Vergabekammer des Bundes

Grippeimpfstoffvereinbarung der AOK Nordost ist unzulässig

Berlin - 17.05.2018, 12:50 Uhr

Vergaberechtlich ist die Impfstoffvereinbarung im Nordosten nicht sauber – das hat die Vergabekammer am Bundeskartellamt entschieden. (Foto: pix4U / adobe.stock.com)

Vergaberechtlich ist die Impfstoffvereinbarung im Nordosten nicht sauber – das hat die Vergabekammer am Bundeskartellamt entschieden. (Foto: pix4U / adobe.stock.com)


Lenkungswirkung zum günstigsten Produkt

Tatsächlich hat die 2. Vergabekammer des Bundes am 15. Mai entschieden (VK 2 - 30/18), dass jedenfalls der Vertrag der AOK Nordost mit den Apothekerverbänden aus diesem Grunde unwirksam ist. Den Vertrag zwischen D.S.C. und Mylan tastete die Kammer allerdings nicht an – er sei privatrechtlicher Natur.

Anders der Vertrag der AOK: Hier handele es sich um einen öffentlichen Auftrag, für den das Vergaberecht einschlägig sei. Die Vereinbarung beschränke sich nicht auf eine Festpreisvereinbarung. Vielmehr sehe sie vor, dass sich die Kasse verpflichte „die Vertragsärzte über die Ziele dieser Vereinbarung und die Bestimmungen zur Verordnung von Grippeimpfstoffen zu informieren und deren Umsetzung aktiv zu fördern“. Diese aktive Förderung bedeute konkret, dass die Ärzte seitens der AOK angehalten werden, Grippeimpfstoff generisch, also nur wirkstoffbezogen und ohne Nennung eines konkreten Produkts zu bestellen, heißt es im Beschluss der Vergabekammer. Die vorausgehende Information der AOK, dass es die Liefervereinbarung mit Mylan gibt, sowie das weitere in der Erstattungsvereinbarung geregelte Prozedere „dürfte beim Arzt dazu führen, dass er sich gehalten sieht, eine generische Bestellung in seiner Verordnung vorzunehmen“. Und dann liefere die Apotheke das Mylan-Produkt, weil es die beste Gewinnmarge ermögliche. Damit nehme die AOK Einfluss, welcher Impfstoff zum Einsatz kommt. „Eine tatsächliche Lenkungswirkung liegt vor“, so die Vergabekammer.

Daran ändere es auch nichts, dass die AOK erklärt, es sei ihr „höchst willkommen“, wenn sich auch GSK und andere Marktteilnehmer an der Liefervereinbarung mit der D.S.C. beteiligen würden. Denn die Problematik, dass auf ein bestimmtes Produkt hingelenkt wird, entstehe „nur und gerade dann, wenn sich eben nicht alle Marktteilnehmer an der Liefervereinbarung (…) beteiligen“.

Apotheken-Ausschreibungen als Alternative?

Sodann führt die Vergabekammer aus, dass eine Lenkungswirkung hin auf das günstigste Produkt durchaus legitim ist und der mit hohem Rang ausgestatteten Gemeinwohlaufgabe der Sicherstellung der finanziellen Stabilität des GKV-Systems diene. Allerdings: Nur auf der Basis einer vergaberechtlich korrekten Behandlung. Und die sieht die Kammer hier nicht. Sie weist vielmehr auf andere Möglichkeiten hin, die aus ihrer Sicht als Alternativen zur Verfügung stehen. Das wäre zum einen ein Vergabeverfahren  mit  den  Apotheken  als  Ausschreibungsadressaten. Zum anderen ein Vergabeverfahren den Herstellern gegenüber. Auch wenn der Gesetzgeber die sozialrechtliche Norm, in der dieses Verfahren geregelt war, gestrichen habe, gebe es kein vergaberechtliches „Ausschreibungsverbot" den Herstellern gegenüber. Einer sozialrechtlichen Rechtsgrundlage bedürfe es gar nicht. Dritte Variante wäre die Durchführung eines Open-house-Verfahrens gegenüber Apotheken oder Herstellern. Diese Alternativen sind alle nicht ganz problemfrei. Insbesondere die Ausschreibung auf Herstellerebene widerspricht klar dem gesetzgeberischen Willen. Er wollte gerade eine Pluralität von Anbietern im Impfstoffbereich, um die Versorgungssicherheit herzustellen.

Noch hat sich die AOK Nordost nicht gegenüber DAZ.online geäußert, wie sie mit der Entscheidung umgehen wird. Auch der Berliner Apothekerverein will die Gründe zunächst genauer prüfen. Klar ist aber: Gegen die Entscheidung kann sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf eingelegt werden, was eine aufschiebende Wirkung des Beschlusses bewirkt. Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein – doch die Impfstoff-Bestellungen für die kommende Saison sind ohnehin bereits gelaufen. Ein dem Nordost-Modell entsprechende Vereinbarung gibt es übrigens auch in Sachsen-Anhalt.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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