Lieferengpässe, Exklusivverträge

AOK: Weniger Medikamentenwechsel durch Rabattverträge

Berlin - 27.04.2018, 07:00 Uhr

Einer aktuellen AOK-Studie zufolge verbessern Rabattverträge die Versorgung, weil sich die Medikamentenwechsel seit ihrer Einführung verringert hätten. (Foto: Imago)

Einer aktuellen AOK-Studie zufolge verbessern Rabattverträge die Versorgung, weil sich die Medikamentenwechsel seit ihrer Einführung verringert hätten. (Foto: Imago)


Die Landesgesundheitsbehörden beraten Anfang Mai über grundlegende Änderungen am Rabattvertragssystem. Hessen und Saarland hatten beantragt, dass es Rabattverträge in vielen Bereichen nicht mehr geben soll. Der AOK-Bundesverband und die AOK Baden-Württemberg schießen nun zurück: Die AOK meint, dass die Verträge die Therapietreue verbessern und gleichzeitig viel Geld einsparen.

Am 2. und 3. Mai treffen sich die Chefs der Landesgesundheitsbehörden. Bei ihrem Treffen beraten die Behördenchefs Anträge aus den Bundesländern. Ihre Beschlüsse sollen wiederum der später stattfindenden Landesgesundheitsministerkonferenz vorgelegt werden. Bei ihrer kommenden Sitzung werden die Behördenchefs über einige Anträge beraten, die auch für den Apothekenmarkt von großer Bedeutung sind. So fordern beispielsweise die Länder Hessen und Saarland, dass das gesamte System der Rabattverträge umgestellt wird, um Lieferengpässe zu vermeiden. In dem Antrag gehen die Landesbehörden der beiden Länder davon aus, dass der Kostendruck der wichtigste Grund für Lieferengpässe im Markt ist. In ihrem Ideenkatalog zu den Rabattverträgen schlagen die Behörden beispielsweise vor, die Verträge für „lebenswichtige Arzneimittel beispielsweise ganz zu hinterfragen. Außerdem sollte es ausschließlich Mehrfachvergaben geben.

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Das beim AOK-Bundesverband angesiedelte Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat nun Zahlen vorgelegt, mit denen die Ortskrankenkassen für ihre exklusiven Ausschreibungen im Generika-Bereich kämpfen. Laut WIdO-Studie haben im Jahr 2016 85 Prozent der Patienten, die einen Wirkstoff über einen längeren Zeitraum einnehmen müssen, ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten. Helmut Schröder, stellvertretender WIdO-Geschäftsführer, meint: „Rabattverträge tragen dazu bei, unnötige Medikamentenwechsel zu vermeiden. Das wirkt sich positiv auf die Therapietreue und somit den Erfolg der Therapie aus.“

Laut WIdO wurden für die neuen Zahlen zu den Rabattverträgen mehr als 45 Millionen wirkstoffbezogenen Profile von AOK-Arzneimittelpatienten der Jahre 2006 und 2016 bei generikafähigen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen untersucht. Demnach ist die Zahl der Medikamentenwechsel im Vergleich zu der Zeit vor den Rabattverträgen sogar gesunken. Denn: 2006, also im Jahr vor der Einführung der Rabattverträge, erhielten laut WIdO nur 74 Prozent der Patienten ihr Arzneimittel dauerhaft vom selben Hersteller. „Der Anteil der Patienten ohne Medikamentenwechsel ist zwischen 2006 und 2016 um 15 Prozent gestiegen. Ein Medikamentenwechsel erfolgt heute in der Regel nur dann, wenn Arzt und Patient dies für notwendig erachten“, erklärt Schröder.

Hermann: Mehrfach-Verträge steigern Marktkonzentration

Und auch die Marktkonzentration, auf die die Generika-Industrie des Öfteren hinweist, hat laut den AOK-Zahlen seit Einführung der Rabattverträge sogar abgenommen. Das WIdO hat die Marktkonzentration anhand des sogenannten Herfindahl-Hirschman-Index gemessen, der sich von 478 auf 298 reduziert habe. Zur Bedeutung des Indizes erklärt das Institut: „Dieser Index wird unter anderem vom Statistischen Bundesamt und der Europäischen Kommission zur Beobachtung der Marktkonzentration herangezogen. Gemäß der Europäischen Kommission kennzeichnet ein Wert unterhalb von 1000 eine niedrige Marktkonzentration, ein Wert bis 1800 eine mittlere Konzentration und Werte oberhalb 1800 eine starke Marktkonzentration.“

Und auch das liebe Geld darf in einer AOK-Studie zu den Rabattverträgen natürlich nicht fehlen. Laut WIdO konnten die Kassen ihre Arzneimittelausgaben 2017 mithilfe der Rabattverträge um insgesamt vier Milliarden Euro senken. Schröder dazu: „Durch die preiswertere Versorgung mit Generika können die frei werdenden finanziellen Mittel für eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten genutzt werden, und das ohne jeglichen Qualitätsverlust.“

Und auch die AOK Baden-Württemberg vom „Erfinder“ der Rabattverträge, Dr. Christopher Hermann, wehrt sich erneut gegen die Attacken gegen seine Generika-Verträge. Hermann weist auf die WIdO-Studie hin und erklärt: „Entgegen ständig wiederholter Aussagen der Pharmalobby gibt es keinen Zusammenhang zwischen Lieferengpässen und exklusiven Rabattverträgen.“ Und mit Bezug auf den Antrag aus Hessen und dem Saarland teilte die AOK mit: „Zwei Bundesländer übernehmen damit unreflektiert die Argumente der Pharmahersteller, die durch Mehrpartnermodelle den Wirkmechanismus der Rabattverträge aushebeln wollten.“

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Anders als beispielsweise der Branchenverband Pro Generika ist Hermann der Meinung, dass Mehrfach-Ausschreibungen die Marktkonzentration sogar steigern können. „Mehrpartnermodelle fördern genau jene Marktkonzentration, die die Politik eigentlich bekämpfen möchte. Gerade kleinere Unternehmen können in einem Mehrpartnermodell ihren Absatz und damit ihren Angebotspreis nicht planen und werden so aus dem Markt verdrängt“, so Hermann.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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