DAZ.online-Themenwoche Digitalisierung

Die Apotheke als digital vernetzte Erlebniswelt

Stuttgart - 06.06.2018, 07:00 Uhr

Karneval in der Burg Apotheke: Bei „Nase zu“ rieseln Konfetti
und Luftschlangen. Bei „Schmerzen“ hält sich der Clown den Kater-Kopf. (Alle Fotos: Böttrich)

Karneval in der Burg Apotheke: Bei „Nase zu“ rieseln Konfetti und Luftschlangen. Bei „Schmerzen“ hält sich der Clown den Kater-Kopf. (Alle Fotos: Böttrich)


Die zwölf großen Monitore hinter den HV-Tischen der Burg-Apotheke sind ein Hingucker. Die Apotheke präsentiert hier die Top-Seller des OTC-Sortiments „digital“. Auf virtuellen Sichtwahlregalen fallen im Herbst die Blätter, im Winter schneit es und zur Fußball-WM wird „Fußball“ thematisiert. Für Apotheker Gunther Böttrich hat sich der Einsatz der Technik auch finanziell gelohnt. Und sein Team und seine Kunden erleben „Apotheke“ neu. 

Die Sichtwahl in Apotheken, also die Regale mit Arzneimittelpackungen hinter dem HV-Tisch, die der Kunde nur sehen, aus denen er sich aber nicht selbst bedienen kann, ist ein äußerst wichtiges ökonomisches Element der Apothekenoffizin. Die Sichtwahl präsentiert dem Kunden einen Ausschnitt aus dem Sortiment der apothekenpflichtigen Arzneimittel, erinnert den Kunden an seine Einkaufswünsche und erleichtert die Kommunikation zwischen Kunden und Apothekenpersonal, wenn es um die Auswahl geeigneter Präparate geht. In der Sichtwahl kann das Team seine Beratungskompetenz ausspielen und die Sichtwahl trägt nicht unerheblich zum Ertrag einer Apotheke bei. 

Ein stimmungsvolles Strand-und-Meer-Foto auf den Monitoren schafft Emotionen.

Das sieht auch Apotheker Gunther Böttrich von der Burg-Apotheke in Volkmarsen so. Allerdings weiß er, dass eine Sichtwahl, die aus den üblichen Regalen besteht, die ständig mit Produkten bestückt, aufgefüllt, umgeräumt und gepflegt werden müssen, eine Menge an Zeit und Arbeitskraft des Personals verschlingt. Eine Sichtwahl besteht aus Produkten, die sich schnell drehen, die dementsprechend häufig nachgeräumt werden müssen, das frisst Erträge. Eine Sichtwahl komplett ohne reale Waren, eine virtuelle Sichtwahl war Böttrichs logische Schlussfolgerung auf seine Überlegungen. Die Erfindung der virtuellen Sichtwahl war daher für ihn ein Meilenstein.

Digitalisierung gefällt und unterstützt

Seit Dezember 2012 arbeiten er und sein Team mit zwölf großen 55-Zoll-Monitoren hinter den HV-Tischen. Kunden sind begeistert von der übersichtlichen und immer aufgeräumten Präsentation bekannter OTC-Marken auf hell leuchtenden Monitoren. Mitarbeiter freuen sich über mehr Kunden- und weniger Lager-„Arbeit“, - selbst das Staubwischen entfällt.

Böttrichs umgesetzte Vision: „Mit der virtuellen Sichtwahl arbeiten wir kundenorientiert und nicht mehr packungsorientiert. Dadurch sinken Prozesskosten und Lagerkosten und schlussendlich profitieren auch die Abverkaufszahlen davon.“ 

Virtuelle Sichtwahl und Lagerautomat – das Dream-Team

„Virtuelle Sichtwahl und Lagerautomat sind Effizienz-Tools, die richtig „Spaß machen“, wenn man damit in Verbindung mit einer pfiffigen Warenwirtschaft gänzlich neue Prozessarchitekturen organisiert. Wir haben den Begriff „Sichtwahl“ komplett neu gedacht und uns von alten Denkweisen verabschiedet. Dieser neue Ansatz generiert Synergien, schöpft die Möglichkeiten beider Techniken voll aus und ermöglicht kürzeste Amortisationszeiten“, so Böttrich.

Per Touch können der Apotheker und seine Mitarbeiter Artikel aus dem Lagerautomaten auslagern und die Artikel zeitgleich in die Kasse übertragen. Parallel dienen angezeigte Zusatzempfehlungen dem Team als Beratungsleitfaden und lösen bei Kunden Spontankäufe aus.

Viel mehr zeigen als nur Regale mit Packungen

Die Monitore können neben Sichtwahlregalen auch ganz andere Inhalte „transportieren“, - zum Beispiel Informationen und Emotionen. Auf den Bildschirmen lassen sich beispielsweise auch der eigene Flyer oder Dienstleistungen darstellen. Es können einzelne Präparate beworben werden, auch animierte Darstellungen sind möglich: Packungen, die sich bewegen und Regalanzeigen, die spontan wechseln. Darüber hinaus lassen sich auf den Monitoren Inhalte von Kundenzeitschriften zeigen, Tipps für Zusatzverkäufe und Beratungstipps virtuell unterstützen. Alle Inhalte können passend zur jeweiligen Beratungssituation über die vorhandenen Kassen aufgerufen werden – ohne sich vom Kunden wegzudrehen, oder per Touch auf den großen Sichtwahlmonitoren. „Durch Visualisierung unterstützt die Technik unsere pharmazeutische Beratung und den Verkauf“, so der Burg-Apotheker.  

Es schneit in der Apotheke

„Per Mausklick regnet oder schneit es in unserer Sichtwahl. Im Herbst fallen Blätter. Luftballons oder Angebotszeichen schweben über die Monitore und zu Karneval rieseln Konfetti und Luftschlangen. Diese Technik erzeugt Aufmerksamkeit und Emotionen“, freut sich Böttrich. Weitere Vorteile der virtuellen Sichtwahl: Die Bestückung der Regale und das Ändern der Sichtwahl lässt sich bequem vom PC von „überall“ mit Internetanschluss vornehmen. 

Auch „ohne

Auch für Apotheken, die ohne Kommissionierautomat arbeiten, sieht Böttrich Vorteile, wenn sie eine virtuelle Sichtwahl installieren. Während man für den Kunden die Arzneimittel aus den Schubladenschränken holt, lassen sich auf den großen Monitoren oder auf Diskret-Monitoren im HV-Tisch passende Gesundheitstipps und Zusatzempfehlungen einblenden, so dass sich die Wartezeit des Kunden sinnvoll überbrücken lässt. 

Erlebniswelt Offizin – ganzheitlich digital

Aber nicht nur für die Sichtwahl bietet sich eine Darstellung auf Monitoren an. Auch die Attraktivität des Freiwahlsortiments lässt sich durch die virtuelle Darstellung steigern und effizient gestalten, so Böttrich: „Freiwahl-Monitore in Ergänzung zu klassischen Regalen machen den ‚lokalen Shop‘ Apotheke zur Erlebniswelt, in der die Ware sofort verfügbar ist. Hier wird sich noch viel entwickeln.“

Böttrich: „Die Zeiten, als im Schaufenster der Osterhase noch im Sommer vor verblichenen Papp-Aufstellern steht, sind vorbei. Im ‚Digitalen Schaufenster‘ kann der Hase zukünftig sogar hoppeln. Per Mausklick oder automatisiert wechseln die Themen. Aufwendiges Dekorieren entfällt und die Apotheke sendet lichtstarke Signale, die auffallen, nach draußen.“

Ostern in der Burg Apotheke: Ein Ostergruß mit Blumendeko und ein Hase, ohne Produkte, nur Kommunikation!

Für Böttrich ist in Zeiten von Facebook, Amazon und Google die Inszenierung der Apotheke wichtig und die Fokussierung auf persönliche Kundenkontakte. „In Verbindung mit Social-Media, App und Homepage unterstützen digitale Präsentationsflächen die lokale Apotheke. Hauptdarsteller auf der digitalen Bühne ist dabei das Apothekenteam mit pharmazeutischer Kompetenz und persönlicher Beratung – und natürlich die bekannten Marken. Das Drehbuch schreibt die Apotheke selbst.“ 

Informationen und Emotionen

Die Entscheidung des Apothekers für die virtuelle Sichtwahl fällt auch sechs Jahre nach der Installation nur positiv aus. Böttrich fasst es so zusammen: „Die Apotheke der Zukunft ist eine digital vernetzte Erlebniswelt, die die heilberufliche Kompetenz klar herausstellt. Arbeitsabläufe werden ganzheitlich betrachtet und als effiziente Prozesskette organisiert. Konkret bedeutet dies: Trivialarbeiten wie das Bewegen von Packungen laufen vollautomatisiert ab. Die immer knapper werdende Ressource Personal arbeitet vorwiegend im Frontoffice beim Kunden. Virtuelle Präsentationskonzepte auf Großbildmonitoren an mehreren ‚Touchpoints‘ der Apotheke sind multifunktional und liefern immer die passende Botschaft: Unterstützung der Beratung durch Visualisierung am POS, Informationen zu Dienstleistungen, zu den Mitarbeitern oder zu Angeboten der Apotheke. Die Monitore präsentieren beliebig viele Indikationsgebiete auf Abruf, ohne dass man Produkte nachräumen, umräumen und umfassend vorrätig halten muss. Abstauben und ‚Türmchen bauen‘ war gestern.“ 

DAZ.online-Themenwoche

Digitalisierung

Das Fazit aus der virtuellen Sichtwahl der Burg-Apotheke: Eine zukunftsorientierte Digitaltechnologie bietet den Apotheken die Chance, Sichtwahl, Freiwahl und Schaufenster neu zu erleben. Und selbst Emotionen und Empathie kommen bei aller Digitalisierung nicht zu kurz: Auf den Monitoren lassen sich zur Abwechslung statt den Produkten zwischendurch oder nach Betriebsschluss übergroße Stimmungsfotos einblenden, im Sommer dann Fußball!



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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2 Kommentare

Men Motto: die Mischung macht´s

von Christiane Patzelt am 06.06.2018 um 10:40 Uhr

Ich habe 14 Regale Sichtwahl á 5 Böden einst besessen, davon sind 6 Regale umgewandelt worden mit der digitalen Darstellung - die ich je nach Lust und Laune auch selber gestalten kann. Ich muß also keine konfektionierte Werbung nehmen und das war für mich der ausschlaggebende Faktor. Die 8 verbliebenen Regale mit Ware zu bestücken, ist jetzt nicht mehr ganz so kostenintensiv. Und die Senioren freuen sich über eine "vergrößerte" Darstellung der Packungsbilder auf den Bildschirmen. Für mich ein absoluter Zugewinn, die Freiwahl wird in naher Zukunft ähnlich "gemixt".

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digital vernetzte Erlebniswelt

von Martin Heineke am 06.06.2018 um 10:22 Uhr

Die technischen Möglichkeiten der digitalen Welt sind schon enorm. Aber eine Apotheke ist zur Zeit immer noch eine Apotheke. Warum soll ich Menschen auch hier noch Bilder in den Kopf geben und sie mit damit zuschütten? Will der Patient, der gerade seine Krebsdiagnose erhalten hat, einen lustigen Clown sehen.?
Will man, wenn draußen die Blätter fallen, das auch noch drinnen sehen?
Man kann natürlich geteilter Meinung sein über so eine Bilderwand in der Apotheke, ich bin nicht grundsätzlich dagegen, wenn sie z.B.die Sichtwahl ersetzt. Aber Bilderwände erzeugen auch Bildermüll, den man nicht gebrauchen kann.

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