Neuer Referenzwert

BfR warnt vor Pyrrolizidinalkaloid-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln 

Stuttgart - 20.06.2018, 11:05 Uhr

Symbolbild: Immer wieder erliegen Verbaucher der Illusion, dass pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel „harmlos“ sind. (Foto: viperagp / stock.adobe.com)

Symbolbild: Immer wieder erliegen Verbaucher der Illusion, dass pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel „harmlos“ sind. (Foto: viperagp / stock.adobe.com)


Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juni 2017 ihre Bewertung zu 1,2-ungesättigten Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in Lebensmitteln aktualisiert und ergänzt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat jene nun geprüft und meldet, dass es bei seiner Empfehlung bleibt, die Aufnahme von PA so weit wie möglich zu minimieren. Neu ist ein Referenzwert und die Deutlichkeit, mit der das BfR von Nahrungsergänzungsmitteln auf Basis von PA-bildenden Pflanzen abrät.

Das BfR befasst sich immer wieder mit der Verunreinigung von Lebensmitteln durch PA (Pyrrolizidinalkaloide). Auf Basis von Berechnungen mit einem neuen Referenzwert, der von der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) im Juni 2017 neu abgeleitet wurde, stellte das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) nun fest, dass aus toxikologischer Sicht auch weiterhin eine hohe Priorität darin bestehen sollte, PA-Gehalte in Lebensmitteln zu verringern. Das teilte das BfR am 14. Juni 2018 in einer neuen Stellungnahme zu Pyrrolizidinalkaloiden (PA) mit. Darin rät das BfR zudem deutlich vom Konsum entsprechender Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ab: „In Anbetracht der erbgutverändernden und krebsauslösenden Eigenschaften von PA empfiehlt das BfR außerdem, Nahrungsergänzungsmittel auf Basis von PA-bildenden Pflanzen nicht zu verwenden.“

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Das BfR hatte bereits 2016 eine gesundheitliche Risikobewertung zu Gehalten an PA in verschiedenen Lebensmittelgruppen veröffentlicht. Damals wurden einzelne Lebensmittelgruppen betrachtet: Milch/Früchtetee, Honig, Kräutertees (inklusive Rooibos)/schwarzer Tee/grüner Tee, Gewürze/Kräuter, Mehle, Salatmischungen/Blattgemüse (Spinat) und Nahrungsergänzungsmittel (NEM). Zu den NEM hieß es schon damals: „60 Prozent der untersuchten NEM enthielten PA, jedoch waren die PA-Konzentrationen variabel. Die höchsten Konzentrationen wurden in botanischen NEM mit Pflanzenmaterial aus PA-Bildnern gefunden. Supplemente, die Öl-basierte Extrakte von PA-bildenden Pflanzen enthalten, waren frei von PAs. Die Aufnahme von PAs über Nahrungsergänzungsmittel kann bei Produkten mit hohen PA-Gehalten deutlich über der von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs liegen und bei kurzfristiger und längerer Einnahme erheblich zum Risiko beitragen.“ Den NEM-Produzenten wurde damals empfohlen, ihre Produkte auf PA-Gehalte zu untersuchen und die Verbraucher entsprechend zu informieren. 

Der MOE-Wert

Der Margin of Exposure-Ansatz (MOE) wird in einem von der EFSA erarbeiteten Gutachten als harmonisierter Ansatz für die Risikobewertung von Substanzen in Lebensmitteln mit genotoxischen und kanzerogenen Eigenschaften empfohlen. Der MOE-Wert ist der Quotient aus der kleinsten Dosis – bei der eine geringfügige, aber messbare nachteilige Wirkung beobachtet wird – und Schätzungen zur Höhe der Exposition (unter Berücksichtigung unterschiedlicher Verzehrmuster).

Die „kleinste Dosis“ leitet sich in der Regel aus chronischen Tierstudien ab. Empfohlen wird dabei die Verwendung einer Benchmark-Dosis (BMD), konkret die untere Vertrauensgrenze der Benchmark-Dosis von 10% (BMDL10).

Wird ein MOE-Wert so berechnet und ergibt er mindestens 10.000, gilt er als wenig bedenklich

Der neue Referenzwert

2016 wurde als Grundlage für die MOE-Abschätzung der aus einer Ratten-Studie abgeleitete BMDL10 (Benchmark Dose Lower Confidence Limit, 10 Prozent) von 73 µg/kg Körpergewicht/Tag herangezogen. Somit wurden tägliche Dosen von 0,007 µg PA/kg Körpergewicht hinsichtlich möglicher Krebsrisiken als wenig bedenklich angesehen. Seit 2017 verwendet die EFSA einen neuen BMDL10, den das BfR nun übernimmt, woraus sich auch neue MOE-Werte errechnen:

Durch die EFSA wurde ein BMDL10-Wert von 237 µg/kg Körpergewicht und Tag abgeleitet. Er wurde auf Grundlage einer erneuten Analyse der Dosis-Wirkungs-Zusammenhänge hinsichtlich des Auftretens von Hämangiosarkomen der Leber aus den bereits früher herangezogenen chronischen Tierstudien mit Lasiocarpin und Riddelliin (1,2-ungesättigte Pyrrolizidinalkaloide) an Ratten abgeleitet.

Grund für die Neubewertung sind neue Empfehlungen zur BMD-Modellierung, die im Frühjahr 2017 von der EFSA veröffentlicht wurden. Das BfR betrachtet die aktuellen Empfehlungen der EFSA zum Thema BMD-Modellierung als Stand der Wissenschaft und folgt daher dem Vorgehen. Konkret habe die Modellierung der Tumordaten zu Ergebnissen geführt, die aus statistischer und toxikologischer Sicht darauf hindeuten, dass die Daten der Studie mit Riddelliin für die Ableitung eines BMDL10-Werts geeigneter sind als die der Studie mit Lasiocarpin.

Höhere MOE-Werte aber keine Entwarnung

Die MOE-Werte auf Basis des neuen Referenzwerts sind etwa dreifach höher als in der BfR-Stellungnahme von 2016. Über den Verzehr bestimmter Lebensmittelgruppen könne aber dennoch weiterhin eine Exposition erreicht werden, aus der MOE-Werte deutlich unterhalb von 10.000 resultieren. Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Verzehr PA-haltiger Lebensmittel seien also auch nach den neuen Berechnungen möglich. Generell gilt deshalb die Empfehlung, die Exposition so weit zu minimieren, wie „vernünftigerweise“ erreichbar (ALARA-Prinzip: as low as reasonably achievable). Denn selbst geringe Aufnahmemengen, könnten bei regelmäßigem Verzehr, mit einer Erhöhung gesundheitlicher Risiken verbunden sein. Für die Bewertungen gesundheitlicher Risiken durch 1,2-ungesättigte PA wird hinsichtlich der kanzerogenen Effekte weiterhin von einer Äquipotenz ausgegangen. 

16 Prozent der NEM überschreiten theoretische Höchstmenge

Für NEM wurde zusätzlich berechnet, wie sich eine etwaig zulässige Höchstmenge von 1000 µg/kg PA auswirken würde: 16 Prozent (30 von 191) der vorliegenden NEM-Proben würden diesen vorgeschlagenen Höchstgehalt überschreiten. „Die dem Bundesinstitut für Risikobewertung zur Verfügung stehenden Daten zeigen, dass Nahrungsergänzungsmittel, die PA-bildende Pflanzen oder Pflanzenteile enthalten, erheblich zur Aufnahme von Pyrrolizidinalkaloiden beitragen“, sagt Professor Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des BfR in einer Pressemitteilung. „In einigen Nahrungsergänzungsmitteln ist der Gehalt sogar so hoch, dass bereits nach kurzfristigem Verzehr toxische Wirkungen möglich sind.“

Der Pressemitteilung zufolge wurde der maximal gemessene Wert in einer Kapsel eines NEM festgestellt, das Wasserdost (Eupatorium cannabinum) als Inhaltsstoff enthielt. Wasserdost ist eine PA-bildende Pflanze, zu denen auch Huflattich, Beinwell, Borretsch, Lungenkraut, Steinsamen und Pestwurz gehören. Johanniskraut-haltige Präparate sollen ebenfalls in fast jeder untersuchten Probe mit PA belastet gewesen sein. Johanniskraut ist aber nicht als PA-bildende Pflanze bekannt. Vermutlich stammen die PA aus einer Verunreinigung mit anderen Wildkräutern.

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Arzneimittel sind deutlich stärker reguliert als NEM: Schon 1992 wurden in Deutschland im Rahmen eines Stufenplanverfahrens nicht zu überschreitende Höchstmengen für PA mit einem 1,2-ungesättigten Necingerüst sowie deren N-Oxide festgelegt, die nach wie vor für die im Stufenplanbescheid genannten, genuin PA-haltigen Arzneipflanzen gültig sind (DAZ 31/2017).

Pflanzliche Ausgangsstoffe für Arzneimittel müssen also hinsichtlich der PA-Belastung geprüft werden, was auch in einer Vorgabe des BfArM im Jahr 2016 formuliert wurde, und zwar auch für Pflanzen, die selbst keine PA enthalten, aber damit kontaminiert werden können. Die Hersteller müssen seitdem mit Chargenanalysen die tatsächliche und aktuelle PA-Belastung prüfen und dokumentieren. Die Bewertung der Prüfergebnisse führt zu einer Einstufung in eine von drei Kategorien.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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