Kampagne gegen hohe Arzneimittelpreise 

Schweizer Aktivisten fordern Zwangslizenzen für Arzneimittel

Stuttgart - 28.05.2018, 11:00 Uhr

Der Schweizer Verein Public Eye hat eine Kampagne gegen aus seiner Sicht zu hohe Arzneimittelpreise gestartet. (Screenshot: .publiceye.ch/de/)

Der Schweizer Verein Public Eye hat eine Kampagne gegen aus seiner Sicht zu hohe Arzneimittelpreise gestartet. (Screenshot: .publiceye.ch/de/)


Die Schweizer Organisation „Public Eye“, die sich unter anderem für unternehmerische Verantwortung einsetzt, macht Front gegen die Pharmaindustrie des Alpenlandes und fordert eine Senkung der nach ihrer Meinung „irrwitzigen“ Arzneimittelpreise. Andernfalls sei selbst das finanziell gut ausgestattete Schweizer Gesundheitssystem kaum mehr in der Lage, diese Medikamente weiter bezahlen zu können. Auch vor der Forderung nach Zwangslizenzen, die den Einsatz von Generika trotz laufendem Patentschutz möglich machen sollen, scheut der Verein nicht zurück. 

In den Vorstandsetagen der Baseler Pharmakonzerne, aber auch in deutschen und europäischen Pharmaunternehmen, dürfte die Forderung der Schweizer Aktivisten von Public Eye nur auf begrenzte Sympathie stoßen: In einer aktuellen Kampagne prangert die Organisation „irrwitzige Medikamentenpreise“ an. Selbst das Schweizer Gesundheitssystem sei kaum mehr in der Lage, für die Preise aufzukommen, insbesondere von neuen Krebstherapien. Der Bundesrat der Alpenrepublik sei deshalb zum Handeln ausgefordert. So könnte dieser durch Zwangslizenzen den Vertrieb günstigerer Generika trotz Patentschutz erlauben. Bei ihrer Aktion erhalten die Aktivisten prominente Unterstützung durch die Schweizer Krebsliga sowie weiteren Ärzten. 

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Heilungschancen, so Public Eye, dürften keine Geldfrage sein, weder in der Schweiz noch anderswo. Vor diesem Hintergrund hat die Organisation dieser Tage in Genf und Zürich ihre breit angelegte Kampagne für bezahlbare Medikamente lanciert, bei der die Aktivisten insbesondere eine „aktuelle Preisexplosion“ bei Krebspräparaten anprangern. „Bis vor zehn Jahren konnten wir unseren Patienten alle sinnvollen Therapien noch zur Verfügung stellen“, sagt Thomas Cerny, Präsident der Krebsforschung Schweiz, laut einer Pressemitteilung. „Heute hat sich die Situation deutlich verschlechtert – auch weil die Preisexplosion bei den Medikamenten rational nicht mehr nachzuvollziehen ist.“

„Exzessiver Patentschutz“

Der „exzessive Patentschutz“, wie ihn die Schweiz weltweit vorangetrieben habe, kehrt nach Auffassung von Public Eye mittlerweile als Bumerang zurück. So habe es im Fall von Hepatitis C in der Schweiz kürzlich eine Zwangsrationierung gegeben. Public Eye kritisiert, dass ein bahnbrechendes, aber kaum bezahlbares Medikament eine Zeit lang nur jenen vergütet worden sei, deren Erkrankung bereits weit fortgeschritten gewesen sei. Sofern nichts passiere, würden solche Fälle rapide zunehmen. 

Ursache für die aktuelle Situation seien Patentmonopole, mit deren Hilfe Pharmafirmen die Preise „praktisch eigenständig“ festsetzen könnten. Die staatlichen Schweizer Preiskontrollen bezeichnet die Organisation dagegen als „zahnlos“. Mittels Zwangslizenzen könne die Politik jedoch die Balance zwischen privatem Profitstreben und öffentlichem Gesundheitsinteresse wieder herstellen. Dabei handele es sich um ein im internationalen Patentrechtssystem vorgesehenes Instrument, das es den Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation WTO ermögliche, trotz bestehendem Patentschutz auf ein Medikament den Einsatz günstigerer Alternativen zu erlauben. Nach den Vorstellungen der Public-Eye-Initiatoren sollte der Schweizer Bundesrat das Instrument der Zwangslizenz immer dann anwenden, wenn die umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gefährdet sei. „Eine Zwangslizenz im Pharmaland Schweiz würde nicht nur unser eigenes Gesundheitssystem entlasten, sondern hätte globale Signalwirkung und könnte andere Regierungen motivieren, dasselbe zu tun. Dadurch bekämen Millionen Menschen endlich Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten“, so die Organisation.

Entwicklungskosten über zwei Milliarden Euro

Tatsächlich stellen die Ausgaben für Arzneimittel für nahezu alle Gesundheitssysteme eine große finanzielle Belastung dar. So betragen die Behandlungskosten insbesondere mit biopharmazeutischen Arzneimitteln teilweise mehrere hunderttausend Euro. 

In Deutschland regelt das seit 2011 geltende Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (Amnog) die Preisfindung. Dabei müssen die Hersteller für alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen Nachweise über den Zusatznutzen für die Patienten vorlegen, über den dann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheidet. Liegt ein Zusatznutzen vor, werden die Preise auf Basis der Bewertung dieses Zusatznutzens ausgehandelt. Für Arzneimittel ohne Zusatznutzen wird ein Festbetrag festgesetzt. Ist es nicht möglich zu ermitteln, ob ein Zusatznutzen vorliegt, weil es keine weiteren pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittel gibt, vereinbart der Hersteller nach Informationen des Bundesgesundheitsministeriums mit der gesetzlichen Krankenversicherung einen Erstattungsbetrag, der zu keinen höheren Kosten gegenüber der Vergleichstherapie führen darf. 

Im Gegensatz zu Pharmakritikern wie Public Eye verweisen die Pharmahersteller auf die hohen Kosten, die bei der Entwicklung neuer Arzneimittel anfallen. Diese summieren sich nicht selten auf über eine Milliarde Euro. Der US-Gesundheitsökonom Joseph DiMasi von der Tufts University hat sogar errechnet, dass Pharmaunternehmen aktuell mindestens 2,6 Milliarden Dollar beziehungsweise 2,1 Milliarden Euro aufwenden müssen, um ein neues Produkt zu entwickeln. Medicro, ein Auftragsforschungsinstitut aus der Nähe von Nürnberg, operiert mit ähnlichen Zahlen. Die Kosten der Arzneimittelentwicklung hätten sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Derzeit benötige ein Pharmaunternehmen geschätzte 2,4 Milliarden Euro, um ein einziges Medikament zuzulassen. Einer der Gründe für die hohen Kosten sei, dass nur etwa 11 Prozent aller identifizierten und potenziell wirksamen Substanzen letztendlich eine Marktzulassung erhielten. 

Darüber hinaus hat Novartis erst kürzlich Mängel bei der Bewertung von Arzneimitteln beklagt. Wie der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) mitteilte, sieht der Pharmakonzern im Streit um die Preisgestaltung von Arzneimitteln Mängel bei den Auswahlkriterien für eine Nutzenbewertung, die wiederum Basis für Preisverhandlungen zwischen Hersteller und Krankenkassen ist. 

„Keine Marktverzerrung“

Und die Süddeutsche Zeitung verweist angesichts der Kritik von Public Eye und dem dabei verwendeten Begriff „Monopolpreise“ auf eine Aussage von Severin Schwan, Chef des Roche-Konzerns, der keine Marktverzerrung erkennen könne. „Die Pharmakonzerne geben ihr Wissen der Öffentlichkeit preis, indem sie Patente beantragen“, so Schwan dem Bericht nach. Dies ermögliche anderen Unternehmen, auf entsprechenden Innovationen aufzubauen. Erst das Patent würde den Forschern den Anreiz geben, neue Medikamente zu entwickeln. Dieses System habe sich „für die Menschheit“ bewährt.

Public Eye setzt sich nach eigenen Angaben seit 50 Jahren dafür ein, dass Schweizer Unternehmen und die Politik ihre Verantwortung zur „weltweiten Achtung der Menschenrechte wahrnehmen“. Mit Lobbyarbeit, Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit sowie der Unterstützung von 25.000 Mitgliedern engagiere sich die Vereinigung für faire Wirtschaftsbeziehungen. Ziel sei es, dass die Politik globale Gerechtigkeit und Menschenrechte „höher gewichtet als den Profit der Schweizer“.

Unter Druck geraten die Schweizer Pharmaunternehmen derzeit auch von anderer Seite. So befinden sich nach einem Bericht der Baseler Zeitung Roche, Novartis und Actelion auf einer Liste der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration), die mögliche Behinderungen beim Zugang von Generika-Herstellern zu Marken-Medikamenten erfasst. Hintergrund sei die Notwendigkeit für die Generika-Hersteller, eine gewisse Anzahl Originalmedikamente ererben zu müssen, um ihre Produkte in der Entwicklung mit den Original-Präparaten vergleichen zu können. Werde der Zugang zu den Medikamenten durch die Hersteller eingeschränkt oder behindert, könnten die Generika-Firmen eine entsprechende Meldung an die FDA machen.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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