DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (2)

Von der Reichspogromnacht bis zum Berufsverbot

Berlin - 13.08.2018, 09:10 Uhr

Im Bayerischen Viertel in Berlin erinnert ein Straßenschild an das Anfang 1939 ausgesprochene Berufsverbot gegen jüdische Pharmazeuten. (r / Foto: Imago)

Im Bayerischen Viertel in Berlin erinnert ein Straßenschild an das Anfang 1939 ausgesprochene Berufsverbot gegen jüdische Pharmazeuten. (r / Foto: Imago)


Ausschluss von der Apothekenleitung ab 1936

Die Situation jüdischer Apotheker verschärfte sich zunehmend in den darauffolgenden Jahren. Seit 1935 wurde durch Runderlasse des Reichsinnenministeriums die längst praktizierte Verweigerung der Konzessionsvergabe an jüdische Apotheker legalisiert. Aber auch gegen jüdische Apothekenbesitzer wurde ab 1936 vorgegangen. Mit dem am 26.März 1936 erlassenen „Gesetz über die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken“ wurden Juden von der Apothekenleitung ausgeschlossen. Sie mussten mit einer Frist von sechs Monaten entweder ihre Apotheke verkaufen – oder einen „arischen“ Pächter finden. „Juden sind als Pächter nicht zugelassen. Öffentliche Apotheken, deren Inhaber Jude ist, unterliegen dem Verpachtungszwang.“

300 Apotheken standen zum Verkauf

Frank Leimkugel gibt in seinem Buch „Wege jüdischer Apotheker“ an, dass daraufhin allein in Berlin von 500 Apotheken 150 zum Verkauf oder zur Verpachtung anstanden. Auf das gesamte Deutsche Reich bezogen, handelte es sich um mehr als 300 Apotheken. Die Lage der jüdischen Apotheker war verzweifelt. Die Preise, die erzielt werden konnten, entsprachen nicht dem eigentlichen Wert. Zudem war es schwierig, so schnell ausreichend solvente Käufer zu finden. Infolge des plötzlichen Wegfalls jüdischer Apotheken stieg auch die Arbeitslosigkeit unter den jüdischen Approbierten, da viele wegen des zunehmenden Antisemitismus nur eine Arbeitsstelle in einer jüdischen Apotheke gefunden hatten und diese nun verloren. Die Süddeutsche Apotheker-Zeitung vermeldete: „Seit dem 1. Oktober 1936 gibt es keine jüdischen Apotheken mehr!“

Reichspogromnacht

Die Reichspogromnacht vom 9. auf dem 10. November 1938 ging auch an jüdischen Apothekern nicht spurlos vorbei. Damals brannten reichsweit Synagogen, Geschäfte wurden geplündert, Scheiben wurden eingeworfen und tausende Juden wurden misshandelt, verhaftet oder getötet. Der Pogrom wurde ausgelöst durch eine Hetzrede von Propagandaminister Josef Goebbels. Daraufhin setzten sich die Schlägertrupps der SA in Bewegung – und ein Terror bisher nicht gekannten Ausmaßes nahm seinen unheilvollen Verlauf.

Zerstörtes Geschäft nach der Reichspogromnacht vom 9. auf 10. November 1938. (Foto: dpa)

Apotheken, geleitet von jüdischen Apothekern, gab es zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr, aber jüdische Apotheker wie Adolf Mockrauer aus Berlin-Britz. Der Übernahme der Pacht seiner Apotheke durch das NSDAP-Mitglied Johannes Büker verdankte Mockrauer, dass er als Geschäftsführer weiterhin in „seiner“ Apotheke arbeiten konnte. In der Nacht zum 10. November blieb auch Mockrauer nicht von den Ausschreitungen verschont. Zeitzeugen sagten hinterher: „Diese Apotheke war völlig zerstört, die Scheiben eingeschlagen, alle Regale zerhackt, alle Medikamente zertreten, überall lagen Glassplitter von den Röhrchen, ja es war ein Bild, wie man es später nach Bombenangriffen häufiger gesehen hatte. An den Wänden stand: Juden raus!“

Berufsverbot ab1939

Der Verpachtungszwang jüdischer Apotheken nach 1936 nahm den jüdischen Apothekenbesitzern zwar die Möglichkeit zur Leitung einer Apotheke, beließ sie im Fall der Verpachtung aber im Besitz der Apothekenbetriebsrechte. Doch das sollte nicht so bleiben: 1939 wurde in zwei Schritten der völlige Ausschluss jüdischer Apotheker aus der Pharmazie durchgeführt. So hieß es in der achten Verordnung des Reichsbürgergesetzes vom 17. Januar 1939: „Bestallungen, Approbationen und Diplome jüdischer Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker erlöschen am 31.1.39.“ Zusätzlich wurde ein Runderlass des Reichsinnenministeriums mit der Überschrift „Entjudung von Apothekenbetriebsrechten“ veröffentlicht, infolgedessen die Betriebsrechte bisher noch verpachteter Apotheken bis zum 30. Juni 1939 verkauft werden mussten: das – vorläufige – Ende der jüdischen Pharmazie in Deutschland.

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Die Artikel-Serie „Jüdische Apotheker“ bei DAZ.online bezieht sich unter anderem auf das Buch von Frank Leimkugel „Wege jüdischer Apotheker“ bezüglich der Situation in Deutschland und auf die Arbeit von Esther Hell „Jüdische Apotheker im Fadenkreuz“, das die Situation jüdischer Pharmazeuten in Hamburg analysiert. Exemplarische Schicksale jüdischer Apotheker werden auf Basis der bereits benannten Quellen und einzelner im Internet verfügbarer Quellen beschrieben.

Die Datenlage zur Situation jüdischer Apotheker in Deutschland rund um die NS-Zeit – Zeitraum der DAZ.online-Miniserie – ist allgemein lückenhaft. Bedingt durch die geschichtlichen Ereignisse sind Akten und Schriftstücke der damaligen Behörden und betreffenden Organisationen im größeren Umfang vernichtet worden bzw. verschollen. Den Arbeiten von Leimkugel und Hell liegen unter anderem die Auswertungen vorhandener Dokumente verschiedener Landes- und Stadtarchive, einzelner Archive zur pharmazeutischen Geschichte, des Leo Baeck Institutes zur Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, des Amtes für Wiedergutmachung und der Entschädigungsbehörde Berlin zugrunde.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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