Halle/Sachsen-Anhalt

Wie ein Pfarrer den ersten weltweiten Arznei-Versandhandel gründete

Berlin - 20.06.2018, 12:20 Uhr

Reiseapotheke (um 1740) in der Jahresausstellung (Foto: Jörg Gläscher)

Reiseapotheke (um 1740) in der Jahresausstellung (Foto: Jörg Gläscher)


Verkaufsschlager „Essentia Dulcis“ und Medikamentensets

Essentia Dulcis Standgefäß (Foto: Waisenhausapotheke)

Seit 1702 gab es dann die sogenannte Medikamentenexpedition, die, unabhängig von der Apotheke, den Vertrieb übernahm. Zu ihren bekanntesten Kunden zählte der russische Zar Peter I. Zum Verkaufsschlager, nicht nur im im Zarenreich, geriet die sogenannte „Essentia Dulcis“. Entwickelt von Waisenhausarzt Christian Friedrich Richter – damals noch stilecht im Geheimlabor – handelte es sich um eine Tinktur aus Kampfer und zerkleinertem Gold „zum Nutz vieler 1000 Krancken“. Analog zur Sonne als Zentralgestirn wurde ihr eine besondere Wirkung auf das Herz – dem Zentrum des menschlichen Organismus – zugeschrieben. Anknüpfend an die alchemistische Überzeugung, Unreines in Edles zu verwandeln, sollte der Mensch durch die Einnahme außerdem zu einen neuen, reineren Sein finden und – pietistisch gesprochen – wiedergeboren werden.

Durch die Missionstätigkeit des Waisenhauses gelangten die Halleschen Arzneien sogar bis nach Nordamerika. Insbesondere Siedler wurden zu Hauptabnehmern, denn: Die Export-Medikamente wurden größtenteils in Sets vertrieben, denen eine Anleitung zur Selbstmedikation beilag. Gerade in Regionen, wo kein Arzt verfügbar war, konnten sich medizinische Laien somit weitgehend selbst behandeln.

In Indien wiederum, wo ebenfalls Missionare des Waisenhauses tätig waren, gab es kostenlose Abgaben nach dem Vorbild der Sprechstunde in Halle. Der Gewinn aus Export und Apotheke war trotz barmherziger Armenfürsorge stets groß genug, um die Franckeschen Anstalten in weiten Teilen zu finanzieren. Abnehmer vertrauten dem guten Image der pietistischen Mutterinstitution sowie der stets behaupteten herausragenden Qualität der Pharmazeutika.

Medikamenten-Expedition: Aktuelle Ausstellung in Halle

Die aktuelle Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen in Halle mit dem Titel „Durch die Welt im Auftrag des Herrn. Reisen von Pietisten im 18. Jahrhundert“ wirft einen umfassenden Blick auf den Franckeschen Arzneimittelversandhandel. „Mit der Medikamenten-Expedition hat Francke nicht nur seine Idee der Bildung für alle finanziell absichern können, er gründete hier vielmehr den ersten internationalen Apothekenversandhandel in Deutschland“ ist der Ausstellungskurator und Kustos des Waisenhauses, Dr. Claus Veltmann überzeugt. 

Die Waisenhaus-Apotheke selbst existiert noch heute, wird allerdings inzwischen privat betrieben und konzentriert sich ganz auf den stationären Handel vor Ort. (Foto: Waisenhaus-Apotheke)


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