Sinkende Erstattungshöchstgrenzen

BAH: Festbetragssystem muss sich mehr am Patienten orientieren

Berlin - 25.04.2018, 13:10 Uhr

Für Dr. Herrmann Kortland (BAH) müssen die Festbetragsgruppen differenzierter gestaltet, der Anteil an zuzahlungsfreien Arzneimitteln angehoben und das Festsetzungsverfahren für Hersteller transparenter werden. (Foto: Lopata/BAH)

Für Dr. Herrmann Kortland (BAH) müssen die Festbetragsgruppen differenzierter gestaltet, der Anteil an zuzahlungsfreien Arzneimitteln angehoben und das Festsetzungsverfahren für Hersteller transparenter werden. (Foto: Lopata/BAH)


Alle zwei Jahre, zuletzt zum 1. April 2018, werden die Festbeträge angepasst  – in der Regel nach unten. Für den Bundesverband der Arzneimittelhersteller geht das Festbetragssystem allerdings teilweise an den Bedürfnissen der Patienten vorbei. Die Arzneimittelgruppen differenzieren nach Ansicht des Verbandes zu wenig nach Indikationen und Darreichungsformen. 

Seit dem 1. April dieses Jahres gelten neue Festbeträge, die alle zwei Jahre vom GKV-Spitzenverband (GKV-SV) angepasst werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) definiert dazu die Festbetragsgruppen. Die Erstattungshöchstbeträge für die Arzneimittelgruppen werden überwiegend nach unten korrigiert. Nach Angaben des G-BA entstehen durch das Festbetragssystem Einsparungen von 7,8 Milliarden Euro im Jahr für die Kassen.

Patienten und Hersteller „zahlen die Zeche"

„Festbeträge bewegen sich nur in eine Richtung – und zwar nach unten, bis es quietscht“, eröffnete Hermann Kortland, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes derArzneimittelhersteller (BAH) die Pressekonferenz am vergangenen Dienstag.

„Die Zeche zahlt entweder der Hersteller oder der Patient“, so Kortland weiter. Denn für die Patienten bedeuten Absenkungen der Erstattungshöchstgrenzen häufig, dass sie für ein Medikament mehr zuzahlen müssen, wenn der betroffene Hersteller den Preis nicht senkt. Senkt der Hersteller reaktiv den Preis, gelangt er nach Einschätzung des BAH dabei nicht selten an die Wirtschaftlichkeitsgrenze. Vereinzelt nähmen Pharmafirmen auch ihre Produkte vom Markt, wenn diese nicht mehr kostendeckend seien.  

Folgen für die Patientenversorgung

Jede Festbetragsanpassung kann also für Patienten und Hersteller direkte schmerzhafte Folgen haben. Aber können die Entwicklungen des Festbetragssystems auch mittel bis langfristig zu therapierelevanten Einschränkungen führen? Der BAH hat bei der Unternehmensberatung Ecker + Ecker eine Studie in Auftrag gegeben, die diese Frage beantworten sollte.

Dazu haben die Experten im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und Neujahr 2018 die Artikeldatenbank der ABDA und die Festbetragslisten des DIMDI ausgewertet. Zudem hat Ecker + Ecker die Herstellereinwände in den Anhörungsunterlagen des G-BA analysiert und Interviews mit Experten aus der Pharmaindustrie und der gesetzlichen Krankenkassen geführt.

Den Ergebnissen der Studie zufolge waren 117 Wirkstoffe zeitweise nur mit Aufzahlung für die Patienten zu bekommen. Darunter befanden sich laut BfArM auch versorgungsrelevante Arzneistoffe wie Levofloxacin oder Doxepin.

Festbetragsgruppen wenig differenziert

Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass die Festbetragsgruppen, die nach 2007 gebildet wurden, kaum noch nach Darreichungsformen differenzieren. Für mehr und mehr Spezialarzneimittel, die für vulnerable Patienten, wie Kinder und Senioren, relevant sind, muss zugezahlt werden.

So haben beispielsweise Kinder und ältere Menschen mit Schluckstörungen häufig Probleme, Tabletten einzunehmen. Ein wirkstoffgleicher Saft fällt allerdings in dieselbe Festbetragsgruppe wie die entsprechenden Tabletten. Da Tabletten billiger herzustellen sind, und sich der Erstattungshöchstbetrag an den günstigsten Arzneimitteln der Festbetragsgruppe orientiert, muss für den Saft oft zugezahlt werden.

Außerdem könnte die Entwicklung des Festbetragssystems laut Ecker + Ecker in Zukunft dazu führen, dass es weniger galenische Innovationen gibt. Denn für Hersteller wird es zunehmend unattraktiver, Darreichungsformen zu entwickeln, wenn das neue Arzneimittel in eine Festbetragsgruppe fallen soll.

Dass auch verschiedene Anwendungsgebiete in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst werden, kann zulasten von Patienten mit selteneren Erkrankungen gehen. Als Beispiel nannte Ecker + Ecker Ambroxol, das bei „normalem“ Husten, aber auch bei Mukoviszidose eingesetzt werden kann. Ambroxolpräparate, die nur für Erkältungen zugelassen sind, können den Mukoviszidosepatienten nicht verordnet werden. Das wirkstoffgleiche Mukoviszidosepräparat ist allerdings nur gegen Aufzahlung erhältlich.

„Kellertreppeneffekt“ bei zuzahlungsfreien Arzneimitteln

Eine weitere Konsequenz der fallenden Erstattungshöchstgrenzen ist, dass die Anzahl der zuzahlungsfreien Arzneimittelpackungen kontinuierlich sinkt. Und zwar innerhalb der letzten zehn Jahre um 70 Prozent. Dr. Christof Ecker, Geschäftsführer bei Ecker + Ecker, bezeichnete diesen Trend am vergangenen Dienstag als „Kellertreppeneffekt“. Aktuell sind nur 5 Prozent der Arzneimittel zuzahlungsfrei.

BAH fordert mehr Differenzierung und Transparenz

Für Kortland ergeben sich aus den Studienergebnissen zwei klare Anhaltspunkte zur Verbesserung. Zum einen fordert der BAH, die Besonderheiten vulnerabler Patientengruppen bei der Bildung von Festbetragsgruppen stärker zu berücksichtigen. Dazu müssten die Arzneimittelgruppen nach therapierelevanten Kriterien, wie etwa Darreichungsform und Indikation, stärker differenziert werden. Sollte dies nicht gelingen, schlägt der BAH vor, dass der G-BA seine Begründungspflicht ausbaut oder durch das BMG beaufsichtigt wird.

Zweitens sei für den Herstellerverband der Anteil an zuzahlungsfreien Arzneimitteln viel zu gering. Dem „Kellertreppeneffekt“ müsse eine Grenze gesetzt werden: Nach Meinung von Kortland sollte der Anteil an verfügbaren zuzahlungsfreien Arzneimitteln bei 25 bis 35 Prozent liegen.  

Unabhängig von den Studienergebnissen nannte Kortland im Sinne seiner Mitgliedsunternehmen noch eine weitere Forderung: Und zwar müsse das Festsetzungsverfahren für die Erstattungshöchstbeträge des GKV-Spitzenverbandes für die pharmazeutischen Unternehmen transparenter sein. Er solle dazu seine Stellungnahmen veröffentlichen.  „Hier wünsche ich mir eine ähnliche Transparenz, wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sie bei der Festbetragsgruppenbildung schon praktiziert. Denn nur dann sind alle im Boot und nur dann haben wir eine gemeinsame Gesprächsgrundlage“, forderte Kortland.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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