Brandenburger Arzneimittelskandal

Ministerpräsident: „Vertrauen in Gesundheitssystem stark beschädigt" 

Berlin - 23.07.2018, 13:00 Uhr

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke äußerte seine Betroffenheit angesichts der Lunapharm-Affäre. (c / Foto: Imago)

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke äußerte seine Betroffenheit angesichts der Lunapharm-Affäre. (c / Foto: Imago)


Kein geruhsamer Sommer im Gesundheitsministerium Brandenburg – die Aufklärungsarbeiten zum Lunapharm-Skandal um mutmaßlich gestohlene Krebsmittel laufen auf Hochtouren. Ministerpräsident Woidke (SPD) äußerte tiefste Betroffenheit und fordert von Ministerin Golze (Linke), die Vorfälle umfassend aufzuklären. Am kommenden Mittwoch wird sich das Gesundheitsministerium in einer Sondersitzung des Brandenburger Gesundheitsausschusses verantworten müssen.

Der brandenburgische Skandal um die mutmaßlich gestohlenen Krebsmedikamente verunsichert betroffene Patienten und bringt die zuständigen Behörden in Misskredit. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) äußerte am vergangenen Samstag seine Betroffenheit in einer öffentlichen Meldung: „Das Vertrauen in unsere Arzneimittelaufsicht und in unser Gesundheitssystem hat durch diesen Vorfall erheblichen Schaden erlitten. Eine umfassende Aufklärung hat deswegen oberste Priorität.“

Ministerium ergreift erste Maßnahmen

Seit März des vergangenen Jahres soll das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) gewusst haben, dass die Staatsanwaltschaft gegen den in Mahlow ansässigen Pharmahändler Lunapharm ermittelt. Doch dieses Wissen behielt das Landesamt offenbar für sich. So soll das Gesundheitsministerium, dem das LAVG unterstellt ist, erst durch die Enthüllungen des ARD-Magazins Kontraste in der zweiten Juliwoche von dem Diebstahlsverdacht erfahren haben.

Ministerin Diana Golze (Linke) hatte vergangene Woche erste Konsequenzen aus dem Medikamentenskandal gezogen: So initiierte das Ministerium einen Rückruf aller Lunapharm-Produkte und stellte eine Task-Force zur Aufklärung der Vorfälle zusammen, an der unter anderem AMK-Präsident Professor Martin Schulz beteiligt ist. 

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Außerdem steht das Ministerium unter der Nummer 0331 866-5020 täglich zwischen 10 und 16 Uhr für Rückfragen zur Verfügung. Nach Angaben des Ministeriums war die Nummer bereits zu Beginn der Telefonaktion mit zwölf Anrufern pro Stunde stark frequentiert.

Woidke begrüßte die Maßnahmen des Ministeriums. „Ich erwarte von Diana Golze, die Versäumnisse im Verfahren durch das Landesamt für Gesundheit offenzulegen und sicherzustellen, dass die Arzneimittelaufsicht ihre Aufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt. Der Schutz der Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger steht für die gesamte Landesregierung an oberster Stelle“, forderte der Chef der rot-roten Landesregierung.

Mögliche Gesundheitsgefahr ist „erschütternd“

Der Rückruf dürfte für die meisten Patienten zu spät kommen, denn nach Auskunft des Ministeriums wurde ein Großteil der betroffenen Arzneimittel bereits verabreicht. Problematisch ist dabei, dass im Rahmen des Arzneimittelschmuggels vermutlich die Lager- und Transportbedingungen nicht optimal waren, wodurch temperaturempfindliche Onkologika ihre Wirksamkeit verloren haben könnten. „Die damit verbundene Verunsicherung für Krebspatienten macht mich sehr betroffen“, erklärte Woidke. „Besonders erschüttert mich, dass der Verdacht im Raum steht, dass die gestohlenen hochsensiblen Arzneimittel nicht ordnungsgemäß gelagert und vertrieben wurden und damit Zweifel an ihrer Wirksamkeit bestehen", so Brandenburgs Regierungschef.

Noch am 13. Juli hatte das Ministerium als erste Reaktion auf die Kontraste-Sendung erklärt, es hätte zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Patienten bestanden. Denn das LAVG hätte zwei Rückstellmuster des Pharmahändlers untersucht, die einwandfrei gewesen seien. Diese Entwarnung nahm die Behörde bereits fünf Tage später zurück: Die Ministerin räumte ein, dass diese Stichproben nicht repräsentativ gewesen seien, und plant nun, sämtliche Rückstellmuster, die noch bei Lunapharm lagern, vollumfänglich zu analysieren und die Ergebnisse zu veröffentlichen. 

Kein Sommerloch für Brandenburgs Behörden

Der Brandenburger Landtag hat wegen der Lunapharm-Affäre die Sommerpause unterbrochen. CDU und Grüne haben für den kommenden Mittwoch eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses einberufen. Die Oppositionsparteien fordern ebenfalls vollumfängliche Aufklärung und kritisieren die zuständige Ministerin. „Es wäre die Pflicht von Ministerin Golze gewesen, so etwas zu verhindern“, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU Raik Nowka gegenüber der Märkischen Allgemeinen.

Das Ministerium muss sich somit in wenigen Tagen für die Versäumnisse des ihm unterstellten LAVG verantworten. Das Landesamt hätte eigentlich das leitende Ministerium zeitnah von dem Diebstahlsverdacht informieren und die Produkte vor über einem Jahr zurückrufen müssen. Auch für den aktuell laufenden Rückruf wäre das LAVG zuständig gewesen. Im Gegensatz zum Gesundheitsministerium, das seine Maßnahmen seit einigen Tagen offen legt, hatte sich das Landesamt bisher auf Nachfragen von DAZ.online allerdings bedeckt gehalten.

Ermittlungen noch nicht abgeschlossen

Dem verdächtigten Pharmahändler Lunapharm wurde inzwischen die Betriebserlaubnis entzogen. Noch sind die Ermittlungen gegen ihn nicht abgeschlossen: Erst am gestrigen Sonntag hat nach Informationen der Staatsanwaltschaft Potsdam die Polizei Räumlichkeiten in Mahlow erneut durchsucht und dabei Medikamente und Unterlagen sichergestellt, da neue Erkenntnisse vorlägen. Um welche hinzugekommenen Hinweise es sich dabei handelt, wollte die Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt geben, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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