Österreich

Wettbewerbsbehörde fordert Deregulierungen im Apothekenmarkt

Berlin - 18.05.2018, 15:35 Uhr

(Foto:Imago)

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Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat sich für tiefgreifende Deregulierungen im Apothekenmarkt ausgesprochen. Konkret fordert sie, dass die Bedarfsplanung abgeschafft, die Apothekenpflicht für OTC-Produkte teilweise aufgehoben und der Versandhandel nicht mehr an Apotheken gebunden werden soll. Immerhin: Weil die Behörde einen zu großen Einfluss der Großhändler befürchtet, soll das Fremdbesitzverbot erhalten bleiben. Und auch das Rx-Versandverbot soll nicht angetastet werden.

Der österreichische Apothekenmarkt gehört zweifelsohne zu einem der reguliertesten Märkte in Europa: Es gibt eine ziemlich strikte Bedarfsplanung, ein Fremdbesitzverbot, die Erlaubnis maximal eine Filiale zu betreiben sowie einen auf OTC beschränkten Versandhandel. Einzig die ärztlichen Hausapotheken passen nicht in dieses Bild: Bei unseren Nachbarn gibt es etwa 840 Mediziner, die unter gewissen Voraussetzungen dispensieren dürfen.

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Von dispensierenden Ärzten und Versandfeinden

Trotz der zahlreichen Regulierungen ist der Apothekenmarkt in Bewegung: Derzeit gibt es etwa 1360 Apotheken, vor zehn Jahren lag die Zahl etwa 10 Prozent niedriger. Trotzdem liegt die Alpenrepublik im EU-Vergleich im unteren Drittel bei der Apothekendichte: Auf 100.000 Einwohner kommen 15,4 Apotheken. In Deutschland sind es 24, im EU-Durchschnitt etwa 31. Die Arzneimittelausgaben machen mit 3,7 Milliarden Euro rund 13,5 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben aus. Der Gesamtumsatz der öffentlichen Apotheken in Österreich betrug im Jahr 2016 rund 4 Milliarden Euro, darauf entfielen etwa 2,69 Milliarden Euro auf Krankenkassenumsätze und knapp 1,3 Milliarden Euro privat finanzierte Umsätze. Die „Durchschnittsapotheke“ machte im Jahr 2016 einen Gesamtumsatz von rund 2,9 Millionen Euro.

Behörde: Arzneimittel sind ein besonderes Gut

An mehreren Stellen in dem Gutachten wird klar, dass die Bundeswettbewerbsbehörde eine Komplett-Deregulierung ohne Augenmaß ablehnt. Denn: Arzneimittel seien sogenannte Vertrauensgüter („credence goods“), bei denen „der Konsument auch nach dem Kauf nicht beurteilen kann, welche Qualität das gekaufte Gut gehabt hat und ob es tatsächlich das benötigte Gut war“, heißt es in dem Papier. Deswegen sei eine Regulierung des Apothekenmarktes in einem gewissen Ausmaß unzweifelhaft notwendig. Allerdings haben Apotheken in Österreich aus Behördensicht zu wenig Konkurrenz. In den vergangenen Monaten hat die Behörde die Wettbewerbsbedingungen im Apothekenmarkt untersucht – ohne konkreten Anlass, denn die BWB darf Wirtschaftszweige unter die Lupe nehmen, bei denen sie selbst den Eindruck hat, dass der Wettbewerb „eingeschränkt oder verfälscht ist“. Im Apothekenmarkt ist dies aus Sicht der BWB zweifelsohne der Fall: Die Niederlassungsbeschränkungen seien zu hoch, die Apothekenzahl ausbaufähig und die OTC-Preise zu hoch. Kurzum: „Eine Regulierung des Apothekenmarktes ist in einem gewissen Ausmaß wegen der damit verbundenen öffentlichen Interessen, wie etwa der Sicherstellung einer klaglosen Heilmittelversorgung, notwendig“, heißt es in dem Gutachten.

Warum die Wettbewerbshüter sich gerade dem Apothekenmarkt widmeten, erklären sie so: „Im Gegensatz zu den Leistungen in Krankenanstalten oder von Ärzten, bei denen eine Vergleichbarkeit der Leistung in vielen Bereichen nur schwer erzielbar ist, sind die in Apotheken erbrachten Leistungen jedoch vergleichbar und damit grundsätzlich wettbewerbsfähig.“ Für ihre Untersuchung nutzte die Behörde eigenen Angaben zufolge wissenschaftliche Literatur, bestehende Untersuchungen anderer nationaler Wettbewerbsbehörden und die Erfahrungsberichte aus anderen Ländern, die bereits eine Deregulierung vorgenommen haben.

Wettbewerbshüter warnen vor Ketten-Einfluss

Das sind die konkreten Forderungen der Wettbewerbsbehörde:

  • Wegfall der Bedarfsplanung. Dadurch erhofft sich die Behörde eine bessere Versorgung der Verbraucher durch eine gesteigerte Zahl an Apotheken, einen gesteigerten Qualitätswettbewerb zwischen Apotheken sowie Preiswettbewerb im OTC-Bereich.
  • Deregulierung des Filialsystems. Hier wird auf Deutschland und Dänemark verwiesen, wo das Mehrbesitzverbot in den vergangenen Jahren gelockert wurde. Die Behörde erhofft sich dadurch: Erzielung von Skaleneffekten sowie die Sicherung der Heilmittelversorgung insbesondere in ländlichen Gebieten.
  • Deregulierung der Öffnungszeiten. Derzeit dürfen die Apotheken in Österreich maximal 48 Stunden pro Woche geöffnet haben und müssen täglich eine zweistündige „Mittagssperre“ einhalten, also während der Mittagszeit schließen. Die Behörde will damit eine verbesserte Versorgung der Konsumenten mit Arzneimitteln erreichen.
  • Mehr Apotheken-Dienstleistungen. Aus Sicht der Behörde sind die von den Apothekern anzubietenden Leistungen zu eingeschränkt. Ohne konkrete Beispiele zu nennen, erhofft sich die BWB mehr „Qualitätswettbewerb“ und „Leistungsdifferenzierung“ zwischen den Apotheken.

  • Liberalisierung des Online-Handels. Der Online-Handel ist in Österreich erst seit 2015 erlaubt und auch nur mit OTC-Präparaten. Bislang ist der Markt recht überschaubar: 52 Apotheken haben erst eine Versandhandelserlaubnis erhalten. Allerdings versenden auch einige EU-Versender nach Österreich. Die Wettbewerbsbehörde wünscht sich nun, dass die Pflicht gestrichen wird, dass der Versandhandel nur von Apothekern betrieben werden darf. Die Behörde ist offenbar der Meinung, dass Apotheker bei OTC-Produkten ohnehin schlecht bis gar nicht beraten würden, eine Deregulierung sei daher ohne Auswirkungen: „Von Gegnern des Online-Handels mit Arzneimitteln wird häufig vorgebracht, dass auch rezeptfreie Arzneimittel zu gesundheitlichen Gefährdungen führen können, wenn der Konsument leichtfertig damit umgeht. Hier ist allerdings entgegenzuhalten, dass gerade im Bereich der OTC- Produkte zumeist keine umfassende Beratung in der öffentlichen Apotheke stattfindet und der Konsument auch mehrere Apotheken aufsuchen kann, um Arzneimittel zu erwerben, wenn ihm der Kauf in einer bestimmten Apotheke verwehrt wird.“ Immerhin: Von einer Aufhebung des Rx-Versandverbotes ist nicht die Rede. Allerdings wünschen sich die Wettbewerbshüter auch, dass Versandhändler stärker Preiswerbung für OTC betrieben dürfen. Ihrer Meinung würde die Deregulierung in diesem Bereich zu niedrigeren Preisen, einem belebtem Wettbewerb und sogar zu besserer Beratungsqualität führen.

  • Deregulierung des Botendienstes. Derzeit dürfen Österreichs Apotheker Patienten in einem Umkreis von 6 Kilometern per Botendienst beliefern. Die Behörde wünscht sich, dass diese Umkreis-Regulierung aufgehoben wird.

  • Deregulierung der OTC-Apothekenpflicht. Die BWB beschreibt, dass Apotheker aufgrund der „Monopolisierung“ und der Bedarfsplanung einen „garantierten Kundenstock“ haben – es gebe daher keinen Anlass, in einen Preiswettbewerb einzutreten. Für eine Liberalisierung sehen die Wettbewerbshüter nun mehrere Möglichkeiten: Erstens: Der Verkauf von bestimmten OTC-Präparaten in der Freiwahl bei Beibehaltung der Apothekenpflicht und Öffnung der Werberegulierung. Zweitens: Bestimmte OTC-Produkte ausgliedern und für den Verkauf außerhalb von Apotheken gestatten. Allerdings warnt die Wettbewerbsbehörde hier selbst vor dem Einfluss von „Ketten“, da hier eine „erhebliche Marktmacht“ aufgebaut werden könnte, die etwa in einer Verknappung der Sortimentstiefe und -breite resultieren könnte. Drittens: Die komplette Aufhebung der OTC-Apothekenpflicht. Hier erklären die Marktbeobachter allerdings, dass eine „schrankenlose Marktöffnung“ nicht empfehlenswert sei, da das öffentliche Interesse an einer sicheren Versorgung nicht mehr gewährleistet wäre.

Ebenso kritisch sehen die Wettbewerbshüter eine Aufhebung des Fremdbesitzverbotes. Die Behörde fürchtet, dass sich die ohnehin schon sehr konzertierte Struktur im Großhandelsbereich dann auch im Apothekenmarkt niederschlagen würde. „Dies würde bei der derzeitigen Struktur des Großhandels zu einer Verstärkung des Oligopols mit den damit verbundenen negativen Folgen führen.“

Kammer: Negativ-Beispiel Deutschland

Die Österreichische Apothekerkammer reagierte verärgert über den Inhalt der Studie. „Wer die Qualität unseres Gesundheitssystems ausschließlich mit den Regeln des Wettbewerbs misst, der spielt mit der Gesundheit, im schlimmsten Falle sogar mit dem Leben von Patienten“, erklärte Kammerpräsidentin Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr. Die positiven Auswirkungen im Falle einer freien Apothekenniederlassung kommentiert die Präsidentin so: „Es ist ein Faktum, dass unkontrollierte Apothekenniederlassung die ausgewogene Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln negativ beeinträchtigt.“

Als Beispiel dient aus Sicht der Kammer Deutschland. Christian Wurstbauer, selbständiger Apotheker und Vizepräsident der Apothekerkammer, erklärt in einer Mitteilung: „Dort führte die freie Niederlassung zu einer Konzentration von Apotheken in hochfrequenten Lagen, wie etwa in der Innenstadt oder in Einkaufszentren. Die Anzahl der ‚Versorgungsapotheken‘ im ländlichen Raum ist zurückgegangen und hinterlässt riesige Lücken in der flächendeckenden, wohnortnahen Arzneimittelversorgung in Deutschland. Es ist auch absurd, versorgungsorientierte Apothekenunternehmen als ineffizient zu bezeichnen. Das beweist die Kurzsichtigkeit der Wettbewerbsbehörde bei ihrer einseitigen Betrachtung des österreichischen Apothekensystems“, so Wurstbauer. Mehr Wettbewerbsdruck zwinge die Apotheken, Fachpersonal einzusparen und darüber hinaus den Verkauf über die Beratung zu stellen, heißt es weiter.  

Präsidentin Mursch-Edlmayr zeigt sich daher insgesamt enttäuscht: „Die Branchenuntersuchung stellt ausschließlich auf kommerzielle Faktoren ab, lässt das Wichtigste aber vollkommen außer Acht: Und das sind die Therapiesicherheit und die Gesundheit der Menschen.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Wettbewerbsbehörde in Ö genauso schlecht wie in D

von Ratatosk am 18.05.2018 um 18:55 Uhr

Der war gut

"Sicherung der Heilmittelversorgung insbesondere in ländlichen Gebieten."
Gefahr von Ketten, die aber durch die empfohlenen Maßnamen erst richtig durchstarten würden, vor allem wenn Versand durch Nichtapotheker/innen. Sollten mal in ihrer sog. Literatur nachschauen was in den USA mit den Benefit Managern und den Arzneimittelpreisen passiert. Können ja google Übersetzer nehmen, wenn mit dem Englischen hapert, ansonsten käme man ja nicht auf solchen Unsinn.

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