben sie um?

Melcher: Patienten und Angehörige wollten vor allem wissen, wie sicher nun ihre neuen Produkte sind, die nicht vom Rückruf betroffen sind. Das waren pharmakologische Fragen, die wir als Juristen natürlich nicht beantworten konnten. Problematisch ist für Valsartan-Patienten mittlerweile offenbar auch, dass nicht zurückgerufene Arzneimittel teilweise nicht mehr zu bekommen sind. Viele zeigten sich auch irritiert, dass ihre Ärzte sie nicht über die Verunreinigung informiert haben.

Die Gefährdungshaftung nach dem Arzneimittelgesetz

DAZ.online: Welche Hilfe können Sie als Rechtsanwälte geben? Welche Ansprüche könnten Betroffene geltend machen – und wem gegenüber?

Melcher: Da kommen zunächst Haftungs- und Auskunftsansprüche nach dem Arzneimittelgesetz in Betracht. Die wichtigste Regelung ist hier die Gefährdungshaftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG.

§ 84 AMG – Gefährdungshaftung (Auszug)

(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn 

1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (...). 

Anspruchsgegner ist hier der pharmazeutische Hersteller: Hat er ein Arzneimittel in den Verkehr gebracht, wodurch ein Mensch getötet oder nicht unerheblich in seiner Gesundheit verletzt wurde – bei bestimmungsgemäßen Gebrauch –, ist er zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet.

DAZ.online: Wie berechnet sich dieser Schaden?

Melcher: Es kommen Schmerzensgeld- und Sachschadensansprüche in Betracht. Das Schmerzensgeld bemisst sich nach dem Grad der Beeinträchtigung der Patienten bei einer Erkrankung. Aber auch wenn Patienten (noch) nicht aufgrund der Valsatan-Einnahme erkrankt sind, kann ein Anspruch aufgrund psychischer oder sonstiger Belastungen gegeben sein.

DAZ.online: Ist es für den Anspruch nötig, dass der pharmazeutische Unternehmer von der Verunreinigung wusste? Offenbar war diese ja unerwartet – und die Unternehmen sagen nun, sie hätten auch gar keine Chance gehabt, in die genauen Synthese-Prozesse ihrer Wirkstofflieferanten zu blicken.

Melcher: Nein, der Unternehmer musste von der Verunreinigung nichts wissen. Der Anspruch besteht davon unabhängig. Es müssen nur die Voraussetzungen des § 84 AMG, wie dargelegt, vorliegen. Allerdings prüfen wir gerade, ob nicht auch ein Vorwurf insoweit an die pharmazeutischen Unternehmer zu erheben ist, dass sie die Hersteller in den Drittländern nicht ausreichend überwacht haben. Entsprechende Hinweise kommen vom EDQM, dem europäischen Direktorat für Arzneimittelqualität.

„Ping-Pong-Spiel“ der Beweislast

DAZ.online: Wie sieht es hier mit der Beweispflicht aus?

Melcher: Wir haben hier eigentlich eine Beweiserleichterung zugunsten des Patienten: Ist das Arzneimittel im Einzelfall geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden auch hierdurch verursacht wurde (§ 84 Abs. 2 AMG). Weiß man also, dass NDMA in bestimmten valsartanhaltigen Arzneimitteln beispielsweise zu Nierenkrebs führen kann und liegt ein solcher Tumor auch vor, wird zunächst vermutet, dass NDMA ursächlich hierfür war. Allerdings: Die Vermutung gilt nicht, wenn ein anderer Umstand ebenfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Haben wir es zum Beispiel mit einem starken Raucher zu tun, wird es schwierig. Dann müsste der Patient wiederum darlegen, warum das nicht die Ursache der Erkrankung sein kann. Es kommt damit zu einem Ping-Pong-Spiel der Beweislast. Das macht die Angelegenheit schwierig. Hinzu kommt, dass solche Verfahren sich über Jahre hinziehen können. Fünf bis zehn Jahre kann es schon bis zu einer rechtskräftigen, also endgültigen gerichtlichen Entscheidung dauern.

DAZ.online: Können Sie besorgten Betroffenen dann überhaupt raten, sich auf einen solchen Prozess einzulassen?

Melcher: Eindeutig ja. Aber es sind noch viele Umstände unklar und es gibt natürlich Risiken. Patienten mit einer Rechtsschutzversicherung sollten in jedem Falle versuchen, ihre Rechte durchzusetzen.

DAZ.online: Gibt es hinsichtlich der Verjährungsfristen etwas zu beachten?

Melcher: Die Patientenansprüche verjähren in drei Jahren. So zurzeit noch keine valsartanbedingte Erkrankung vorliegt, beginnt diese dreijährige Verjährungsfrist erst zu laufen, wenn der Schaden eingetreten ist.

DAZ.online: Welche Ansprüche kommen noch in Betracht?

Melcher: Wir beginnen in einem etwaigen Mandat stets mit der Geltendmachung von Auskunftsansprüchen gemäß § 84 a AMG. Ein solcher Anspruch ist gerichtet auf Verdachtsfälle, Neben- und Wechselwirkungen des Medikaments. Neben den pharmazeutischen Unternehmen müssen insoweit auch die für die Arzneimittelzulassung zuständigen Behörden Auskünfte erteilen.

DAZ.online: Vielen Dank für das Gespräch!



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Interessant ...

von Kritiker am 09.09.2018 um 5:29 Uhr

... wären Informationen über die Größenordnung möglichen Schadensersatzes.

Für die Geschädigten in Deutschland scheint doch im Vergleich zu den USA bestenfalls ein Almosen durchsetzbar zu sein.

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