Gastkommentar Max Willie Georgi (BPHD-Präsident)

Wenn ein Ministerium den Apothekern offen das Vertrauen versagt

Jena - 31.08.2018, 16:30 Uhr

Max Willie Georgi, Präsident des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden, meint, dass es für HIV-Selbsttests unbedingt die Apothekenpflicht geben sollte. Er macht dem Bundesgesundheitsministerium und der ABDA schwere Vorwürfe. (Foto: privat)

Max Willie Georgi, Präsident des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden, meint, dass es für HIV-Selbsttests unbedingt die Apothekenpflicht geben sollte. Er macht dem Bundesgesundheitsministerium und der ABDA schwere Vorwürfe. (Foto: privat)


HIV-Selbsttests sind Teil des Pharmaziestudiums

Das Beispiel HIV-Tests zeigt dies ganz deutlich. Geht man von einem Ansatz aus, möglichst hohe Testzahlen in der Fläche zu erreichen und dadurch die Dunkelziffer an Infizierten zu senken, dann ist die logische Schlussfolgerung, sie durch das Internet und nicht durch Apotheken zu vertreiben. Auch wenn dies für viele Apotheker hart zu akzeptieren ist – das Internet spielt eine immer größere Rolle beim Kauf von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Die Vorteile der „pharmazeutischen“ Lieferkette der Apotheken sehen die jüngeren Generationen nicht. Durch wen sollen sie auch davon erfahren haben? Gerade diese Generationen sind aber entscheidend, um die Zahlen von HIV-Infektionen zu senken. 

Der einzige entscheidende Vorteil, den die Apotheken gegenüber dem Internet haben, ist die persönliche Beratung. Gerade diese würde bei HIV-Selbsttests einen riesigen Unterschied machen, durch den die mitunter schwerwiegenden psychosozialen Auswirkungen eines positiven Test-Ergebnisses direkt aufgefangen werden können, um an die entsprechenden Kompetenzstellen zu verweisen. Eine HIV-Diagnose zählt zu den schlimmsten Diagnosen, die ein Mensch erhalten kann. Diese persönliche Beratung würde den Schritt zu HIV-Selbsttests wesentlich sicherer machen. Allgemein könnten Apotheker einen großen Teil im Bereich der Aufklärung und Prävention beitragen – wenn sie wollen. Scheinbar hat das BMG nicht mehr das Vertrauen, Apotheker würden solch eine Arbeit leisten wollen. Das ist das Ergebnis, wenn man jahrelang nicht entscheidend für seine Kompetenzen einsteht.  

Während des Pharmaziestudiums werden HIV-Tests behandelt. Ich als angehender Pharmazeut kann einem Kunden erklären, wie der Test funktioniert, worauf geachtet werden muss und wo seine Grenzen liegen. Ebenso kann ich vermitteln, was am besten bei einem positiven Testergebnis zu tun ist. Ich lerne im Studium hingegen nichts darüber, wie ich den Test beim Großhandel bestelle oder einlagere und das auch aus gutem Grund - dies ist nicht die Kernkompetenz eines Apothekers und ich möchte mich später auch nicht darüber definieren. Das sind Routine-Aufgaben, für die es keine vier Jahre Studium an einer Universität benötigt. Was passiert, wenn sich ein Berufsstand jahrelang eben doch darüber definiert, sehen wir jetzt. Ein Bundesministerium verliert das Vertrauen. Leiden werden darunter Diejenigen, die allein mit einem positiven HIV-Selbsttest umgehen müssen und niemanden haben, der sie auffängt. 



Max Willie Georgi, Beauftragter für PJ und Beruf
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


8 Kommentare

So ein Test

von Peter Lahr am 03.09.2018 um 10:52 Uhr

kann, und da bin ich mir sicher, aber wohl wenn er kommt, seinen Sinn eher im Davor als im Danach für die Patienten entfalten. Vorher beide einen Test, dann entweder ratterdieknatter und dann auch für noch suchende Angehörige meiner Generation, der davor und erstrecht der danach ein 68er erfülltes Sexualleben wie es damals erst durch die Pille möglich wurde wovon meine Generation, die davor und die danach wegen der "AIDS" Angst bei ihrem "Erblühen" nur träumen konnte, oder bei positiven Ergebnis halt Flaute und mindestens ein geschockter Partner.
Das ist die eine Seite der Medaille, aber die andere Seite ist, dass andere sexuell übertragbare Krankheiten wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei einem negativen Ergebnis "davor" ausgeblendet werden wenn man sich dem Vergnügen aufgrund eines negativen Tests hingibt. Denn, um auf die 68er zurückzukommen, Kondome gab es auch schon bevor die Pille kam, von der sexuellen Revolution sprach man aber erst nach der Einführung hormonellen Kontrazeption.
Das sollte man immer im Hinterkopf behalten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Beratung muss passen

von Wolfgang Müller am 02.09.2018 um 18:07 Uhr

Es kommen im Moment jede Menge sehr junge und fachlich sehr gute Absolventen von den Unis, denen eine recht extreme Beratung aller Kunden unter allen Umständen beigebracht wurde. Auch wenn klar Desinteresse bis Ablehnung gezeigt wird. Es existiert dort inzwischen wirklich das Problem-Bild (um nicht "Feind"-Bild zu sagen) des Kunden als "Beratungsverweigerer". Pardon, des "Patienten". Ich finde, das ist eine absurde Umkehr unseres Beratungs- UND Versorgungsauftrags, auf der Grundlage einer vollkommen unzulässigen Infantilisierung unserer Kunden.

Wir haben gerade zu der Abgabe der Pille danach ja nun schon einige entsprechende Geschichten hier und bei AdHoc lesen müssen, die uns gezeigt haben, was für ein wirklich schwieriges Thema das geworden ist ......mal ganz vorsichtig ausgedrückt. Gerade Produkte, die mit Sex zu tun haben - aber wießgott nicht nur die -, führen bei einer hochnotpeinlichen Zwangsberatung anscheinend immer häufiger zu Situationen, die unsere Kunden eher dem Versand in die Arme treiben.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Gerade ich berate auch gerne lang und grundlegend, wenn es passt. Auch schon mal eine halbe Stunde, wenn ein älterer Kunde mit seinen Medikamenten nicht zurecht kommt, und das muss bei mir auch gar nix kosten, und auch nicht "Brown Bag Review" heißen. Gleiches gilt selbstverständlich für Ella One, und wird auch für HIV-Tests so sein. Entscheidend ist aber: Gibt es von uns ein angenehmes Beratung-ANGEBOT, oder werden wir penetrant?

Nicht penetrant zu werden heißt unter Umständen auch, den Wunsch einer bestimmten Kundengruppe nach Nicht-Beratung oder sogar eben: vollkommener Anonymität zu akzeptieren. Und vor Allem, mein Wunsch: Dass bitte penetrant und hoheitlich/ungnädig beratende KollegInnen nicht auch MEINE potentiellen Kunden im Sinne des "Fluchs der (vermeintlich) guten Tat" irgendwann endgültig ins Internet vertreiben!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

HIV-Tests

von Christian Köstlin am 02.09.2018 um 15:24 Uhr

Um auch in der Szene als vertrauensvoll oder vertrauenswürdig akzeptiert zu werden wenn zum Beispiel ein HIV-Test ausgegeben werden sollte, gehört meiner Meinung nach einiges an Kompetenz, Erfahrung und Gespür. Und vielleicht müssen wir anerkennen, dass wir nicht alle bei heiklen Themen neutral und verständnisvoll genug agieren. Negative Kommentare zur Pille danach von jungen Frauen, die sich von ihren Apotheker seltsame Kommentare anhören mussten, gibt es durchaus einige. Dass es für einige angenehmer und leichter erscheint, sich den Test „anonym“ im Internet zu holen erscheint vor diesem Hintergrund durch aus verständlich. Und während andere Berufsgruppen leider permanent ihre Kompetenzen erweitert haben, haben wir Apotheker einfach nicht laut gerufen und uns auch nicht bereit erklärt mehr zu übernehmen. Schon bei der Impftpflicht haben wir ein Problem und auch die Pille danach will ja nicht jeder abgeben . Homöopathieverweigerer haben wir auch schon in unseren Reihen, aber leider auch einige zu wenig, die bei jedem Mist der von der Pharmaindustrie und jedem Me-too-Präparat eben nicht laut schreien. Immer sagen wir, dass wir gerne mehr übernehmen würden, aber vielleicht sollten wir es auch einfach tun. Wir müssen akzeptieren, dass es andere Vertriebswege gibt und gab und dass wir, wenn wir uns behaupten wollen, aktiv, innovativ und durchaus auch aggressiv an die Gesundheitspolitik und die Verbraucher wenden müssen. Mit Mimimi und Wegducken und Beleidigtsein kommen wir hier nicht weiter. Und auch nicht mit Schwarz und Weiß. Wir können beides und entweder/oder halte ich für keine Option sondern eher sowohl als auch.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

HIV Test via Internet

von Christian Lindinger am 01.09.2018 um 13:45 Uhr

Warum ist niemand bereit, darüber nach zu denken, dass eine Order vis Internet noch ganz andere Konsequenzen hat.

Denken Sie doch an das Thema „sensible Daten“- was für ein Aufstand wird wegen des Datenschutzes gemacht, aber dass der Endvebraucher hinsichtlich seiner Gesundheitsdaten Weitergabe vor sich selbst geschützt werden sollte, steht außer Frage.

Dank all der Algorithmen finden Sie dann nach geordetem HIV Test folgende Anmerkung: Kunden, die diesen Rest bestellt haben, kauften auch KONDOME ( leider zu spät, auch wenn das sehr zynisch klingen mag).

Oder denkt Herr Spahn wie ein sehr erfolgreicher Politiker -Kollegen :HANDELN FIRST, BE D E N K E N SECOND

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Ach nö ...

von Reinhard Herzog am 31.08.2018 um 19:52 Uhr

... nicht schon wieder ein verzweifelter Selbsttherapie-Versuch der geschundenen Apothekerseele.

Hier wird in keiner Weise den Apotheken das Vertrauen entzogen, sondern nur ein weiterer anonymer Weg zum HIV-Selbsttest eröffnet. Es bleibt den Menschen, die "Gesicht zeigen wollen", unbenommen, direkt zum Arzt oder einer AIDS-Hilfe zu gehen - oder den Test in der Apotheke zu kaufen samt Beratung.

Aber manch einer will dies eben nicht. Dies ist zu akzeptieren. Da nun einmal die Problematik nicht (rechtzeitig) erkannter HIV-Infektionen beträchtlich ist, macht es sehr wohl Sinn, hier die Scheuklappen abzusetzen.

Bei der "Pille danach" haben wir eine andere Situation, werden hier doch nicht unproblematische Wirkstoffe verabreicht - die Domäne der Pharmazeuten.
Allerdings: Die "Pflichtberatung" kommt auch hier nicht durchgehend gut an. Schauen Sie mal in verschiedene Foren, den O-Ton einer Studentin meiner Lehrveranstaltungen verkneife ich mir hier ...
Schwangerschaft ist jedoch nicht ansteckend und keine tödliche Krankheit wie AIDS.

Weiter schreiben Sie:
"Gerade diese [Beratung] würde bei HIV-Selbsttests einen riesigen Unterschied machen, durch den die mitunter schwerwiegenden psychosozialen Auswirkungen eines positiven Test-Ergebnisses direkt aufgefangen werden können, um an die entsprechenden Kompetenzstellen zu verweisen".

Sind Sie auch Psychologe / für Krisenintervention ausgebildet?
Und dass man nach einem positiven Ergebnis einen Arzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen sollte, erschließt sich selbst etwas schlichteren Gemütern. Den Tests liegen übrigens auch Anleitungen bei, sogar mehrsprachig.

Entweder Sie überschreiten also mit Ihrer "psychosozialen Betreuung" Ihre Kompetenzen und begeben sich auf ganz dünnes Eis, oder aber Sie brillieren mit Allerwelts-Ratschlägen ("Gehen Sie zum Arzt ...").

Dass die Apotheken im Bereich der Prävention, der Medizintechnik, diverser Tests (z.B. Pharmakogenomik) usw. noch enormes Potenzial haben, ist unbestritten.

Aber bitte mit Augenmaß an den richtigen Stellen, wo wirklich Profilierungspotenzial besteht.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Ach n

von Volkmann am 01.09.2018 um 11:54 Uhr

Also ich weiß nicht was manche hier haben.
Klar muss da beraten werden!
Auch bei Schwangerschaftstests!
Warum entwickelte Wick denn einen ClearBlue der mit einem digital spricht (klar weil alle die Gebrauchsanweisung lesen können und das Ablesen eines Streifens ja soooo leicht geht das man nichts falsch machen kann)
Und Seelsorger etc sind wie für unsere Kunden!!!!
Der Arzt hat meistens keine Zeit!
Und die im Supermarkt an der Kasse auch nicht!
HUT AB AN DEN JUNGEN KOLLEGEN

Apothekenpflichtig für HIV-Selbsttests

von Frank Dörje am 31.08.2018 um 19:43 Uhr

Chapeau!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Apothekenpflicht für HIV-Selbsttests!

von Uwe Hüsgen am 31.08.2018 um 19:00 Uhr

Endlich spricht ein (angehender) Apotheker mal Klartext!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.