DAZ-Interview

Schweim: „Konsequenzen ziehen und aus dem Rahmenvertrag austreten“

Stuttgart - 25.05.2018, 17:45 Uhr

Der ehemalige BfArM-Präsident Prof. Harald Schweim spricht in der aktuellen DAZ  über das Rx-Versandverbot, die Länderliste und den Rahmenvertrag.

Der ehemalige BfArM-Präsident Prof. Harald Schweim spricht in der aktuellen DAZ  über das Rx-Versandverbot, die Länderliste und den Rahmenvertrag.


Seit dem EuGH-Urteil vom Oktober 2016 hat der Gesetzgeber hierzulande nichts unternommen. Die ausländischen Versender müssen sich an keine festen Arzneimittelpreise halten und die gewährten Rabatte wandern in die Taschen der Versicherten. Der ehemalige BfArM-Präsident Prof. Harald Schweim findet das einen unhaltbaren Zustand  – sowohl für die Apotheken als auch die Solidargemeinschaft. Im Interview mit der DAZ macht er deutlich, was seiner Meinung nach in den letzten Jahren politisch versäumt wurde und dass er neben einem Rx-Versandverbot auch Alternativen in der Länderliste und dem Rahmenvertrag sieht. 

Insgesamt bieten die öffentlichen Apotheken in Deutschland aktuell rund 157.000 Menschen einen Arbeitsplatz – darunter sind 51.000 Apothekerinnen und Apotheker. Das seien „nur wenige Wähler“, gibt Prof. Harald Schweim zu Bedenken. Deshalb hätte Arzneimittel- bzw. Apothekenpolitik momentan keine so große Bedeutung. Doch es käme noch mehr zusammen: „Die quälende Regierungsbildung ist ein Teil davon“, so Schweim weiter und, „es ist der Machtwille von Angela Merkel, Kanzlerin zu bleiben und dafür in allem der SPD nachzugeben, und der Schachzug, ihren Rivalen Jens Spahn, trotz dessen Nähe zu Großversendern, zum Gesundheitsminister zu machen.“ Ähnliche deutliche Worte fand Schweim auch bei den Stuttgarter Gesprächen im vergangenen Juli und rechnete schon damals mit solch einer Situation nach der Bundestagswahl. 

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Eine Mitschuld am gesundheitspolitischen Stillstand nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur deutschen Arzneimittelpreisbindung gibt er aber auch den Apothekern selbst: „Die Filialisierung als bauernfängerischen Ersatz für den Versandhandel zu akzeptieren und den Ausschluss der OTC-Arzneimittel aus der GKV-Erstattung hingenommen zu haben, gehören dazu.“

Im Interview, das in der aktuellen DAZ zu lesen ist, versucht Harald Schweim eine Erklärung zu finden, wie sich die aktuelle Situation aus den Entwicklungen der letzten Jahre herleiten lässt. Schweim, selbst Apotheker, schlug nach dem Pharmaziestudium eine akademische Laufbahn ein. Auf Promotion und Habilitation in Pharmazeutischer Chemie folgte die Anstellung im Bundesdienst: Anfang der 1990er-Jahre wurde er Leiter des Fachbereichs Arzneimittelzulassungen im neu gegründeten Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), kurze Zeit später Direktor des Deutschen Instituts für medizinische Dokumentation und Information (DMDI). Nach einigen Jahren als Präsident des BfArM war er bis zu seinem Ruhestand 2016 Professor für „Drug Regulatory Affairs“ an der Universität Bonn. Zu Themen wie Arzneimittelfälschungen ist er nach wie vor ein viel gefragter Experte.

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen DAZ (Nr. 21) oder hier auf DAZ.online. 

Außenpolitik „kann jeder“, Gesundheitspolitik nicht

Schweim weist darauf hin, dass auch die Union unter Angela Merkel - damals noch in der Opposition - bei der Gesundheitsreform 2004 für die Freigabe des Versandhandels mit Arzneimitteln war. Einerseits hätte es nämlich schon die „kolportierte Vorstellung“ gegeben, „Rezeptversand per Brief und Rückversand per Päckchen sei Digitalisierung“, andererseits waren es Gutachter wie Prof. Gerd Glaeske, die der Bundesregierung Milliardeneinsparungen durch den Versandhandel prognostizierten. „Nichts davon ist wahr geworden“, resümiert Schweim und, „da Politiker sich nicht gerne korrigieren, halten sie an dem Unsinn fest.“ Gesundheitspolitik könne, im Gegensatz zu anderen Ressorts wie etwa Außenpolitik, nur mit „schwierig zu erwerbendem Fachwissen“ gelingen. Viele Abgeordnete wären mit den komplexen Themen überfordert und würden daher nur gemäß Empfehlung der Fraktionsführung abstimmen. Für Schweim ist darüber hinaus auch der Einfluss großer Kapitalgesellschaften nicht zu unterschätzen: „Den meisten ist nämlich völlig gleich ist, ob sie ihre Millionen mit Schlachthöfen oder Apothekenketten erwirtschaften.“ 

Versandhandel ist „sicherheitspharmakologisch problematisch“

Weshalb es seit rund 20 Jahren immer wieder Vorstöße gegeben hat, das Apothekenwesen in Deutschland zu liberalisieren, kann sich Schweim nur schwer erklären. Arzneimittel seien Waren besonderer Art, betont er, und damit nicht den üblichen Marktmechanismen unterworfen: „Kein Marketing der Welt wird einen Gesunden dazu bringen, sich ein Arzneimittel verordnen zu lassen. Dafür muss der Patient umfassend und preisunabhängig beraten werden.“ Seine wissenschaftlichen Untersuchungen hätten ergeben, dass problematische OTC-Arzneimittel wie Paracetamol, die nur in Kleinmengen abgegeben werden sollten, beim Versandhandel eher in Großpackungen und überdurchschnittlich oft verkauft werden. Für Schweim ein Zeichen mangelnder Arzneimitteltherapiesicherheit. Er plädiert dafür, dass zumindest der Versandhandel mit sicherheitspharmakologisch relevanten Arzneimitteln untersagt werden sollte, ähnlich wie bei der „Pille danach“.

Europarechtliche Bedenken - nur ein „Kampfbegriff“?

Das größte Problem in der Gesundheitspolitik, erklärt Schweim, sei nach wie vor die Finanzierung in einer alternden Gesellschaft. Seit Langem schon wäre diese Entwicklung absehbar. Aber statt „echter Reformen“ gäbe es „Jahrhundertreformen“ mit kurzfristigen Zielen: „Politiker denken meist nur an ihre eigene Wiederwahl.“ Mit der sogenannten Länderliste hätte das Bundesgesundheitsministerium aber ein Instrument zur Hand, mit dem – unabhängig von Reformen und neuen Gesetzen – geregelt werden könnte, ob und welche EU-Staaten Arzneimittel nach Deutschland versenden dürfen. „Der deutsche Gesetzgeber kann hier konkrete Vorgaben machen, die von den Arzneimittelversendern zu erfüllen sind“, sagt Schweim. „Europarechtliche Bedenken“ hält er für eine Parole bzw. einen „Kampfbegriff“ der Versandhandelsbefürworter. „Einfach sofort machen und abwarten wäre richtig“, rät er. Immerhin gäbe es in 21 der 28 EU-Mitgliedstaaten gar keinen Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. „Handeln die etwa alle europarechtswidrig?“

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Auch beim Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, der zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) geschlossen wurde, sieht Schweim erhebliches Verbesserungspotenzial. Der niederländische Arzneimittelversender DocMorris hat sich dem Vertrag seit 2010 unterworfen, verstößt aber mit Bonuszahlungen auf verschreibungspflichtige Arzneimittel fortlaufend dagegen. Einige Apotheker waren bereits auf juristischem Weg dagegen vorgegangen . Dass hier von der Standesvertretung nicht deutlich Sanktionen gefordert werden, in Form von Vertragsstrafen oder dem Ausschluss von DocMorris, kann sich Schweim nicht erklären: „Die Kassen als ‚Partner der Apotheken‘ müssten nach dem Sozialgesetzbuch längst die Boni von ihren Versicherten einfordern. So bereichern sich einige Wenige auf Kosten der Solidargemeinschaft.“ Er regt sogar an, die Apotheker sollten vermehrt öffentlich auf diesen Zustand hinweisen „und vor allem die Konsequenzen ziehen und austreten.“



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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5 Kommentare

Prof. Schweim

von Heiko Barz am 27.05.2018 um 12:25 Uhr

Es ist erbaulich, auch mal solche "übergeordneten" Meinungen lesen zu dürfen. Ist es aber so schwierig, diese unaufgeregten und System analysierenden Meinungen auf politischer Ebene verstehen zu wollen? Dabei war ein wichtiger Satz, der vermittelte, dass es bei differenzierten - in unserem Fall gesundheitsrelevanten Fragen - soviel Unwissenheit im Parlament gibt, dass dann nur der Fraktionwille sich durchsetzt, und dem wird bekanntlich bedingungslos gefolgt.
Diese oben zu lesenden prominenten Ausführungen zeigen auch Punkt für Punkt unsere berufsvernichtenden Schwachstellen auf. Während um uns herum Verträge in Reihe gebrochen werden, halten wir uns streng preußisch an Abmachungen, auch wenn sie direkt zur Guillotine führen.

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Ohren anlegen

von Approbierte VERTRETUNG am 27.05.2018 um 6:33 Uhr

... das geht in D besonders gut, weil Obrigkeits- Hörigkeit schon immer die erste Bürgerpflicht gewesen ist. Gepaart mit dem Gehorsamkeits-Willen, der den kleinen Apothekerlein schon während des Studiums abverlangt wird, eine prima Manövriermasse für jeden ausgedienten Politiker, der jetzt in irgendeiner Krankenkasse einen super wichtigen Verwaltungs- Job ausübt. Und die diversen Bürokratie- Tiger aus anderen Branchen...Wenn wir uns JETZT nicht wehren, dann können wir zukünftig bei ALDI die Regale einräumen und haben mehr davon!!

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Ohren anlegen

von Approbierte VERTRETUNG am 27.05.2018 um 6:32 Uhr

... das geht in D besonders gut, weil Obrigkeits- Hörigkeit schon immer die erste Bürgerpflicht gewesen ist. Gepaart mit dem Gehorsamkeits-Willen, der den kleinen Apothekerlein schon während des Studiums abverlangt wird, eine prima Manövriermasse für jeden ausgedienten Politiker, der jetzt in irgendeiner Krankenkasse einen super wichtigen Verwaltungs- Job ausübt. Und die diversen Bürokratie- Tiger aus anderen Branchen...Wenn wir uns JETZT nicht wehren, dann können wir zukünftig bei ALDI die Regale einräumen und haben mehr davon!!

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Konzequenzen ziehen - Schweim Interview

von Peter Kaiser am 25.05.2018 um 20:10 Uhr

Die jungen Approbierten haben doch schon lange die Konsequenzen gezogen und lassen sich nicht von AOK et al. vorführen. Wenn ich nach 4 Jahren Studium und 1 Jahr Praktikum einen Antrag auf Präqualifizierung stellen muss, um eine Handgelenksbandage anmessen zu dürfen, wobei zu unterscheiden ist, ob der Umfang des Handgelenks größer oder kleiner 17 cm ist, dann gehe ich doch lieber nicht in die Offizin und Inhaber kommt ganz sicher nicht in Betracht. Wie doof müssen die Entscheider in Berlin und Brüssel sein, um das nicht zu bemerken?

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Deutsche Politik + unsere Lobby und konsequentes Handeln ?

von Martin Didunyk am 25.05.2018 um 18:48 Uhr

Deutsche Politik hätte selbstverständlich in der causa "Einschränkung des RX Versandes" bereits handeln können.
Darin hat Herr Prof. Schweim hat ohne Frage absolut recht.

Leider sind die Deutschen meisterhafte "Reichsbedenkenträger" und besessen von political correctness. Wir machen uns ganz konkrete Sorgen noch bevor andere in Europa darauf kommen, daß sie sich Sorgen überhaupt machen könnten.
Die aktuell eingeführte DSGVO zeigt es exemplarisch. In Deutschland fürchten wir uns vor Sanktionen, während in vielen EU Ländern die GDPR noch keinen Weg ins nationale Recht gefunden hat.
Unsere Lobby wäre gefordert, um der Politik mehr "Mut zur Lücke" zu machen, um "echte deutsche" Probleme zu lösen, anstatt eine aufgesetzte pseudoeuropäische Rücksicht regieren zu lassen. Sollten wir stets und dauerhaft nur europäische Reaktionen vor den Augen haben, dann können wir ohnehin das deutsche Apothekenwesen zumachen. Denn Initiativen in Richtung "eHealth", "single market" etc. mögen keine nationalen Biotope.
Liebe Verbände, liebe ABDA ! Spielt alle Karten aus und dazu gehört durchaus auch die Karte auf der "rein deutsche Interessen" stehen.....Es gibt in Europa genug Verbände und Lobby Organisationen die nicht derart "vorausschauend" denken WOLLEN ! sondern nur proprietäre Interessen vertreten ! Natürlich hat Gesundheitspolitik und Lobbying in diesem Bereich sehr viele emotionale und soziale Facetten .... Das omnipräsente und diplomatische "Vorausdenken" unserer Verbände trägt aber leider keine Früchte ! Bitte mit Mut nach vorne ! Apothekerliche Lobbyverbände in anderen EU Ländern machen es uns gerade vor !

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