Erste Leitlinie zur Prä-Expositions-Prophylaxe

HIV-PrEP: Wer sollte sich schützen?

Stuttgart - 05.07.2018, 09:00 Uhr

Schwanger geworden unter einer HIV-PrEP? Sollen Tenofovir und Emtricitabin weiter eingenommen oder lieber abgesetzt werden? Die neue PrEP-Leitlinie gibt Empfehlungen. ( j /Foto: Imago)

Schwanger geworden unter einer HIV-PrEP? Sollen Tenofovir und Emtricitabin weiter eingenommen oder lieber abgesetzt werden? Die neue PrEP-Leitlinie gibt Empfehlungen. ( j /Foto: Imago)


Die Aids-Gesellschaften aus Deutschland und Österreich (DAIG) haben die erste Leitlinie zur HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) veröffentlicht. Wer sollte eine PrEP erhalten? Dürfen Schwangere eine Prä-Expositions-Prophylaxe fortführen – oder sollten sie dies sogar?

Vor einer HIV-Infektion kann man sich schützen. Da der hauptsächliche Übertragungsweg des Aids-Erregers in Deutschland der sexuelle Kontakt ist, kommen Barrieremethoden beim Geschlechtsverkehr (Kondome) oder verhaltensmodifizierenden Maßnahmen wie der Vermeidung risikobehafteter Sexualpraktiken oder der sexuellen Abstinenz ein wichtiger präventiver Stellenwert zu.

Daneben besteht in Deutschland seit knapp zwei Jahren die Möglichkeit, mittels präventiver medikamentöser Therapie das Risiko einer HIV-Infektion zu reduzieren. Zugelassene Arzneimittel für diese HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) sind die antiviralen Wirkstoffe Emtricitabin (FTC) und Tenofovirdisoproxil (TDF) in einer fixen Kombination. Wer sollte eine PrEP erhalten? Dürfen Schwangere eine Prä-Expositions-Prophylaxe fortführen – oder sollten sie dies sogar? Diese Fragen beantwortet die erste Leitlinie zur HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe, die die Aids-Gesellschaften aus Deutschland und Österreich (DAIG) gemeinsam erstellt haben.

Wer sollte eine HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe erhalten?

Die Leitlinien-Autoren sind sich einig, dass Menschen mit substanziellem HIV-Infektionsrisiko eine HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe erhalten sollen. In Studien konnte gezeigt werden, dass eine PrEP bei HIV-negativen Personen das relative Risiko einer Ansteckung um 86 Prozent reduziert, bei zuverlässiger Adhärenz sogar um 99 Prozent. Ein „substanzielles HIV-Infektionsrisiko“ sieht die neue PrEP-Leitlinie bei Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben und bei Transgender-Personen. Und zwar, wenn diese in den letzten drei bis sechs Monaten kondomlosen Analsex praktizierten beziehungsweise künftig haben werden oder wenn diese im letzten Jahr an sexuell übertragenen Krankheiten litten (STI, sexually transmitted infections). Zur Risikogruppe zählen außerdem serodiskordante Paare, bei denen ein Partner HIV-positiv ist und keine ART (antiretrovirale Therapie) einnimmt oder in der Anfangsphase der ART ist, sodass die Viruslast – gemessen an der HIV-RNA – kürzer als sechs Monate unter 200 RNA-Kopien/ml liegt.

Bei weiteren Risikogruppen – Prostituierten, injizierende Drogenkonsumenten und Inhaftierten – weicht die deutsch-österreichische Leitlinie von den PrEP-Empfehlungen der WHO ab. So erachten beide Länder eine allgemeine Empfehlung der PrEP für Prostituierte in Deutschland und Österreich für nicht erforderlich. Auch bei injizierenden Drogenkonsumenten sei die Effektivität einer PrEP hierzulande unklar, so die Studienautoren. Allerdings bestünden auch außerhalb der Hochrisikogruppen in „individuelle Konstellationen ein hohes Risiko einer HIV-Infektion“. So seien vor allem in der Anamnese bekannte sexuell übertragene Infektionen ein guter Indikator zur individuellen Risikoeinschätzung. Studien hätten jedoch auch einen Zusammenhang zwischen Nachfrage einer PrEP und einem tatsächlich erhöhten Risiko einer HIV-Ansteckung gezeigt, sodass die Studienautoren von einer „hohen Rate einer zutreffenden Selbsteinschätzung“ der Risikogruppen ausgehen. Folglich sollte „bei jedem/jeder, der/die aktiv nach einer PrEP fragt, eine sorgfältige Risikoevaluation durchgeführt werden und gegebenenfalls eine PrEP verschrieben werden.“

Ab wann schützt eine PrEP?

Mit welchen Wirkstoffen sollte die PrEP erfolgen? Hier fährt die Leitlinie einen klaren Kurs: Sie raten ausschließlich zur fixen Kombination aus Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil. Sowohl eine Monotherapie mit Tenofovirdisoproxil als auch topisch applizierte Antiviralia zeigten eine schlechtere Protektion vor einer HIV-Transmission.

Und ab wann schützt die PrEP? Genaue Daten hierzu fehlen bislang. Die Leitlinie rät, die Anwender darüber zu informieren, dass die Protektion verzögert einsetzt. Derzeit gehen die Experten von einer ausreichenden Schutzwirkung in der Kolorektalschleimhaut an Tag zwei nach Beginn der Einnahme aus, in der Vaginalschleimhaut am siebten Tag nach Einnahmestart.

PrEP auch in der Schwangerschaft

„Wenn während der PrEP eine Schwangerschaft auftritt, sollte die PrEP bei weiterbestehendem HIV-Infektionsrisiko unverändert fortgeführt werden, sofern nicht eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung dagegen spricht“, erklärt die Leitlinie. Zu dieser Einschätzung kommen die Experten aufgrund der Auswertung von Daten HIV-infizierter Schwangerer unter Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil im Rahmen einer materno-fetalen Transmissionsprophylaxe. Hier wurden bislang weder gehäufte Fehlbildungen noch Schwangerscahftskkomplikationen beobachtet. Somit ist eine PrEP, sofern ein Infektionsrisiko mit dem HI-Virus für die Schwangere fortbesteht, aus Expertensicht vertretbar, da eine akute HIV-Infektion der Schwangeren ein sehr hohes Übertragungsrisiko auf den Fötus bedeutet.

Macht die PrEP sexuell leichtsinnig?

Ganz unumstritten ist die HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe nicht. Eine jüngst veröffentlichte australische Studie an 17.000 homo- un bisexuellen Männern, die zwischen 2013 und 2017 Gelegenheitssex mit anderen Männern hatten, untersuchte deren Verhütungsverhalten. Zu Beginn der Studie gaben 46 Prozent der Teilnehmer an, konsequent Safer Sex zu betreiben. Nach vier Jahren waren es 15 Prozent weniger, die sich beim Verkehr schützten. Im Laufe des Beobachtungszeitraumes stieg der Anteil der PrEP-Verwender von 2 auf 24 Prozent. Parallel dazu stieg im Laufe der vier Jahre der Anteil der HIV-negativen Männer, die unter PrEP ungeschützten Analverkehr betrieben, um 15 Prozent an.

Positiv rückläufig war jedoch auch die Neuinfektionsrate bei HIV. Diese sank zwischen 2016 und 2017 in den australischen Städten Victoria um 16 Prozent und in New South Wales um 11 Prozent. Die Forscher führten diese erfreuliche Entwicklung darauf zurück, dass in Australien immer mehr Risikopersonen von der PrEP, die dort öffentlich unterstützt wird, Gebrauch machen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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