Anhörung im Umweltausschuss

Umweltbewertung von Arzneimitteln im Bundestag

Berlin - 14.06.2018, 13:15 Uhr

Wie lange behält ein Reserveantibiotikum noch seinen Status? Der Wettlauf zwischen rascher Resistenzbildung und der Forschung zu neuen Substanzen beschäftigte Sachverständige und Politiker bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages. (Foto: Imago)

Wie lange behält ein Reserveantibiotikum noch seinen Status? Der Wettlauf zwischen rascher Resistenzbildung und der Forschung zu neuen Substanzen beschäftigte Sachverständige und Politiker bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages. (Foto: Imago)


Lange bekannt und immer noch ungelöst – die Bedrohung durch multiresistente Keime. Die Grünen-Bundestagsfraktion fordert in einem Antrag neue Regeln zum umweltschonenden Umgang mit Antibiotika. Bei der Expertenanhörung zu der Grünen-Initiative im Bundestag ging es am gestrigen Mittwoch unter anderem darum, ob sich Arzneimittel künftig einer Umweltprüfung unterziehen sollten.

Dass ein unsachgemäßer Antibiotikaeinsatz zu Resistenzen führt, ist bekannt. Wie sich der Eintrag von Antibiotika in die Umwelt wirksam reduzieren lässt, darüber besteht noch Gesprächs- und Forschungsbedarf. Dies zeigte sich bei der Expertenanhörung am vergangenen Mittwoch im Bundesausschuss für Umwelt, bei der es um den Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion „Unser Wasser vor multiresistenten Keimen schützen“ ging.

Der Auslöser für die Grünen-Initiative, bei der die Bundestagsabgeordnete Dr. Bettina Hoffmann federführend ist, waren die Recherchen des NDR vom Februar, die multiresistente Keime in 12 Gewässerstandorten Niedersachsens zutage förderten.

Grüne fordern umweltgerechten Umgang mit Antibiotika

In ihrem Antrag fordern die Grünen unter anderem, dass der Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft reduziert und auf Reserveantibiotika in der Tierhaltung komplett verzichtet werde. Im Zulassungsverfahren von neuen Arzneimitteln solle es künftig auch darum gehen, ob das Medikament umweltverträglich ist. Diese Maßnahme solle die Entwicklung biologisch abbaubarer Arzneimittel vorantreiben.

Außerdem wollen die Grünen vermeiden, dass die Gewässer durch Altmedikamente belastet werden. Dazu sollen Ärzte beitragen, indem sie therapiegerechte Mengen verschreiben und Hersteller, indem sie auf der Verpackung über sachgerechte Entsorgung informieren. Krankenhäuser sollten zu der Medikamentenentsorgung genaue Vorschriften entwickeln.

Forschung läuft der Resistenzbildung hinterher   

Zu der Anhörung waren acht Sachverständige zugegen, die von den Berichterstattern des Umweltausschusses Astrid Damerow (CDU), Michael Thews (SPD), Dr. Lukas Köhler (FDP), Ralph Lenkert (Linke) sowie der Antragstellerin Hoffmann befragt wurden. Neben zahlreichen technischen Fragestellungen über Kläranlagen und Badegewässer ging es auch um den umweltgerechten Einsatz von Antibiotika.

Professor Martin Exner vom Universitätsklinikum Bonn fand es bedenklich, dass es den NDR-Recherchen zufolge auch Resistenzen gegen das Reserveantibiotikum Colistin gebe. Es bestehe ohnehin ein zeitkritischer Wettbewerb zwischen der Resistenzentwicklung der Bakterien und der Forschung an neuen Substanzen. Besonders gegen Carbapenem-resistente, gramnegative Keime stünden nur noch wenige Optionen zur Verfügung.  

Auf Nachfrage von Damerow erklärte Exner, dass Mediziner auf Reserveantibiotika nicht verzichten könnten. Deren rationaler Einsatz sei die einzige Handlungsoption im Kampf gegen die Resistenzen.

Was den Einsatz in der Tierhaltung betrifft, war die Position der Umweltexpertin Rheinhild Benning deutlich: Reserveantibiotika wie Colistin haben in der Landwirtschaft nichts verloren, erklärte Benning auf Nachfrage von Hoffmann. Hier gebe es ein großes „Einsparpotenzial“, um die Umwelt zu entlasten.

Bakterienfressende Viren statt Antibiotika?

Wildberg stellte in den Raum, ob der Wettlauf zwischen Substanzforschung und Resistenzentwicklung durch eine neue Strategie zu gewinnen sei, nämlich mit Bakteriophagen. Zur Erklärung: Bakteriophagen sind im Labor gezüchtete Viren, die gezielt Bakterien angreifen können. In vereinzelten Gebieten Osteuropas sind bereits Bakteriophagen aus der Apotheke im Einsatz. Für den Hygieneexperten Exner stellen die kampflustigen Viren allerdings nur eine theoretische Option dar, weil diese in Deutschland nicht zugelassen sind.

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Umweltprüfung für neue und etablierte Arzneimittel

Dr. Wolfgang Straff vom Umweltbundesamt schlug vor, bei der Problembetrachtung einen Schritt zurückzutreten und bei der Hygiene zu beginnen. Denn mangelhafte Hygiene verursacht Infektionen, gegen die wiederum Antibiotika eingesetzt werden, so der Umweltexperte. Ein Mehrverbrauch an Antibiotika löse jedoch nicht das Hygieneproblem.

Außerdem befürwortete der Umweltexperte auf Nachfrage von Thews die Forderung der Grünen, dass es eine Umweltprüfung für Arzneimittel geben solle. Aus Sicht von Straff sollte die Umweltbewertung allerdings nicht nur bei der Zulassung neuer Arzneimittel, sondern auch im Bestandsmarkt eingeführt werden. Nach welchen Kriterien diese Umweltprüfung von Arzneimitteln erfolgen soll, wurde nicht diskutiert. Damerow hinterfragte, ob ein bioabbaubares Antibiotikum möglicherweise weniger bakterizid wirksam sei als ein chemisch stabiles. Diese Frage konnte nicht beantwortet werden.

Verbreitungswege der Antibiotika weiter untersuchen

Die Mehrzahl der Experten wies am vergangenen Mittwoch darauf hin, dass es noch große Wissenslücken auf dem Gebiet der Antibiotikaresistenzen gebe. Zwar laufen derzeit Forschungsprojekte wie etwa das Hyreka-Projekt, das die Verbreitungswege von Antibiotika näher untersucht. Doch längst sind nicht alle Quellen der Antibiotika-Belastung identifiziert. Und die Forschung über die Weitergabe von Resistenzgenen sei noch am Anfang.

Andererseits ist die Resistenzthematik nicht neu. Die Grünen sind daher der Ansicht, dass nicht weitere 10 bis 15 Jahre gewartet werden soll,  auch wenn noch nicht alle Informationen  vorliegen. Bei der heutigen Anhörung wurde noch nicht über den Antrag abgestimmt, der Umweltausschuss wird diesen auf Basis der Expertenanhörung noch beraten.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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