Datenklau-Prozess

Ermittler räumt Erinnerungslücken ein

Berlin - 12.07.2018, 18:10 Uhr

Vor dem Berliner Landgericht war heute erneut der Kriminalbeamte als Zeuge geladen, der die polizeilichen Ermittlungen gegen Thomas Bellartz und Christoph H. geleitet hatte. (b / Foto: Külker)

Vor dem Berliner Landgericht war heute erneut der Kriminalbeamte als Zeuge geladen, der die polizeilichen Ermittlungen gegen Thomas Bellartz und Christoph H. geleitet hatte. (b / Foto: Külker)


Im Strafverfahren wegen mutmaßlichen „Datenklaus“ aus dem Bundesgesundheitsministerium war am heutigen Donnerstag erneut der Kriminalbeamte als Zeuge geladen, der die polizeilichen Ermittlungen gegen Thomas Bellartz und Christoph H. geleitet hatte. Er wurde unter anderem mit einigen seiner nachgereichten E-Mails konfrontiert – an einiges konnte er sich nicht oder kaum erinnern, anderes konnte er erklären. Für frischen Wind im Verhandlungssaal sorgte zudem die Urlaubsvertretung des Staatsanwaltes.

Der Apotheke-Adhoc-Herausgeber und frühere ABDA-Pressesprecher Thomas Bellartz sowie der Systemadministrator Christoph H. sind angeklagt, zwischen Anfang 2009 und Ende 2012 Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) ausgespäht zu haben. Am nunmehr 22. Verhandlungstag vor dem Berliner Landgericht war erneut der Kriminaloberkommissar als Zeuge geladen, der die Ermittlungen geleitet hatte. Bei seiner Befragung räumte er ein, dass seine bisherigen Aussagen vor Gericht, die Akten und seine Erinnerung nicht in allen Punkten übereinstimmen. Dies sei der Menge der Informationen sowie der seitdem vergangenen Zeit geschuldet. Die Ermittlungen hatten im Herbst 2012 begonnen, von Januar bis November 2013 war der Ermittler auch für die Aktenführung verantwortlich. Dabei war ihm gleich bei der Übernahme aufgefallen, dass diese Akte Defizite aufwies. Unter anderem gab es Doppelungen und unterschiedliche Nummerierungen bei den Asservaten.

Die Art und Weise der Aktenführung ist auch den Verteidigern der Angeklagten ein Dorn im Auge. Während der laufenden Hauptverhandlung tauchten neue Dokumente auf und der Kriminaloberkommissar reichte sodann mehr als 1000 E-Mails nach. Die Verteidiger hatten deshalb beantragt, das Verfahren auszusetzen und sogar einzustellen. Dies hat das Gericht jedoch abgelehnt.

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Heute erklärte der Polizist nun, auch durch die nachgereichten E-Mail-Ausdrucke habe er gemerkt, dass er nicht mehr alle Verfahrensdetails so gut in Erinnerung hatte, wie er dachte. Sowohl das Gericht als auch die Verteidiger hakten an verschiedenen Stellen noch einmal nach. So hatte der Zeuge beispielsweise in seiner früheren Vernehmung ausgesagt, die ABDA sei nicht Gegenstand seiner Ermittlungen gewesen. Das ist nicht falsch. Aber ermittelt wurde zeitweilig doch – wegen Untreueverdachts. Allerdings in einer anderen Abteilung des Landeskriminalamts (LKA). Und dieser Abteilung hatte der Zeuge durchaus Teile seiner eigenen Akte zur Verfügung gestellt, wie sich aus dem nachgereichten Mailverkehr ergab, und wie er heute einräumte – das habe er wohl „verdrängt“.

Zur Sprache kam auch der Verfassungsschutz – spielte er eine Rolle in dem Verfahren? Nein, erklärte der Polizist spontan. Hintergrund dieser Frage von
Bellartz´ Anwalt Carsten Wegner war, dass er einen Mailverkehr zwischen dem Polizeibeamten und der Phagro-Geschäftsführerin Bernadette Sickendiekebenfalls Zeugin in diesem Prozess – ausfindig gemacht hatte. In diesem ging es um einen Kontakt zum Verfassungsschutz. Das vorgehalten, erinnerte sich der Polizist: Ja, Frau Sickendiek habe eine allgemeine Anfrage zum Verfassungsschutz gestellt und er daraufhin einen Kontakt vermittelt. Dies habe aber nichts mit dem Verfahren zu tun gehabt.

Wie glaubwürdig ist die Hauptbelastungszeugin?

Ferner ging es darum, warum die Verurteilung von H.´s Ex-Frau Katja S. wegen uneidlicher Falschaussage vor einem anderen Gericht nicht in die Ermittlungsakte gelangte. Katja S. hatte bei einer Zeugenaussage verschwiegen, dass sie der Prostitution nachging. Ob er sich keine Gedanken gemacht habe, dass das für andere Verfahrensbeteiligte von Bedeutung sein könnte, fragte H.´s Anwalt Nikolai Venn. Immerhin ging es um die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin. Aus Sicht der Verteidigung hat sich der Polizist zu sehr damit befasst, wie die Zeugin aus diesem Verfahren wieder herauskomme. Der Kriminalbeamte räumte ein, dass dies sicher keine ureigene Ermittlertätigkeit sei.  Auch in den Sorgerechtsstreit zwischen S. und H. um den gemeinsamen Sohn war der Beamte aus Anwaltssicht zu sehr involviert. Hier hatte der Zeuge offenbar Informationen aus dem Strafverfahren an die Anwältin von Katja S. weitergegeben. Dies sei aber telefonisch und im Auftrag und in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft sowie seines Kommissariatsleiters geschehen, so der Zeuge.

Wegner bohrte zudem nochmals nach, ob bei seinem Mandanten jemals E-Mails sichergestellt werden konnten, die dem BMG zugeordnet werden konnten. Auch das musste der Zeuge verneinen. „Bei Herrn Bellartz wurde nichts gefunden“, erklärte er dazu. Tatsächlich beziehen sich die angeklagten 40 Taten auf Geldabhebungen und Einzahlungen bei den beiden Angeklagten an bestimmten Tagen.

Nichts gewusst hat der beim LKA als Spezialist für Cyber-Kriminalität tätige Polizist übrigens über die Speicherdauer von E-Mail-Backups beim LKA. Nach 35 Tagen werden diese überschrieben, hatte die für IT zuständige Stelle am LKA dem Gericht auf Nachfrage mitgeteilt. Und zwar erst so spät, dass am 17. April 2018 vom Zeugen selbst gelöschte Mails nicht mehr hergestellt werden konnten.  

Für frischen Schwung sorgte am heutigen Verhandlungstag ein zweiter Staatsanwalt, der den bisherigen Sitzungsvertreter über dessen Sommerpause vertreten soll. Er hob sich mit zahlreichen Einwürfen und Fragen stark von seinem Kollegen ab. Mit Vorwürfen der Aktenmanipulation kennt er sich zudem aus. Er hatte im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri gegen LKA-Beamte wegen des Verdachts auf Aktenmanipulation ermittelt. Das Verfahren wurde allerdings mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Der neue Staatsanwalt stellte im Übrigen auch klar, dass es kein Problem sei, dass die Strafnorm aus dem Bundesdatenschutzgesetz, wegen der Bellartz und H. angeklagt sind, nach der Novellierung des Gesetzes Ende Mai nicht mehr existiere. Nunmehr sei § 42 BDSG maßgeblich, der das gleiche Strafmaß vorsehe. Auch der Vorsitzende Richter betonte am Schluss der Verhandlung, dass die Anwendbarkeit der Norm nicht in Frage gestellt sei.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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