G-BA-Beschlüsse

Alendronat-Brause versus Tabletten: Wie ähnlich ist „Aut-idem“?

Berlin - 09.07.2018, 09:00 Uhr

Ist es für Osteoporose-Patienten ein Unterschied, ob sie die schleimhautreizende Alendronsäure als gepufferte Lösung oder als Tablette einnehmen? Darüber streiten sich Hersteller und G-BA. (s / Foto: Imago)

Ist es für Osteoporose-Patienten ein Unterschied, ob sie die schleimhautreizende Alendronsäure als gepufferte Lösung oder als Tablette einnehmen? Darüber streiten sich Hersteller und G-BA. (s / Foto: Imago)


Sind galenische Innovationen therapierelevant oder verzichtbar? Darüber sind Hersteller und Gemeinsamer Bundesausschuss oftmals unterschiedlicher Meinung. So meint das Selbstverwaltungsorgan etwa, dass gepufferte Alendronsäure-Brausetabletten durch „normale“ Tabletten austauschbar sind. Zum Nachteil von Osteoporose-Patienten, insbesondere mit Dysphagie, findet der Hersteller. Bis Mitte Juli hat nun das Bundesgesundheitsministerium Gelegenheit, diesen Beschluss zu beanstanden.

Dass eine saure Substanz den Magen stärker reizt als eine Lösung, die auf einen mittleren pH-Wert gepuffert ist, ist für jeden Pharmaziestudenten im ersten Semester einsichtig. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) findet jedoch, dass dieser Zusammenhang zu beweisen ist. Worum geht es in diesem chemisch-physikalischen Rätsel?

Konkret geht es um das Osteoporose-Arzneimittel Binosto® von Recordati Pharma, das Alendronat in Form von Brausetabletten mit einem Puffersystem enthält. Am 17. Mai dieses Jahres veröffentlichte der G-BA einen Beschluss, demzufolge die Brausetabletten austauschbar sind durch Tabletten beziehungsweise Filmtabletten, die ebenfalls dieses Bisphosphonat als Wirkstoff enthalten.

Antrag des GKV-Spitzenverbands

Der G-BA-Beschluss geht auf einen Antrag des GKV-Spitzenverbandes zurück. Nach Auskunft einer Sprecherin ist der Kassenverband der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Austauschbarkeit von Alendronat-Brausetabletten zu festen Darreichungsformen gegeben seien. Einen außergewöhnlichen Anlass für den Vorschlag des Kassenverbandes an den G-BA gab es offenbar nicht. Da der G-BA die Alendronat-Brause bereits in eine Festbetragsgruppe eingestuft hat, besteht aus wirtschaftlicher Sicht kein offenkundiger Handlungsbedarf. Durch den Beschluss wäre im Übrigen nur ein einziges Handelsprodukt betroffen.

G-BA findet pH-Studie irrelevant

Hersteller Recordati ist mit diesem Beschluss nicht einverstanden. So weist das Unternehmen in einer Stellungnahme darauf hin, dass zwischen der gepufferten Brauselösung und Alendronat-Tabletten therapiebedeutsame Unterschiede bestehen. So sei über Alendronat umfänglich bekannt, dass das Bisphosphonat die Speiseröhre und Magenschleimhaut bis zur Geschwürbildung schädige.

Zur Erklärung: Die schleimhautreizende Wirkung kommt durch die starke Azidität der Alendronsäure zustande. Patienten sollen nach der Einnahme mindestens 30 Minuten in aufrechter Position verbleiben, um Schädigungen durch einen möglichen Reflux zu verringern, heißt es in den Fachinformationen zu Alendronat-Arzneimitteln.

Eine gepufferte Lösung hat aus Sicht des Herstellers das Potenzial, die Reizwirkung der Alendronsäure zu mildern. Um dies zu untermauern, hatte Recordati eine vergleichende Telemetrie-Untersuchung mit zwölf Probanden durchgeführt. Den Ergebnissen zufolge stellt sich im Magen nach Einnahme des Referenzpräparats Fosamax®, das 70 Milligramm Alendronat in einer Tablette enthält, ein pH-Wert von unter 3 ein. Die gepufferte Lösung, die durch Auflösen einer Brausetablette Binosto® mit 70 Milligramm Wirkstoff entsteht, erzeugt im Magen 30 Minuten lang einen pH-Wert von 5. Und je tiefer der pH-Wert, desto größer die Reizwirkung.

Für den G-BA stellt diese Studie keinen Beweis dar, dass Binosto® besser verträglich sei als Fosamax®. Denn die Nebenwirkungen seien nicht direkt erfasst, bewertet das Selbstverwaltungsorgan die Stellungnahme des Herstellers. 

G-BA: Bei Dysphagie soll Arzt entscheiden

Ein weiterer therapierelevanter Vorteil besteht aus Herstellersicht für Patienten mit Dysphagie. Hier ist anzumerken, dass es sich bei Osteoporose um eine Alterserkrankung handelt. Und mit zunehmendem Alter nehmen Schluckbeschwerden zu. Auch eine Ösophagitis, wie sie beispielsweise durch Bisphosphonate begünstigt wird, kann zu Dysphagie führen.

Der G-BA erkenne zwar an, dass eine Lösung für Dysphagie-Patienten besser anzuwenden sei als Tabletten. Hier liege es jedoch in der Verantwortung des Arztes, das Aut-idem-Kreuz zu setzen. Dieses fehle in der Praxis häufig, argumentiert der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der an dem Stellungnahme-Verfahren beteiligt war. Insbesondere bei Verordnungen von Klinikärzten, die mit den Erstattungsregularien im ambulanten Bereich nicht vertraut seien, so der Herstellerverband. Auch der Apotheke lägen meist nicht die wesentlichen Informationen vor, um über einen Austausch zu entscheiden.

Weitere Differenzen zwischen den Parteien bestehen unter anderem darin, ob eine Hybridzulassung, wie sie bei Binosto® vorliegt, ein Kriterium für die Austauschbarkeit zu anderen wirkstoffgleichen Arzneimitteln darstellt. Der Beschluss liegt nun beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Die Frist, innerhalb der das BMG den Beschluss rechtlich beanstanden kann, endet Mitte Juli.

Aut-idem-Beschlüsse aus technologischer Sicht

Der aktuelle G-BA-Beschluss ist nicht der einzige, der aus galenischen Gründen auf Widerstand von Herstellerseite gestoßen ist. So beschloss der G-BA am 17. September 2015, dass Risperidon-Schmelztabletten mit Filmtabletten austauschbar seien. Zur Erklärung: Schmelztabletten können im Gegensatz zu anderen festen Darreichungsformen nach Schleimhautkontakt nicht ausgespuckt werden. In der Psychiatrie kann so die neuroleptische Medikation gewährleistet werden, wenn die Gabe unter Aufsicht erfolgt.

Auch bei den Inhalativa scheinen technologische Unterschiede für den G-BA keine Rolle zu spielen. Denn diese Darreichungsformen, deren Handhabung für viele Patienten gewöhnungsbedürftig ist, fallen unter die normale Aut-idem-Regelung. Die korrekte Anwendung ist jedoch eine notwendige Voraussetzung für den Therapieerfolg. Bei Dosieraerosolen etwa ist es für viele Patienten schwierig, gleichzeitig Einzuatmen und den Sprühknopf zu betätigen. Applikationssysteme wie beispielsweise EasiBreathe® oder Autohaler® lösen die Wirkstoffabgabe mit dem Einatmen automatisch aus und ersparen dem Anwender die komplexe Koordination. In der Lauertaxe sind diese Inhalationssystem jedoch als „normales“ Dosieraerosol gelistet und durch andere Dosieraerosole austauschbar.

Experten, Facharzt- und Patientenverbände kritisieren diese G-BA-Entscheidung. Die Deutsche Atemwegsliga und die Deutsche Patientenliga Atemwegserkrankung haben am 3. Februar eine Petition an den Bundestag gestartet, mit der sie die Aufnahme der Inhalativa in die Substitutionsausschussliste des G-BA fordern. Die Petition kann noch bis zum 17. Juli mitgezeichnet werden.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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