Derzeit erhöhte Gefahr

Was Apotheker über Vibrionen, die „fleischfressenden Ostseebakterien“, wissen müssen

Stuttgart - 23.07.2018, 16:45 Uhr

Vibrio vulnificus (hier eine colorierte elektronenmikroskopische Aufnahme) fühlt sich bei warmen Wassertemperaturen wohl. (c / Foto: imago)

Vibrio vulnificus (hier eine colorierte elektronenmikroskopische Aufnahme) fühlt sich bei warmen Wassertemperaturen wohl. (c / Foto: imago)


Ein Bad in der Ostsee kann derzeit gefährlich werden. Es könnten nämlich mehr Bakterien der Gattung Vibrio im Wasser sein, teilte das Landesamt für Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern am heutigen Montag mit. Schuld sind die hohen Temperaturen. Besonders gefährdet sind Menschen mit chronischen Vorerkrankungen, geschwächtem Immunsystem und offenen Wunden. Am Wochenende sei etwa ein 70-Jähriger mit chronischen Vorerkrankungen wegen einer Infektion gestorben, heißt es. 

Aufgrund der langanhaltenden Wärme hat sich das Wasser der Ostsee aufgeheizt – gute Lebensbedingungen für Vibrionen. Sie vermehren sich insbesondere bei Wassertemperaturen über 20°C, bei niedrigeren Temperaturen befinden sie sich vor allem im Meeresboden. Obwohl Infektionen mit Bakterien der Gattung Vibrio verhältnismäßig selten sind, erregen sie aufgrund ihres teilweise dramatischen Ausgangs oft einiges Aufsehen. So auch am vergangenen Wochenende, als ein 70-Jähriger mit chronischen Vorerkrankungen aufgrund einer Infektion verstarb.

Vibrionen sind fakultativ anaerobe, gramnegative Stäbchenbakterien aus der Familie der Vibrionazeen. Zur Gattung gehören verschiedene Spezies, zwölf davon sind derzeit als humanpathogen bekannt, darunter der Erreger der Cholera, Vibrio (V.) cholerae, sowie V. vulnificus. Letzterer Art sind die „fleischfressenden Ostseebakterien“ zuzuordnen. Sie sind mäßig bis ausgeprägt halophil (salzbedürftig) und natürlicher Bestandteil der Bakterienflora salzhaltiger Meerwässer. Steigt die Wassertemperatur über diesen Wert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Vibrionen an der deutschen Ostseeküste nachgewiesen werden. Auch in der Nordsee wurde der Erreger in den vergangenen Jahren immer wieder gefunden.

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Das Krankheitsbild richtet sich nach der Eintrittspforte. Werden Vibrionen über die Nahrung oder das Trinkwasser aufgenommen, verursachen sie gastrointestinale Symptome. Gelangen die Bakterien über die Haut in den Körper, zum Beispiel über offene Wunden, führen sie zu schweren Wundinfektionen und Sepsis. Besonders gefährdet sind Menschen mit chronischen Vorerkrankungen, geschwächtem Immunsystem und offenen Wunden. Ganz kleine Läsionen reichen als Eintrittspforte offenbar aus. Gefährdete sollten den Kontakt mit warmem Meerwasser meiden. Die Infektionen entstehen, wenn geschädigte Haut mit kontaminiertem Meer- oder Brackwasser in Kontakt kommt oder durch Schalentiere verletzt wird. Die Inkubationszeit für Infektionen mit V. vulnificus beträgt 12 bis 72 Stunden. Ohne adäquate Therapie kann sich die Infektion schnell ausbreiten und zu ausgedehnten Nekrosen führen, aus denen sich dann eine Sepsis entwickeln kann. Im schlimmsten Fall endet diese tödlich. 

Wie behandelt man?

Wegen des raschen und schweren Krankheitsverlaufs ist eine frühestmögliche Einleitung der antibakteriellen Therapie entscheidend, auch wenn die mikrobiologische Bestätigung noch aussteht. Dazu ist primär eine Kombination aus einem Tetracyclin und einem Cephalosporin der dritten Generation zu empfehlen, alternativ können Fluorchinolone eingesetzt werden. Bei Kindern wird aufgrund der Kontraindikation von Tetracyclinen und Fluorchinolonen eine Kombination aus Cotrimoxazol mit einem Aminoglykosid eingesetzt. Häufig sind bei Wundinfektionen zusätzliche chirurgische Interventionen erforderlich. Bei zu spätem Therapiebeginn sind Amputationen oft nicht zu vermeiden.

In Sommermonaten muss bei verdächtigem Krankheitsbild somit an die Möglichkeit einer Infektion durch Vibrionen gedacht und bei Wundinfektionen nach dem Kontakt mit Meerwasser beziehungswseise nach dem Verzehr von Meerestieren gefragt werden.

Günstige Wachstumsbedingungen in der Ostsee

Bereits seit 1985 werden im Bereich der Ostsee-Anrainerstaaten steigende Fallzahlen registriert. So stiegen die Infektionen von absolut deutlich unter zehn Fällen auf etwa 20 bis 30 Fälle pro Jahr (2010) an. Im Jahre 2005 wurde der absolute Ausnahmewert mit etwas über 60 Fällen registriert. Für die Ostsee wird dabei eine weitere Zunahme der Fälle prognostiziert, da vor allem V. vulnificus hier mit dem relativ geringen Salzgehalt und den allgemein steigenden Wassertemperaturen der Meere günstige Wachstumsbedingungen vorfindet. In der Nordsee sind vor allem Bereiche mit Süßwasserzufluss gefährdet, da dort der Salzgehalt reduziert ist.

Neben V. vulnificus wurden im Ostseeraum auch noch andere Vibrio-Arten nachgewiesen. So erkrankten im Sommer 2006 mehrere Personen an Wundinfektionen durch nicht Toxin-produzierende V. cholerae. Die Toxin-produzierenden Serotypen von V. cholerae, die die klassische Cholera auslösen können, werden in deutschen Gewässern aber nicht gefunden.

Auch Blaualgen und Saugwürmer unterwegs

Neben der Gefahr durch Vibrionen weist das Landesamt zudem darauf hin, dass es örtlich zur Blaualgenblüte kommen kann und an seichten Uferstellen vermehrt Larven von Saugwürmern leben können. Diese lösten etwa juckende Stellen an der Haut aus. Ob eine Badestelle belastet ist, kann im Internet in Erfahrung gebracht werden.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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