Rechtsgutachten

Verfassungsrechtler sehen Reformbedarf beim G-BA

Berlin - 05.06.2018, 17:00 Uhr

Der Sitz des Gemeinsamen Bundesausschusses in Berlin. (Foto: G-BA)

Der Sitz des Gemeinsamen Bundesausschusses in Berlin. (Foto: G-BA)


Der Gemeinsame Bundesausschuss trifft weitreichende Beschlüsse. Aber ist er hierfür auch ausreichend legitimiert? Das Bundesgesundheitsministerium beauftragte drei Rechtsprofessoren, sich mit dieser Frage zu auseinanderzusetzen. Seit Dezember 2017 liegen die Gutachten vor. Auf Nachhaken des FDP-Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann sind sie jetzt auch veröffentlicht. Die Juristen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sehen aber alle Nachbesserungsbedarf.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat weitreichende Befugnisse in unserem Gesundheitssystem. Als Entscheidungsgremium mit Richtlinienkompetenz konkretisiert er innerhalb des vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmens den Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung. Beispielsweise bestimmt er, welche OTC-Arzneimittel ausnahmsweise verordnungsfähig sind, und trifft Beschlüsse zur Frühen Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln. Immer wieder steht das mächtige Selbstverwaltungsgremium aber in der Kritik. Nicht zuletzt gibt es Zweifel an der demokratischen Legitimation des G-BA und der Verfassungsmäßigkeit seiner Rechtsetzung durch seine Richtlinien. Während das Bundessozialgericht diese Bedenken nicht teilt, hatte das Bundesverfassungsgericht bislang keine Gelegenheit, sich tiefergehend mit der Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation zu befassen. Der Erste Senat konstatierte zwar in einem Fall, in dem es um Mindestmengen in Kliniken ging, dass es „gewichtige Zweifel an der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses als Institution“ gebe. Doch solche Hinweise fand man stets nur am Rande der Beschlüsse. Die Überlegungen waren am Ende nicht entscheidungserheblich, weil die Verfassungsbeschwerden schon aus anderen Gründen scheiterten.

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Doch diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sorgte dafür, dass sich das Bundesgesundheitsministeriums (BMG) veranlasst sah, die verschiedenen gesetzlichen Grundlagen zu den zahlreichen Regelungsaufträgen des G-BA umfassend juristisch zu analysieren zu lassen. Und so gab das Ministerium zu diesem Thema gleich drei Rechtsgutachten in Auftrag. Wann diese fertig sein sollten, ließ es offen.

FDP hakt nach

Dieses Jahr im März erkundigte sich dann die FDP-Bundestagsfraktion in einer Kleinen Anfrage bei der Bundesregierung, wie es um die Gutachten bestellt ist. Das BMG erklärte im April in seiner Antwort, dass ihm diese seit Dezember 2017 vorliegen. Es habe sie noch nicht veröffentlicht, weil es der Bundesregierung obliege, die in den Gutachten behandelten Fragen zu prüfen und weiterführende Entscheidungen zu treffen. „Durch eine Veröffentlichung der Gutachten sollte dem nicht vorgegriffen werden“, so das BMG. Die Frage, zu welchen Ergebnissen die Gutachten kamen, beantwortete es ebenfalls knapp: Sie spiegelten „die Bandbreite der in der Rechtswissenschaft vertretenen Positionen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA wider“. Die Gutachter beleuchteten die verfassungsrechtliche Legitimation aus unterschiedlichen Perspektiven und seien zu verschiedenen Ergebnissen gekommen.

Doch diese Antwort reichte dem FDP-Politiker Andrew Ullmann nicht – er wollte die Gutachten in Gänze und stellte daher einen entsprechenden Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Nun hat das BMG die Gutachten tatsächlich veröffentlicht. Alle drei Gutachter sehen einen gewissen Reformbedarf – allerdings alle einen etwas anderen.


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Kingreen: Minimalinvasive Reform

So kommt Professor Thorsten Kingreen (Universität Regensburg) zu dem Ergebnis, dass der G-BA für den Erlass allgemeinverbindlicher Richtlinien, die sogenannte Außenseiter mit einer gewissen Intensität betreffen, keine verfassungsrechtlich hinreichende personell-organisatorische Legitimation besitzt. Als „Außenseiter“ versteht er dabei Versicherte und nicht im G-BA repräsentierte Leistungserbringer, das können zum Beispiel Arzneimittelhersteller oder Apotheker sein. Eine „Dritte Bank“ zu schaffen, die etwa mit Versicherten und Patienten besetzt ist, lehnt Kingreen  jedoch ab. Stattdessen schlägt er eine „minimalinvasive Reform“ vor, die die Selbstverwaltung stärken soll, ohne ihre bewährten Strukturen und Entscheidungsverfahren zu schwächen: Nämlich die Möglichkeit einer ministeriellen Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Richtlinien des G-BA. Das heißt, dass der G-BA wie bisher Richtlinien beschließt, diese aber keine Außenwirkung haben, sondern nur die Trägerorganisationen – KBV, KZBV, DKG und GKV-Spitzenverband – binden. Dann kommt das BMG ins Spiel: Im Fall, dass die Richtlinien Rechtspositionen besagter „Außenseiter“ betreffen, soll es im Rahmen der Fachaufsicht eine Zweckmäßigkeitsprüfung vornehmen (im Übrigen bleibt es bei der Rechtsaufsicht). Danach erklärt das Ministerium sie für allgemeinverbindlich.  

Ullmann: Vorschläge prüfen, über Einbindung weiterer Akteure nachdenken

Auch Professor Ulrich M. Gassner (Universität Augsburg) sieht einige Baustellen. Er nennt konkrete Regelungen, die aus seiner Sicht kritisch sind und keine ausreichend genaue gesetzliche Anleitung mitgeben. Darunter zum Beispiel § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V – die Ausnahmen zum Verordnungsausschluss von OTC-Arzneimitteln. Zudem fordert er genauere Definitionen in wichtigen Bereichen, etwa bei der frühen Nutzenbewertung und zentralen Begriffen wie der „schwerwiegenden Erkrankung“ und dem „therapeutischen Zusatznutzen“. Ferner bedürfe es struktureller Reformen, um bestehende Funktionsdefizite zu beheben. So sollten künftig Patientenorganisationen bei der Berufung der unparteiischen G-BA-Mitglieder mitwirken. Außerdem wird ein Vetorecht für die Patientenvertretung im G-BA und – hieran anknüpfend – die Einrichtung einer Schiedsstelle vorgeschlagen, an der vom Bundestags-Gesundheitsausschuss gewählte Sachverständige mit Stimmberechtigung mitwirken sollen. Zudem sollte die Rechtaufsicht des BMG gestärkt werden.

Professor Winfried Kluth (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) hat wohl die geringsten Probleme mit dem Legitimationsniveau des G-BA. Auch dritten Leistungserbringern stünden ausreichend gesetzliche Beteiligungsrechte zu, meint er. Allerdings bringt er den Vorschlag ein, dem GKV-Spitzenverband eine gesetzliche Vorgabe zu machen, bei der Bestellung seiner Vertreter im G-BA die Versicherteninteressen angemessen zu berücksichtigen. 

FDP-Politiker sieht Zweifel bestätigt

FDP-Mann Ullmann freut sich, dass die Gutachten nun endlich veröffentlicht wurden und sieht die Zweifel nach dem erstem Überblicken bestätigt: „Die Ergebnisse der Gutachten zeigen eindeutig Handlungsbedarf. Wir werden uns damit umfassend beschäftigen, die Reformvorschläge der Gutachter auf den größtmöglichen Nutzen für Patienten und Leistungserbringer prüfen und gerade darauf achten, dass ein minimal-bürokratisches Fast-Track-Verfahren bei Bedarf möglich ist. Zur Stärkung der demokratischen Legitimation der Rechtssetzungstätigkeit des G-BA werden wir darüber nachdenken, die Patientenvertretung, aber auch andere Gesundheitsakteure, stärker in die Entscheidungen des G-BA einzubinden.“

Was bei diesem Nachdenken am Ende herauskommt, muss sich zeigen. Ebenso, welche Schlüsse das CDU-geführte BMG aus den Gutachten zieht – und wann dies der Fall sein wird. Ein klares Statement, dass weitere Vertreter von Leistungserbringer-Organisationen dringend in den G-BA gehören, gibt es in keinem der Gutachten. Die Frage, ob die Apotheker einen Platz in dem Selbstverwaltungsgremium erhalten sollten, wurde auf Apothekertagen bereits kontrovers diskutiert. Letztlich wurden Anträge, die eine Mitgliedschaft zum Ziel hatten, aus Kostengründen abgelehnt. Dass diese Debatte nach Veröffentlichung der Gutachten wieder entfacht, ist wohl kaum zu erwarten. 

Die drei Gutachten finden Sie auf der Webseite des BMG zum Download.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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