Milliardenstrafe für Pharmakonzern

Talkum in Babypuder: Wurden Krebsrisiken verschwiegen?

Stuttgart - 17.07.2018, 15:45 Uhr

Talkumhaltige Puder sollen für Kinder unzugänglich aufbewahrt werden. (c / Foto:
zilvergolf
/ stock.adobe.com)

Talkumhaltige Puder sollen für Kinder unzugänglich aufbewahrt werden. (c / Foto: zilvergolf / stock.adobe.com)


Der US-Pharma- und Konsumgüterkonzern Johnson & Johnson ist in den USA zu einer Milliardenstrafe verurteilt worden, weil bestimmte Körperpflegeprodukte der Firma Krebs verursacht haben sollen. Geklagt hatten 22 an Eierstockkrebs leidende Frauen.

22 an Eierstockkrebs erkrankte Klägerinnen machen Johnson & Johnson-Produkte, wie den Körperpuder „Baby Powder“, für ihre Erkrankungen verantwortlich und werfen dem Konzern vor, Gefahren verschwiegen zu haben. Klägeranwalt Mark Lanier beschuldigt Johnson & Johnson, seit über 40 Jahren Beweise zu vertuschen. Beim Prozess in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri befand die Jury J&J nun einstimmig für schuldig und ordnete Schadenersatz- und Strafzahlungen in Höhe von insgesamt 4,7 Milliarden Dollar (4,0 Milliarden Euro) an. Das hat die Deutsche Presseagentur berichtet. Es sei nicht das erste Mal, dass ein Geschworenengericht das Unternehmen verurteilt. Einige hohe Strafen seien jedoch später in Berufungsverfahren zurückgenommen worden, in anderen Fällen stehen Entscheidungen höherer Instanzen noch aus. J&J kündigte auch diesmal rasch an, das Urteil mit allen möglichen Mitteln anfechten zu wollen.

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Konkret ging es bei dem Prozess in den USA um Körperpflegeartikel, die das Magnesiumsilikat Talkum enthalten. In den USA ist J&J deshalb mit tausenden Klagen konfrontiert. In einigen Fällen, wie dem aktuellen, behaupten die Klägerinnen auch, dass diese Produkte Asbest enthalten. Johnson & Johnson weist die Vorwürfe zurück.

BfR: Talkumhaltiger Babypuder ist ein Gesundheitsrisiko

Auch in Deutschland war talkumhaltiger Babypuder in der Vergangenheit ein Thema: In einer Pressemitteilung aus dem Juni 2011 warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davor, dass der unsachgemäße Gebrauch bei Babys und Kleinkindern schwere Gesundheitsstörungen auslösen kann: „Eine typische Unfallsituation besteht, wenn das Kind zum Wickeln auf dem Rücken liegt, sich die Puderdose unbeabsichtigt über ihm öffnet und der Puder herausrieselt“, sagte Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des BfR damals. Atmet ein Baby oder Kleinkind den Puder ein, kann dieser zu schweren Lungenschäden führen. Das BfR riet deshalb dazu, Puderdosen entweder auf sichere Verschlusssysteme umzustellen oder talkumhaltige Babypuder zu verbieten.

Anlass zur Stellungnahme war 2011 ein schwerer Vergiftungsfall eines zweijährigen Mädchens: Der Puder ergoss sich beim Spielen über das Gesicht des Kindes und wurde von ihm eingeatmet – es musste mehrere Tage lang intensivmedizinisch behandelt werden. Zudem hatten zwischen 1979 und 2008 die Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz 113 Aspirationsunfälle mit Babypuder dokumentiert – bleibende Schäden trugen die Kinder in diesen Fällen jedoch nicht davon.

Kinderärzte: Verwendung von talkumhaltigem Babypuder nicht notwendig

Nach Ansicht vieler Kinderärzte ist aus medizinischer Sicht die Verwendung von talkumhaltigem Babypuder nicht notwendig. Dass talkumhaltiger Babypuder bis heute aber weiterhin ein Thema ist, zeigt die im März 2017 vom BfR veröffentlichte Informationsbroschüre „Risiko Vergiftungsfälle bei Kindern“. Bekannte Babypuder, wie beispielsweise von Penaten, basieren weiterhin auf Talkum und werden mit entsprechenden Warnhinweisen versehen: „Puder von Nase und Mund des Kindes fernhalten, um das Inhalieren von Puder zu vermeiden, das zu Atemproblemen führen kann. Augenkontakt vermeiden. Für Kinder unzugänglich aufbewahren.“

Talkumpuder ist laut BfR also tatsächlich ein Gesundheitsrisiko, aber ist er auch krebserregend? Dass diese Frage die Menschen auch schon 2011 beschäftigte, zeigt eine Internetseite des Landesinstituts für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort wurde in der „Komnet-Wissensdatenbank“ folgende Frage gestellt: Ist Talkumpuder als krebsverdächtig einzustufen? Dabei ging es jedoch nicht um Babypuder, sondern um Gummiteile, die mit Talkumpuder benetzt sind und in einem Herstellungsprozess zum Einsatz kommen. Auch eine potenzielle Verunreinigung mit Asbest wurde dort angesprochen.

In den Klagen aus den USA geht es konkret um das Risiko eines Ovarialkarzinoms. 

Babypuder als Intimpflege für Frauen: Kann er ein Ovarialkarzinom auslösen?

Im Januar 2018 wurde auch Ökotest auf das Thema aufmerksam und erklärte zum Sachverhalt in den USA: „In den USA war es lange üblich, dass Frauen ihren Intimbereich mit Babypuder pflegten. Einige Frauen, so lautet der Vorwurf in Gerichtsverfahren in den USA, sollen deshalb an Eierstockkrebs erkrankt sein.“ Ob wirklich die jahrelange Verwendung von talkumhaltigem Puder die Krebsfälle auslöste, sei jedoch nicht geklärt. Zwar gebe es viele Studien, diese sollen sich jedoch widersprechen.

Noch ausführlicher widmete sich im August 2017 ein Artikel im Ärzteblatt der Frage, ob Talkumpuder ein Ovarialkarzinom auslösen kann. Dort heißt es, dass es sowohl in der Forschung als auch bei den Gerichten umstritten sei, ob talkumhaltige Puder krebserregend sind. Eine ausführliche Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) stufte dem Artikel zufolge die perineale Anwendung von Talkum 2006 als „möglicherweise karzinogen“ für den Menschen (Gruppe 2B) ein. Das US-National Cancer Institute kommt laut Ärzteblatt zu dem Schluss, dass die derzeitige Beweislage nicht für eine Assoziation zwischen einer perinealen Talkum-Exposition und einem erhöhten Risiko von Eierstockkrebs spricht. Die American Cancer Society und die britische Stiftung Cancer Research UK sollen zu ähnlichen Einschätzungen kommen.

Hinweise auf Zusammenhang

Ganz von der Hand zu weisen sei ein Zusammenhang allerdings nicht, weil das Talkumpuder über den Genitaltrakt bis in die Ovarien vordringen könne. So sollen Medizinier aus Harvard das Mineral eindeutig in einem serösen Ovarialkarzinom nachgewiesen haben. Eine aktuelle Meta-Analyse auf der Basis von 24 Fall-Kontroll-Studien und drei Kohortenstudien soll einzig für das seröse Ovarialkarzinom eine signifikante Assoziation gezeigt haben. Bisher sei es jedoch nicht gelungen, ein Endometriumkarzinom im Tierversuch durch die Exposition mit Talkum zu induzieren, womit ein wichtiges Glied in der Beweiskette fehle.

So uneinheitlich die Daten, so uneinig scheinen sich auch die US-Gerichte zu sein: Das Ärzteblatt bezieht sich auf Recherchen der New York Times, wonach im Mai einer Frau aus Virginia ein Schadenersatz von 110 Millionen US-Dollar zugesprochen wurde. Ein Jahr zuvor hatten Gerichte in Missouri zwei Frauen 55 Millionen und 72 Millionen US-Dollar zugestanden (eine war noch vor dem Urteil an Krebs gestorben). In Tennessee wurde im März eine Klage hingegen abgewiesen und in New Jersey gingen zwei Klägerinnen leer aus.

Talkum darf übrigens auch Lebensmitteln als 553b und Tabletten zugesetzt werden. Auch Kondome und Diaphragmen lassen sich laut Ärzteblatt dank Talkumpuder leichter anwenden. Ein breites Einsatzgebiet ist die Kosmetik.



dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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