Wissenschaftliches Institut der AOK

Weniger Pillen mit hohem, aber mehr mit unklarem Risiko

Stuttgart - 15.08.2018, 13:35 Uhr

Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat sich GKV-Verordnungsdaten zur Pille angesehen. (j / Foto: Dominique VERNIER / stock.adobe.com)

Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat sich GKV-Verordnungsdaten zur Pille angesehen. (j / Foto: Dominique VERNIER / stock.adobe.com)


Die Verordnung von kombinierten oralen Kontrazeptiva für junge Frauen mit Drospirenon, Desogestrel und Gestoden, die mit einem höheren Risiko für Embolien und Thrombosen in Verbindung gebracht werden, ist in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen. Das zeigt eine aktuelle Analyse der GKV-Verordnungsdaten, die dem Wissenschaftlichen Institut der AOK vorliegen. Allerdings wurden auch mehr neuere Pillen verordnet, deren langfristiges Risiko noch nicht abschließend bewertet ist.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat sich eine aktuelle Analyse der GKV-Verordnungsdaten zu oralen Kontrazeptiva angesehen. Da Verhütungsmittel in der Regel nur bis zum vollendeten 20. Lebensjahr von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, bezieht sich die Auswertung nur auf diese Altersgruppe. Demnach scheint die seit 2014 bestehende Empfehlung, dass Ärzte insbesondere Erstanwenderinnen bevorzugt Präparate mit einem geringeren Risiko für die Bildung von Thrombosen und Embolien verschreiben sollen, in der Praxis anzukommen. Ausschlaggebend für das Thrombose-Risiko ist bekanntermaßen die Gestagenkomponente: Als risikoarm gelten Pillen mit Levonorgestrel, Norethisteron und Norgestimat, bei Drospirenon, Desogestrel und Gestoden hingegen wird das Risiko als hoch eingeschätzt. Dazu kommen neuere Gestagene wie Dienogest, deren Langzeitrisiko noch nicht abschließend bewertet ist. 

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Mehr risikoarme Gestagene

Wie das WIdO in einer Pressemitteilung erklärt, sei der Verordnungs-Anteil der kombinierten oralen Kontrazeptiva mit einem höheren Thromboembolie-Risiko zurückgegangen. Lag er insgesamt, einschließlich der Pillen mit unklarem Risiko, im Jahr 2015 noch bei 66 Prozent, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 55 Prozent. Sieht man sich die Daten im Detail an, stellt man fest, dass die risikoarmen Gestagene im Jahr 2007 einen Anteil von 31 Prozent aller zulasten der GKV verordneten Pillen hatten, 2017 waren es 45 Prozent. Im selben Zeitraum, 2007 bis 2017, ging der Anteil der Pillen mit den risikoreicheren Gestagenen Drospirenon, Desogestrel und Gestoden von 33 auf 7 Prozent zurück. Allerdings wurden, zumindest prozentual, mehr Pillen mit Dienogest verordnet: 19 Prozent im Jahr 2007, 35 Prozent im Jahr 2017. Eine ähnliche Beobachtung machte das BfArM vor etwa einem Jahr, als es das Verordnungsverhalten vor, während und nach dem Risikobewertungsverfahren, das für die Empfehlung sorgte, bevorzugt Pillen mit geringem Risiko zu verschreiben, verglich. Hier machten Pillen mit unklarem Risiko am Ende des Beobachtungszeitraums (2015 und im ersten Quartal 2016) 51,8 Prozent der Gesamtverordnungen aus. In den Jahren 2012 und 2013 waren es 39,5 Prozent gewesen.

Regionale Unterschiede: Bremen vorne

Zudem gibt es regionale Unterschiede bei der Verordnung der risikoreicheren Präparate, wie das WIdO feststellt. So werden in Bremen mit einem Verordnungsanteil von 49 Prozent im Jahr 2017 die wenigsten risikoreichen Präparate. In Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und im Saarland hingegen lag der Anteil der risikoreicheren Pillen im vergangenen Jahr jeweils bei etwa 59 Prozent. Sie bilden damit die Schlusslichter der Auswertung. Den größten Rückgang bei der Verordnung dieser Präparate gab es in den letzten fünf Jahren in Bayern – von knapp 70 Prozent im Jahr 2012 auf 55 Prozent im Jahr 2017.

Laut Arzneiverordnungsreport ist die Zahl der zulasten der GKV verschriebenen Kontrazeptiva insgesamt zurückgegangen: von 382 Millionen Tagesdosen im Jahr 2007 auf 292 im Jahr 2016. 

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Einige Pillen aus der Gruppe mit den höheren Thromboserisiko haben neben der Verhütung weitere Indikationen, zum Beispiel Akne, und werden von den Herstellern auch entsprechend „für eine schöne Haut“ oder ähnlich vermarktet. Mit der Frage, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis von oralen Kontrazeptiva mit 2 mg Dienogest und 0,03 mg Ethinylestradiol den Einsatz bei mittelschwere Akne rechtfertigt, hat sich vor einiger Zeit die EMA beschäftigt. Die Initiative dafür kam aus Großbritannien. Man hatte dort Zweifel#

am Nutzen für diese Indikation geäußert. So gibt es nach Ansicht des CHMP genügend Evidenz, um den Einsatz der Kombination Dienogest/Ethinylestradiol bei mittelschwerer Akne grundsätzlich zu befürworten – allerdings nur, wenn topische Therapien oder orale Antibiotika nicht wirksam sind. Zudem sollten die jeweiligen Arzneimittel, die ja auch zur Verhütung zugelassen sind, nur Frauen verordnet werden, die eine orale hormonelle Kontrazeption wünschen. Um abzuschätzen, ob die Gefahr einer VTE unter Dienogest/Ethinylestradiol größer oder kleiner als bei Pillen mit anderen Wirkstoffen ist, reichten im Moment die Daten nicht aus, heißt es weiter. Weitere Ergebnisse hierzu werden aber erwartet.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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